„Chimerica“

Wo Trump bei China richtig liegt

| 03. Juni 2025
IMAGO / Xinhua

Donald Trump beklagt, dass chinesische Exporte zum Niedergang der US-Fertigungsindustrie beigetragen haben – und hat damit einen Punkt. Aber den höchsten Preis hat China selbst gezahlt, das nun vor einem demografischen Problem steht.

Der Grundstein für das heutige globale Handelssystem und das dollarbasierte Währungssystem wurde in einem kleinen Ort im US-Bundesstaat New Hampshire gelegt: Bretton Woods. Dort traf sich 1944 eine erschöpfte Welt, um nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue ökonomische Ordnung zu schaffen. Während Europa in Trümmern lag, übernahmen die Vereinigten Staaten eine beispiellose Führungsrolle – wirtschaftlich, politisch und industriell. 1948 stammten über die Hälfte aller weltweit produzierten Güter allein aus den USA.

Doch ein Ergebnis dieser Konferenz erwies sich als nicht besonders vorteilhaft für die USA: der feste Wechselkurs. Er trug zu einem drastischen Rückgang des US-Anteils an der weltweiten Wertschöpfung in der verarbeitenden Industrie bei – dieser sank von 55 Prozent im Jahr 1953 auf 24 Prozent im Jahr 1970.

Die Entscheidung von US-Präsident Richard Nixon im Jahr 1971, den US-Dollar von Gold zu entkoppeln, stabilisierte diesen Anteil weitgehend, so dass er drei Jahrzehnte lang ungefähr konstant blieb. In der Folge wurden die USA allerdings von einem Überschussland zum größten Defizitland der Welt, da die nun frei floatenden Währungen den Aufstieg der japanischen Fertigungsindustrie beflügelten.

Das Plaza-Abkommen von 1985, mit dem die USA die übrigen G5-Staaten (Japan, Westdeutschland, Frankreich und Großbritannien) davon überzeugten, zur Schwächung des Dollars beizutragen, half, das amerikanische Außenhandelsdefizit wieder zu verringern. Dieser Erfolg wurde jedoch 1994 mit Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) geschmälert.

Nach 2001 – als Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation den Weg für chinesische Waren auf den US-Markt ebnete – ging er vollständig zugrunde: Zwischen 2001 und 2021 sank das Verhältnis zwischen Exporten der US-amerikanischen Fertigungsindustrie und den Importen von 65 auf 45 Prozent, und der Anteil der USA an der weltweiten Wertschöpfung in der Fertigungsindustrie ging von 25 auf 16 Prozent zurück.

Wenn Trump also beklagt, dass chinesische Exporte zum Niedergang der US-Fertigungsindustrie beitrugen, hat er nicht ganz Unrecht (inwieweit eine Reduzierung der chinesischen Importe heute die US-Fertigungsindustrie wiederbeleben würde, ist eine ganz andere Frage). Doch für die Überkapazitäten Chinas hat niemand einen höheren Preis gezahlt als China selbst.

Kinder sind „Superkonsumenten“: Je mehr Kinder in einem Haushalt leben, desto mehr wird ausgegeben. Doch jahrzehntelange Maßnahmen zur Geburtenkontrolle haben dazu geführt, dass China heute relativ wenige Kinder hat. Im Jahr 1982, drei Jahre nach Einführung der Ein-Kind-Politik, lag das Verhältnis der Gesamtbevölkerung zu den Erwerbstätigen bei 2,2. Das bedeutete eine relativ hohe Zahl von Unterhaltsberechtigten pro Erwerbstätigem (im Alter von 20 bis 59 Jahren). Bis 2010 war dieses Verhältnis auf 1,6 gesunken und lag damit deutlich unter dem internationalen Durchschnitt von 1,8 bis 2,2. Zwar steigt dieses Verhältnis in China derzeit wieder an, doch ist dies in erster Linie auf einen Anstieg der Zahl älterer Menschen und nicht auf einen Anstieg der Kinderzahl zurückzuführen.

Mit der schrumpfenden Haushaltsgröße sanken auch deren Einkommen – von 62 Prozent des BIP im Jahr 1983 auf 44 Prozent des BIP heute. Die Folge ist eine schwache und weiter sinkende Konsumnachfrage: Seit 1983 ist der Konsum der privaten Haushalte von 53 Prozent des BIP auf nur noch 39 Prozent des BIP zurückgegangen, verglichen mit fast 70 Prozent in den USA.

Aufgrund des schwachen Binnenkonsums war China zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf einen Produktionsüberschuss angewiesen, der 2023 1,86 Billionen Dollar oder 10,5 Prozent des BIP erreichte. Da die USA nicht nur über einen riesigen und unersättlichen Verbrauchermarkt verfügen, sondern auch die weltweit wichtigste Reservewährung herausgeben – und damit der Welt Handelsüberschüsse und Liquidität verschaffen – wurde der US-amerikanische Überkonsum zum natürlichen Gegengewicht der chinesischen Überkapazitäten.

Diese Beziehung bezeichneten die der Historiker Niall Ferguson und der Ökonom Moritz Schularick als „Chimerica“. Sie schien zunächst symbiotisch, doch schon bald verwandelte sie sich in etwas Monströses, das die US-Fertigungsindustrie zerstörte und gleichzeitig für die Aufrechterhaltung des Ungleichgewichts zwischen Produktion und Konsum in China sorgte. Mit anderen Worten: Der demografische Zusammenbruch Chinas führte zu Überkapazitäten.

Die chinesische Regierung verfügt über wenige Optionen, um ihre demografische Krise zu bewältigen. Die Versuche einer Lockerung der Geburtenbeschränkungen – der Ein-Kind-Politik folgte zunächst die Zwei-Kind-Regelung und später die Drei-Kind-Politik – scheiterten kläglich, da sich die Familien aufgrund der niedrigen Haushaltseinkommen keine weiteren Kinder leisten konnten.

Die Regierung scheint ihre Hoffnungen auf eine „Ingenieursdividende“ zu setzen, da China mehr Hochschulabsolventen im technischen Bereich aufweist als der Rest der Welt zusammen. Diese Absolventen finden in der Regel Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, der in China allerdings nur 46 Prozent der Gesamtbeschäftigung ausmacht. Als andere Länder das Niveau der aktuellen chinesischen Einschreibungsquote im tertiären Bildungsbereich erreichten, stellten deren Dienstleistungssektoren 70 bis 80 Prozent der Arbeitsplätze. Kein Wunder, dass die Jugendarbeitslosigkeit in China in die Höhe schießt und die Zahl der neuen Ehen – die Grundlage für die Geburtenrate – sinkt.

Durch die Einführung umfassender Zölle gegen die Handelspartner der USA riskiert Trump, das globale Handelssystem erheblich zu schwächen oder sogar zu zerstören. Da Chinas Handelsüberschuss das Spiegelbild des Handelsdefizits der USA darstellt, sollten alle Bemühungen zur Wiederbelebung der US-Industrie im Bereich des Handelsdefizits ansetzen. Zu Trumps Pech besteht die einzige wirkliche Lösung darin, die Geburtenrate in China zu steigern, wofür rasche Fortschritte bei der Erhöhung der chinesischen Haushaltseinkommen erforderlich sind – und das lässt sich mit Zöllen nicht erreichen.

@Project Syndicate