Editorial

Die doppelte Revolution – KI zwischen Krieg und Ökonomie 

| 12. Juni 2025
IMAGO / Jam Press

Liebe Leserinnen und Leser,

die Künstliche Intelligenz entwickelt sich nicht nur rasant, sie ist zugleich der Hebel einer neuen globalen Machtverschiebung. Ökonomisch wie militärisch stellt sie sowohl die Spielregeln der Weltwirtschaft als auch der Kriegsführung radikal infrage. Wer im Wettlauf um die KI zurück bleibt, wird nicht nur Märkte verlieren, sondern auch geopolitischen Einfluss. Mit anderen Worten: Es vollzieht sich eine Transformation von historischer Tragweite, wie Roger Boyd und Charles Ferguson in dieser Ausgabe zeigen.

Ökonomisch liefern sich allen voran die USA und China einen Wettlauf um KI-Spitzentechnologien: 2023 investierte China über 50 Milliarden US-Dollar in KI-Forschung und eigene Chipfertigung – ein Plus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der technologische Abstand zu den USA schrumpft rapide; bei generativen KI-Modellen liegt er nur noch bei wenigen Monaten. Die USA reagieren mit Exportkontrollen und milliardenschweren Subventionen – allein der „CHIPS and Science Act“ umfasst 280 Milliarden US-Dollar. Das Rennen um die Vorherrschaft in einer Industrie, deren globales Marktvolumen bis 2030 auf 13 Billionen US-Dollar wachsen könnte, ist völlig offen.

Militärisch zeigt sich die disruptive Kraft der KI besonders deutlich in der Drohnenkriegsführung: In der Ukraine sind täglich tausende halbautonome und autonome Drohnen im Einsatz. Herstellungskosten von 400 bis 1.000 US-Dollar pro Einheit machen sie um ein Vielfaches günstiger als klassische Lenkwaffen oder bemannte Systeme. Russland und die Ukraine produzieren jeweils bis zu zwei Millionen Drohnen pro Jahr. Die neuen Systeme operieren präzise, vernetzt und oft ohne GPS oder Funkanbindung – Fähigkeiten, die traditionelle Großwaffensysteme zunehmend obsolet erscheinen lassen. China, Indien und Russland experimentieren bereits mit KI-gesteuerten Drohnenschwärmen und „Loyal Wingman“-Systemen, die Boyd als Vorboten einer neuen Epoche der Kriegsführung beschreibt.

Doch dieser Technologieschub birgt massive Risiken. Längst hat ein globaler Rüstungswettlauf für autonome Waffensysteme begonnen, ohne dass internationale Regulierungen existieren. Die Grenze zwischen „human-in-the-loop“-Systemen – bei denen der Mensch die finale Entscheidung trifft – und völlig autonomen Waffensystemen verschwimmt zusehends. Was in der Ostukraine als Praxistest läuft, könnte die Kriegsführung weltweit revolutionieren – mit unvorhersehbaren Folgen.

Die KI wirkt also als Kraft einer doppelten Disruption – ökonomisch als Schlüsseltechnologie einer neuen Weltwirtschaftsordnung, militärisch als Treiber einer grundlegend veränderten Kriegsführung. Die Supermächte USA und China positionieren sich mit milliardenschweren Programmen. Und die EU droht, in diesem entscheidenden Zukunftsfeld wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch weiter zurückzufallen. Gleichwohl: Ohne politische Steuerung und völkerrechtliche Regeln wird die KI-Revolution zum unkalkulierbaren Risiko.

Alle Artikel dieser Ausgabe:

  • Neuauflage eines bekannten Dramas: Amerikas Außenhandel und der Dollar Trumps neue Zollpolitik verspricht Stärke, bringt aber Chaos. Was steckt hinter dem Handelsdefizit der USA – und warum stehen China, Deutschland und der Dollar im Zentrum eines gefährlichen globalen Wirtschaftsspiels? Jörg Bibow
  • Warum die USA den KI-Krieg gegen China verlieren Monopolistische Profitgier, keine echten Innovationen: Die US-KI-Industrie gerät im Wettbewerb mit China ins Hintertreffen. Dafür droht ihr ein zweiter Dotcom-Crash. Roger Boyd
  • Der „Branchen Pay Gap“ Verdienstunterschiede zwischen den Branchen werden selten thematisiert. Doch sind sie keineswegs irrelevant, denn auch wenn Tätigkeiten nach Qualifikation oder Verantwortung ähnlich sind, klafft die Bezahlung auseinander. Michaela Evans-Borchers u.a.
  • Wie weiter mit Cum-Ex und Cum-Cum? Cum-Ex steht für industriell betriebene Steuerhinterziehung, die struktureller Teil des Wirtschaftssystems ist. Doch im Kampf dagegen agiert der Staat eher als Bremser denn als Motor. Herbert Storn
  • Und ewig grüßt die Gewinnsteuersenkung Die geplante Absenkung der Gewinnsteuer beruht auf falschen Annahmen und verarmt den Staat weiter. Nicht die Bedeutung von Personengesellschaften in Deutschland ist das Problem, sondern dass es verschleierte Kapitalgesellschaften sind. Gerd Grözinger
  • Die EZB sitzt fest im Sattel Die Unabhängigkeit der Zentralbanken ist ein hohes Gut, betonen Politiker und Notenbanker immer wieder. Doch sie verleiht den "Banken der Banken" auch weitreichende geldpolitische Gestaltungsspielräume, ohne dabei vom Parlament kontrolliert zu werden. Eine Gefahr für die Demokratie? Malte Kornfeld
  • Das Zeitalter KI-gestützter Drohnenkriege naht Der Ukraine-Krieg ist ein Krieg der Drohnen – mit ernüchternden Lehren. Die bevorstehende Integration von KI wird bisherige Kriege altmodisch erscheinen lassen. Und die westliche Verteidigungsindustrie hinkt gefährlich hinterher. Charles Ferguson
  • Deutschlands Krise: eine Kultur der Unterwerfung Schweigend stand Olaf Scholz am 7. Februar 2022 im Oval Office neben Joe Biden, als der das Ende von Nord Stream II verkündete. Ein Akt der Unterwerfung, der für eine 77-jährige Geschichte steht. Patrick Lawrence