Steuerhinterziehung

Wie weiter mit Cum-Ex und Cum-Cum?

| 10. Juni 2025
IMAGO / Christian Ohde

Cum-Ex steht für industriell betriebene Steuerhinterziehung, die struktureller Teil des Wirtschaftssystems ist. Doch im Kampf dagegen agiert der Staat eher als Bremser denn als Motor.

Die EU plant eine neue Richtlinie, um Cum-Ex-Betrug zukünftig zu verhindern. Wie Adrian Kaske in der Frankfurter Rundschau berichtet, hätten die EU-Mitgliedsstaaten die Wahl zwischen zwei Varianten der Kontrolle von Steuerrückerstattungen: Deren eine belässt die Kontrolle bei den Banken und wird deshalb bereits von der ehemaligen Oberstaatsanwältin in Sachen Cum-Ex Anne Brorhilker kritisiert. Nach Brorhilker, die inzwischen bei der Bürgerbewegung Finanzwende arbeitet, erschwert diese Variante die Aufdeckung von Steuerhinterziehung sogar noch. Die Cum-Ex-Ermittlungen hätten gezeigt, dass zahlreiche Banken aktiv in die illegalen Geschäfte verwickelt waren und noch sind.

Die Frage, die sich wieder und wieder stellt: Weshalb agiert der Staat eher als Bremser, denn als Motor, wenn es darum geht, diese Art von Wirtschaftskriminalität zu verhindern?

Im Fall der Cum-Ex (und auch der Cum-Cum)-Steuerdiebstähle ist es im Verhältnis zu anderen kriminellen Machenschaften besonders eindeutig und auch unmittelbar einsichtig, dass vom Gemeinwesen keine Steuer zurückgefordert werden kann, die nie gezahlt wurde.

Nun könnte man meinen, dass die Aufklärung bzw. Verhinderung solcher Diebstähle in der Finanzwelt mit besonderen Problemen verbunden ist, die in der Natur des Aktienhandels oder von Geldgeschäften lägen.

Vorschläge liegen vor, werden aber ignoriert

Tatsächlich liegen aber schon seit längerem Vorschläge vor. Einen davon präsentierte im Juni 2022 der Steuerexperte und Sachverständige für den Finanzausschuss des deutschen Bundestages Lorenz J. Jarass auf der Fachtagung des Vereins Business Crime Control. Darauf wird im Folgenden zurückgegriffen.

Das Kontrollproblem für die Steuerbehörde liegt darin, dass Finanzinstitute eine Kapitalertragsteuerbescheinigung ausstellen dürfen und auf Anforderung ausstellen müssen, ohne dass diese dabei prüfen, ob tatsächlich eine Kapitalertragsteuer abgeführt wurde.

Dies ist auch schwierig, weil Besitzer und Eigentümer einer dividendenberechtigten Aktie nicht die selbe Person sein müssen, solange Leerverkäufe erlaubt sind. Beim Leerverkauf wird nur das Eigentum übertragen, ohne dass der Besitz, also die tatsächliche Verfügungsgewalt, verschafft wird.

Außerdem muss die Kapitalertragsteuer von den Finanzinstituten nur in einer Gesamtsumme bis zum zehnten des folgenden Monats an das zuständige Finanzamt abgeführt werden (§ 44 Abs. 1, Satz 5 EStG), und zwar ohne weitere Informationen zu den zugrunde liegenden einzelnen Kapitalertragsteuern.

Das Finanzamt weiß nicht, ob in der abgeführten Gesamtsumme die Zahlung für einen bestimmten Steuerpflichtigen enthalten ist. Das Bundeszentralamt für Steuern wiederum bekommt erst im Folgejahr eine Meldung, dass für einen bestimmten Steuerpflichtigen eine Kapitalertragsteuerbescheinigung ausgestellt worden ist, weiß aber nicht, ob hierfür Kapitalertragsteuer tatsächlich abgeführt worden ist. Die im Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vorgesehenen sehr verwaltungsaufwändigen zusätzlichen Melde- und Haftungspflichten können deshalb (wie auch schon frühere Maßnahmen) Cum-Ex-Betrug nicht verhindern.

Jarass schlägt daher folgende Schritte vor:

Schritt 1:

Zukünftig sollte eine Kapitalertragsteuerbescheinigung nur noch durch das Bundeszentralamt für Steuern ausgestellt werden, und zwar erst, nachdem die Überweisung der Kapitalertragsteuer beim Bundeszentralamt für Steuern eingegangen ist. Die Überweisung muss detaillierte Angaben zum Steuerpflichtigen (Name, Adresse, Steuernummer, zuständiges Finanzamt etc.) enthalten (was bisher nicht der Fall ist, d.V.).

Schritt 2:

Nach Erhalt der Überweisung stellt das Bundeszentralamt für Steuern automatisiert eine Kapitalertragsteuerbescheinigung aus mit einer Ordnungsnummer und detaillierten Angaben zum Steuerpflichtigen.

Schritt 3:

Diese Kapitalertragsteuerbescheinigung fügt der Steuerpflichtige seiner Steuererklärung bei, falls er die Kapitalertragsteuer anrechnen oder erstatten lassen will. Durch die strikt personenbezogene  Bescheinigung kann die Nutzung durch Dritte verhindert werden.

Schritt 4:

Das zuständige Finanzamt kann dann automatisiert beim Bundeszentralamt für Steuern abfragen, ob die Kapitalertragsteuerbescheinigung gültig ist und ob sie gegebenenfalls schon einmal genutzt worden ist.

Ergebnis:

Durch einen derartigen lückenlosen datenbankgestützten Abgleich von Erstattungsanträgen mit tatsächlichen Steuerzahlungen können unrechtmäßige Kapitalertragsteuererstattungen („Cum-Ex-Betrug“) sicher und einfach verhindert werden.“

(Quelle: „Kapitalertragsteuerbetrug einfach verhindern“ , von Lorenz Jarass, in: BIG 2022)

Einen derart einfachen Weg will die neue EU-Richtlinie aber ganz offensichtlich nicht gehen, und vermutlich auch die neue Bundesregierung nicht. Dazu dürfte die Verbindung von Bundeskanzler Friedrich Merz zu seinem früheren Auftraggeber BlackRock, dem Bedeutendsten aller Finanzinstitute, zu eng gewesen sein. Als noch bedeutungsvoller wird sich aber vermutlich das ‚Bankgeheimnis‘ erweisen, das bisher mit „Zähnen und Klauen“ verteidigt wurde. Ein großer Teil der legalen Finanzgeschäfte, insbesondere die hochspekulativen – die kriminellen ohnehin – würde ohne das Bankgeheimnis nicht funktionieren.

Hinter den „Zähnen und Klauen“

Nicht umsonst ist die Bankenlobby die größte Lobbybranche, wie die Politologin und Lobbykritikern Pia Eberhardt 2022 in einer Studie nachgewiesen hat. So waren im November 2022 nach Eberhardt 11 der 101 finanzstärksten Lobbyakteure Banken, Versicherungsunternehmen und Investmentgesellschaften:

„Die Deutsche Kreditbank (DKB) begleitet jährlich über 1.000 Gesetzesverfahren und politische Initiativen. Der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) brüstet sich damit, an allen Stationen der Gesetzgebung mitzuwirken. Der Bankenverband damit, dass er mit mehreren Ministerien und dem Kanzleramt in regelmäßigem intensiven Austausch steht. Die Finanzlobby sitzt in Beratungsgremien, flutet die Politik mit Papieren und liefert sogar fertige Passagen für Gesetzestexte. Zivilgesellschaftliche Gruppen mit weniger Ressourcen können diesen Aufwand nicht betreiben.“[1]

Fast noch wichtiger aber sind die personellen Verflechtungen, die einen „erstklassigen Zugang“ zu Entscheidungsträgern ermöglichen. Mit Seitenwechslern aus der Politik erkauft sich die Finanzlobby Insiderwissen und wertvolle Kontakte dahin, wo Gesetze vorbereitet und beraten werden. Politiker werden mit Posten und Gefälligkeiten „wohlgesonnen gestimmt“, über gewachsene Beziehungen wird Einfluss ausgeübt, heißt es in der Studie.

Mit Merz, der bei BlackRock nicht irgendwer war, sondern von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender von BlackRock Asset Management Deutschland, erreicht dieser Seitenwechsel die Spitze der staatlichen Exekutive. Und mit Jörg Kukies war immerhin der ehemalige Deutschlandchef von Goldman Sachs kurzzeitig Bundesfinanzminister.

Hier tun sich Widersprüche über Widersprüche auf zwischen dem, was die Bevölkerung in Gestalt seiner Wählerinnen und Wähler von der Regierung erwartet, was diese Regierung in ihrem Amtseid verspricht, und welche Schäden am Gemeinwohl Bankenlobbyismus und personelle Verbundenheiten verursachen. Nach Schätzungen verschiedener Experten hat allein die Lobbyarbeit gegen die Finanztransaktionssteuer und höhere Eigenkapitalauflagen für Banken sowie der Lobbyismus im Kontext der CumEx-Betrugsfälle Schäden in Höhe von 341 Milliarden Euro für die Steuerzahler verursacht.

Zur Erinnerung: Obwohl das Problem und die Tatbestände des Cum-Ex-Betrugs mindestens seit über 20 Jahren bekannt sind, brauchte es erst ein höchstrichterliches Urteil des BGH im Jahr 2021. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BAFIN) hat ihr Wissen über eine Liste mit 566 potentiellen CumEx-Betrügern, die sie schon 2009 vorliegen hatte, nicht an die zuständigen Behörden weitergegeben.

Und der letzte Bundestag hat zusammen mit der Bundesregierung die Ermittlungsarbeiten gegen Steuerraub erheblich erschwert, indem er die Aufbewahrungsfristen für wichtige Beweismittel auf acht Jahre verkürzte, obwohl über 300.000 Menschen dagegen protestierten. Anne Brorhilker, die jetzt bei Finanzwende arbeitet, ergänzt:

„Die Verjährungsfrist für schwere Steuerhinterziehung liegt bei 15 Jahren – und ist damit fast doppelt so lang. Ermittlungen in CumEx- und vor allem CumCum-Fällen werden damit deutlich erschwert. Die Täter dürfen durch die Regelung legal Beweismittel vernichten, obwohl sie strafrechtlich eigentlich noch belangt werden könnten.“

Wohlgemerkt: Es handelt sich hier nicht um Bagatell-Delikte. Ein Richter am Bonner Landgericht bezeichnete Cum-Ex als „industriell“ betriebene Steuerhinterziehung, als Form „organisierter Finanzkriminalität“.

Finanzkriminalität als Teil des Wirtschaftssystems

Cum-Ex ist ein hochkomplexes Geflecht, das erst einmal verstanden werden muss. Für dieses kriminelle Geflecht arbeiten Top-Leute, die wiederum mit der Politik und den Behörden gut vernetzt sind. Diese unheilvolle Nähe zwischen Finanzbranche, Staat und Politik ist aber keine „Affäre“, sondern ein strukturelles Problem der Wirtschaftsordnung, das die demokratische Einflussnahme in ihrem Kern beeinträchtigt.

Nach Hans See, Mitgründer von Business Crime Control, bilden legale und illegale Wirtschaft ein Komplementärsystem. In seinem Buch Wirtschaft zwischen Demokratie und Verbrechen stellte er bereits 2014 fest, dass seriöse Wirtschaftsunternehmen einen wachsenden Teil ihrer Geschäfte jenseits geltenden Rechts betreiben und dabei auch mit dem Organisierten Verbrechen kooperieren.

Um dem entgegenzuwirken, bräuchte es eine „kriminalitätspräventive“ Strategie. Dazu gehört auch die Ausweitung der Mitbestimmung in der Finanzbranche und eine schärfere Regulierung insbesondere der Finanzinstitute. Der Staat muss über äquivalentes kompetentes Personal verfügen, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist, statt auf private Berater und Konzerne angewiesen und ihnen ausgeliefert zu sein.

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[1] („Finanzlobby: Im Auftrag des Geldes - Wie die Finanzlobby in Deutschland die Politik beeinflusst“)