Der General und der Frieden
Erich Vad, Brigadegeneral im Ruhestand, hat sich mehrfach öffentlich für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Kriegs unter Berücksichtigung russischer Sicherheitsinteressen eingesetzt. Jetzt hat er ein Buch veröffentlicht.
Eigentlich hatte Vad die Nase voll von Politik. Im März 2023 erklärte er der Neuen Züricher Zeitung, es hätte „keinen Sinn mehr, mir diesen Hass, diese Häme anzutun.“ Kein Wunder. Vad kommt aus der CDU und war unter Merkel Gruppenleiter im Kanzleramt für Sicherheitspolitik. Mit dem Ukraine-Krieg hatte er am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet in einem Land, in dem die politische Klasse und die großen Medien sich zu 150-prozentig als Heimatfront der Ukraine verstehen, gegen den Strom zu schwimmen. Da muss man einiges schlucken. Insofern ist es mutig, sich jetzt erneut mit einem Buch zu exponieren, in dem er sich gegen eine Eskalation ausspricht und für eine Verhandlungsfrieden mit Moskau plädiert:
Diplomatie, Interessenausgleich, Verständigung und Konfliktbewältigung müssen jetzt unser politisches Ziel sein. In einem ersten Schritt muss ein Waffenstillstand verhandelt werden; danach können Friedensverhandlungen beginnen. (…) Ein solcher Deal müsste die Rechte der Ukrainer und ihrer russischsprachigen Bevölkerung genauso ernst nehmen wie die Sicherheitsinteressen Russlands“.
Das sagt Vad freilich nicht als Antimilitarist oder gar Pazifist. Verhandlungen müssen sein„bevor sich die Verhandlungsposition der Ukraine schwächt, oder das Land komplett verwüstet wird.“ (S. 69) Denn er ist vor allem Realist, Anhänger der realistischen Schule der internationalen Beziehungen. Für diese Schule ist das nüchterne Kalkül der Kräfteverhältnisse zwischen Kriegsparteien ein zentrales Entscheidungskriterium im Krieg:
„Wird nicht verhandelt, und zwar mit den geopolitischen Interessen der beteiligten Parteien im Blick – was neben der Ukraine und Russland auch die USA und die NATO, eventuell China einschließt –, droht eine blutige, eskalierende never ending story, vielleicht sogar eine Niederlage der Ukraine.“ (S. 81)
Vad beruft sich dabei immer wieder auf Clausewitz (über den er seine Doktorarbeit geschrieben hat) und auf dessen Imperativ vom Vorrang der Politik vor dem Militärischen, was die Bedeutung des oft zitierten, aber meist falsch verstandenen Satz vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Deshalb zieht sich leitmotivisch durch das Buch auch immer wieder die Kritik am affektgeladenen Umgang mit Krieg. So lautet eine Kapitelüberschrift „Realpolitik statt Romantik“. Dementsprechend fordert Vad: "Mehr Analyse, weniger Emotion. Wir dürfen die Welt nicht einfach in Schwarz und Weiß, Gut und Böse unterteilen, sondern wir müssen die Interessen verstehen, die hinter nationalen Entscheidungen und globalen Entwicklungen stehen“ (S. 21). Denn Angst, Wut, Empörung Betroffenheit helfen „nicht (mehr) eine realistische Lösung zu finden, um den Krieg in der Ukraine zu beenden“ (S. 68).
Vermutlich hatte Vad dabei als Zielgruppe vor allem sein eigenes Milieu im Kopf. Aber man wünschte sich, dass auch Bellizisten in linksliberalen und linken Milieus das beherzigen würden. Vads Realismus erstreckt sich auch auf die modische Rede von der sogenannten wertegeleiteten Außenpolitik:
"Werte mögen zwar vorgeblich im Mittelpunkt stehen, doch tatsächlich sind es die politischen Ziele der gegeneinander kämpfenden Akteure“ (S. 29).
Ähnlich illusionslos ist sein Blick auf das transatlantische Verhältnis:
"Rein machtpolitisch betrachtet sind Deutschland und die Europäische Union weniger echte, ebenbürtige Partner, sondern eher Vasallen – im Sinne von Gehilfen – der USA“. (S. 125/126)
So deutlich trauen sich selbst in der Friedensbewegung die wenigsten auszudrücken. Auch dürfte er sich in seinen Kreisen mit der Kritik an der Feindbildproduktion gegenüber Russland – mit Seitenhieb auf die Medien – ziemlich unbeliebt machen:
„Was hilft es uns, Putin als die Inkarnation des Bösen darzustellen, wie es in Medien, aber vor allem in Teilen deutscher Politik gang und gäbe ist? Ein durch und durch böser Mensch, gegen den man nur noch Krieg führen könne, mit dem man einfach nicht mehr reden dürfe? Diese fundamentalistische, vermeintliche Klarheit ist das Ende jeder Politik“(S.67)
All das bedeutet nicht, dass Vad zur Friedenstaube geworden wäre. Nach wie vor ist er in klassischen Grundpositionen militärischer Logik verhaftet, wie dem seit der Antike beliebten Wenn-du-den-Frieden-willst-bereite-den-Krieg-vor. An keiner Stelle äußert er konflikttheoretisch informierte Zweifel an dem grundlegenden Defekt dieses Dogmas: Die Gegenseite denkt genauso. So kommt es zum immer gleichen Resultat von Konfrontation, Rüstungswettlauf, Eskalation und irgendwann Kontrollverlust. Das Befangensein in der militärischen Logik verstellt Vad den Blick darauf, dass Diplomatie, Vertrauensbildung, friedliche Koexistenz und Kooperation, zumal unter globalen Bedrohungslagen wie dem Klimawandel, Priorität zeitgemäßer Friedenspolitik sein müssen – und durchaus funktionieren wie die Entspannungspolitik im Kalten Krieg 1.0 zeigt.
Stattdessen teilt er die Sehnsucht nach militärisch unterfüttertem Weltmachtstatus der EU, deutscher Führung und globaler Rolle. Zwar sieht er die aktuelle Lage der EU durchaus realistisch: Die EU hat „keine Strategie, keinen Plan, kein Konzept“ (S. 83). Auch erkennt er, dass sie aufgrund ihrer komplexen Strukturen und Verfahren nicht über die gleiche Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit verfügt wie die klassischen Nationalstaaten. Aber dann verlässt ihn sei Realismus und er verliert sich im Reich der Träume, in dem aus Vasallen Herren werden. Dabei zeigen alle Zeichen – ökonomisch, technologisch, politisch und in puncto soft power – in die Gegenrichtung. Die jüngsten Wahlen zum EU-Parlament sind einmal mehr Symptom dafür.
Auch unterlaufen ihm vor allem in der zweiten Hälfte seines Buches einige sachliche Fehler, etwa wenn er meint, Indien sei ein „Verbündeter der USA“ (S. 113). Es ist gerade Merkmal des neuen, multipolaren Systems, dass Neu Dehli multivektorielle Außenpolitik betreibt. Auffällig auch einige logische Widersprüche zwischen den einzelnen Teilen des Buches. So zum Beispiel, wenn er trotz mehrfacher Kritik an Schwarz-Weiß- und Feindbildern selbst immer mal wieder in plattes Putin-Bashing verfällt und das offizielle Narrativ des Westens von der Gefahr aus dem Osten unkritisch übernimmt. Mag sein, dass er unter dem herrschenden Konformitätsdruck und all den Anfeindungen als Putin-Versteher sich demonstrativ auf die politisch korrekte Seite stellen will, um im eigenen Milieu überhaupt noch Gehör zu finden.
Insofern spiegeln sich in dem Buch die Widersprüche eines Menschen, der einen außergewöhnlichen Weg eingeschlagen hat. Aber wie sagte schon der alte Hegel: „Der Widerspruch ist das Fortleitende.“ Vielleicht geht Vad auf seinem Weg noch weiter.