Ballungsräume

Hohe Wohnungsmieten sind sozial und klimafreundlich

| 25. Juni 2024
IMAGO / MiS

Der Mietwohnungsmarkt scheint nur eine Richtung zu kennen: immer teurer, immer knapper. Doch ein entfesselter Neubau allein ist keine Lösung. Plädoyer für einen orchestrierten Dreiklang aus Neubau, hohen Marktmieten und zielgenauen staatlichen Interventionen.

Schon im antiken Rom litten die einfachen Leute unter dramatischem Wohnungsmangel. In den Insulae, den Mehrfamilienhäusern jener Zeit, herrschten Wohnverhältnisse, die man heute als menschenunwürdig ablehnen würde.

Ebenso war es in den Städten des Mittelalters. Rechtschaffene, einfache Bürger fanden nur schwer eine Bleibe, obwohl die Ansprüche erheblich bescheidener waren als heute. Der Augsburger Jakob Fugger nahm die Wohnungsnot in seiner Heimatstadt zum Anlass, Anfang des 16. Jahrhunderts eine Wohnsiedlung für einfache Leute zu stiften. Ähnliche wohltätige Initiativen gab es auch in anderen Städten. Beispielsweise sind in der Lübecker Altstadt mehrere Wohnhäuser erhalten, die mithilfe privater Stiftungen finanziert wurden.

Über die Wohnverhältnisse in den schnell wachsenden Städten der Gründerzeit liegen zahlreiche Berichte vor, die vor Augen führen, wie beengt und ungesund die einfachen Arbeiter leben mussten. Gründerzeitquartiere, die heute als hip und urban gelten, stellten sich für die Bewohner um 1900 völlig anders dar. Um eine Vorstellung von der „Wohnqualität“ vor dem Ersten Weltkrieg zu bekommen, muss man sich Latrinen in den Innenhöfen, rauchende, laute Werkstätten, Kohleöfen, einfach verglaste Fenster und eine ungefähr viermal höhere Bevölkerungsdichte hinzudenken.

In der Gegenwart sind weltweit alle großen Ballungsräume Orte mit knappem Angebot. Selbst dort, wo die Rahmenbedingungen als besonders mieterfreundlich gelten, zum Beispiel in Wien oder Stockholm, muss man feststellen, dass Wohnungen zwar bezahlbar, aber zugleich ein rares Gut sind. Insbesondere Zuzügler haben es oft schwer, eine Wohnung zu finden.

Besonderheiten des Wohnungsmarkts

Der Mangel an Wohnraum ist in Ballungsräumen – zumindest in deren zentralen Bereichen – ein Phänomen, dass unvermeidlich zu dieser räumlichen Organisationsform gehört. Nicht nur Wohnungen, auch das Bauland ist knapp. Die Knappheit kann überzeugend aus wirtschaftsgeografischen und einfachen geometrischen Zusammenhängen abgeleitet werden. Hinzu kommen die hohen Preise für Bauleistungen[1]. Sie tun ihr Übriges, um vor allem Neubauten in Innenstädten zum teuren Luxusgut zu machen.

Im Unterschied zu anderen Luxusgütern ist das Wohnen ein elementares Grundbedürfnis. Zugleich ist es unter den Gütern, die Grundbedürfnisse abdecken, das Einzige, dessen Marktpreise für nennenswerte Teile der Bevölkerung unerschwinglich geworden ist. Der Aufwand für Wohnen macht in vielen deutschen Haushalten mehr als 30 Prozent des Netto-Einkommens aus. Unmittelbar daraus ergibt sich, dass spürbar höhere Mietpreise für diese Haushalte weit jenseits des Erschwinglichen sind. Diese Grenzen der Bezahlbarkeit, verbunden mit der Unverzichtbarkeit einer Wohnung, führen zu erheblichem sozialem Sprengstoff, wenn die Mieten stark steigen und gleichzeitig zu wenig Wohnungen zur Verfügung stehen.

Eine weitere Besonderheit des Wohnungsmarkts ist die namensgebende Immobilität von Gebäuden. Niemand kann seine Wohnung mitnehmen, wenn er umziehen will, und auch die Anbieter können ihre Flächen nicht dorthin transferieren, wo sie am dringendsten gebraucht und am profitabelsten vermarktet werden können. Die geringe Flexibilität auf der Angebotsseite wird durch die langen Reaktionszeiten der Bau- und Immobilienbranche verschärft. Zwischen dem Entschluss eines Investors, in einer Stadt Wohnungen zu bauen, und der Bezugsfertigkeit der dann entstehenden Wohnungen liegen mehrere Jahre, die für die Suche nach Bauland, die Planung und Genehmigung sowie den eigentlichen Bau benötigt werden. Eine schnelle, spürbare Reaktion auf einen überraschenden Nachfrageanstieg, vor allem bei stark ansteigender Zuwanderung, ist daher objektiv unmöglich. 

Besondere Marktdaten

Das Wohnungsangebot wird, neben der Unterscheidung in Eigentum und Mietobjekte, grob durch drei Parameter charakterisiert: die Anzahl der Wohneinheiten, die Anzahl der Zimmer in den Wohneinheiten und die Wohnfläche. Diese drei Parameter werden von unterschiedlichen Rahmendaten wesentlich beeinflusst: Die Anzahl der benötigten Wohneinheiten ergibt sich um Wesentlichen aus der Zahl der Haushalte, die im jeweiligen regionalen Markt wohnen bzw. wohnen wollen. Die Zahl der benötigten Zimmer innerhalb der Wohnungen hängt aufgrund der heutigen Anforderungen an die Wohnverhältnisse von der Zahl der Personen ab, die in den Wohnungen wohnen. Die Wohnfläche innerhalb einer Wohnung kann, auch bei gleicher Zimmerzahl, sehr unterschiedlich ausfallen. Wenn beispielsweise ein 4-Personen-Haushalt eine 4-Zimmer-Wohnung nachfragt, so hängt es vom Einkommen und dem marktüblichen Mietpreis ab, auf welche Wohnungsgröße sich die Nachfrage dieser Familie ausrichtet. Kleine, effizient geschnittene 4-Zimmer-Wohnungen sind auf unter 70 m² realisierbar. Die übliche Größe liegt heute über 100 m², im Luxus-Segment oft weit darüber.

Die Anspannung des Wohnungsmarktes lässt sich sehr gut aus zwei Kennzahlen ableiten: erstens der Wohnungsleerstand, ausgedrückt in Prozent des Gesamtbestandes. Während hoher Leerstand als Überangebot ebenfalls ein Marktungleichgewicht darstellt, ist ein bestimmtes Maß Leerstand notwendig, damit der Wohnungsmarkt gut funktioniert. Die Höhe dieses „gesunden“ Leerstands lässt sich nicht exakt berechnen, aber die Erfahrung zeigt, dass er im Bereich von 5 Prozent liegen dürfte. Mit dieser Größenordnung bietet der Markt genügend Reserven für Mietinteressenten und Baumaßnahmen in Wohnungen. Deutlich unter 5 Prozent wirkt der Markt „wie leergefegt“.

Die Anspannung des Marktes drückt sich außerdem indirekt durch die Mieterwechselrate aus. Sie wird berechnet, indem die Zahl der Wohnungen eines Wohnungsunternehmens oder eines Ortsteils ins Verhältnis zur Zahl der Beendigungen von Mietverhältnissen gestellt wird, unabhängig von der Ursache der Beendigung. Die Verhältniszahl von Beendigungen zur Gesamtzahl der Wohnungen, ausgedrückt in Prozent, ist die Mietwechselrate. Sie eignet sich als Maß der Anspannung von Wohnungsmärkten, da in Märkten mit sehr geringem Angebot und steigenden Preisen weniger Mieter die Wohnung wechseln. Wechselraten im Bereich von 5 Prozent deuten auf einen sehr angespannten Markt hin, während 10 Prozent typisch für entspannte Wohnungsmärkte sind.

Die Dynamik des Marktes und unbequeme Wahrheiten

Wie immer in angespannten Marktsituationen, wenn Angebot und Nachfrage nicht zueinander passen, stellt sich die Frage, wie der Markt auf dieses Ungleichgewicht reagiert. Veränderungen sind im gesamten Gefüge des Marktes möglich, also nicht nur bei den Preisen, sondern auch bei Menge und Qualität der Güter, die angeboten und nachgefragt werden. Letzten Endes hängt es von den Eigenschaften des jeweiligen Marktes ab, wie die Reaktionen ausfallen: Eine höhere Nachfrage nach Gold beispielsweise führt in der Regel sofort zu steigenden Preisen an den Rohstoffbörsen. Im Unterschied dazu folgen der steigenden Nachfrage nach Speiseeis und Bier in den Sommermonaten keine Preissprünge, sondern vor allem eine massive Ausweitung des Angebots und des Absatzes.

Ein schneller Nachfrageanstieg nach Wohnungen kann nicht innerhalb der erforderlichen Zeit durch Angebotsausweitungen, also die Schaffung zusätzlichen Wohnraums, aufgefangen werden. Das Wohnungsangebot ist aus zwei Gründen vergleichsweise statisch: Erstens können Wohnungen nicht so schnell produziert werden wie Speiseeis, und zweitens sind Miet- und Kaufpreise von Neubauwohnungen so hoch, dass sie die Leistungsfähigkeit von großen Teilen der Bevölkerung übersteigen. Durch frei finanzierten Neubau entsteht nur Wohnraum, der teuer ist, so dass nur vergleichsweise kleine Teile der Bevölkerung diesen nachfragen.

Diese Trägheit des Wohnungsangebots wird vergleichsweise häufig thematisiert. Umso erstaunlicher ist es, dass die Nachfrageseite weit weniger in die Betrachtung einbezogen wird. Man kann vermuten, dass sich die naheliegenden Ergebnisse dieser Überlegungen als eher unbequeme Wahrheiten darstellen. 

Die Wohnungsnachfrage kann viel schneller reagieren als die Angebotsseite: eine Witwe kann sich von heute auf morgen entschließen, aus der bisherigen Familienwohnung in eine altersgerechte Kleinwohnung umzuziehen und dies in wenigen Monaten auch in die Tat umsetzen. Ebenso können andere Umzugspläne schnell gefasst oder verworfen werden. Vor allem die Größe des „Zielobjekts“, also die Fläche der neuen Wohnung, ist keine statische Größe und wird auch davon abhängen, was sich Umzugswillige leisten können und wollen. Die Liste der Reaktionsmöglichkeiten privater Haushalte ließe sich fortsetzen, umso mehr, wenn man an noch die Wahlmöglichkeiten in Bezug auf den konkreten Wohnort innerhalb eines Großraums denkt: Wer ins Umland zieht, ist kein Nachfrager mehr in der Innenstadt.

Da die Familiengröße vermutlich nur wenig von den Gegebenheiten des Wohnungsmarkts determiniert wird, sind vor allem die Ansiedlungs- und Umzugsentscheidungen der Haushalte sowie die Größenwünsche von ausschlaggebender Bedeutung. Viele Familien und Singles, sowohl ausländische Zuwanderer als auch bereits in Deutschland Wohnende, zieht es in die großen Städte, wo Wohnungen ohnehin schon Mangelware sind. Daher steigt die Anzahl der benötigten Wohnungen immer weiter an, was letzten Endes eine Folge der Attraktivität dieser Regionen ist. Daraus ergibt sich die unausweichliche Notwendigkeit, neue Wohnungen zu bauen. Die Frage, wie groß diese Wohnungen sein sollten, ist ungleich schwieriger zu beantworten, da die Flächennachfrage von Einkommen und Mietpreisen abhängt. Beides ändert sich mit der Zeit, und damit auch die benötigte Wohnfläche.

Die Wirkung steigender Mietpreise

Es mag kalt und herzlos wirken – aber eine kurzfristige Entspannung angespannter Wohnungsmärkte ist nur über Verringerung der Nachfrage, nicht über Angebotsanpassungen zu erreichen. Verhalten sich die Märkte nach Lehrbuch, so führen steigende Preise zu einer sinkenden Nachfrage[2]. Unter dieser Prämisse geht von hohen oder steigenden Mieten die „richtige“ Wirkung aus. Allerdings ist es keinesfalls ausgemacht, dass die Nachfrager, also letzten Endes alle Privathaushalte, so reagieren. Verschiedene Gründe sorgen dafür, dass die Nachfrage nur langsam sinkt, wenn die Mietpreise spürbar steigen. Einerseits fragen die Privathaushalte nicht nur einfach Wohnfläche nach, sondern fast immer eine ganze Wohnung. In dieser Frage können die Haushalte nur wenig Kompromisse machen. Somit bleibt die Nachfrage, ausgedrückt in der Zahl der nachgefragten Wohneinheiten, vergleichsweise stabil. Sie kann sich auf kleinere Wohnungen verlagern, die preiswerter sind als große. Dann sinkt die nachgefragte Fläche, aber nicht die Zahl der nachgefragten Wohnungen.

Der Mietpreis in einem Mietverhältnis, das schon lange besteht, ist häufig signifikant niedriger als der aktuelle Marktpreis. Für den Mieter einer großen Wohnung entfällt der Anreiz zum Umzug in eine kleinere Wohnung, wenn der Quadratmetermietpreis dort so hoch ist, dass die kleinere Wohnung genauso viel oder sogar mehr kostet als die große, die er bewohnt.

Nicht zuletzt wirken außerökonomische Gründe wie die emotionale Bindung oder die Angst vor Veränderung der Suche nach kleineren Wohnungen entgegen.

Insgesamt sprechen sowohl die tatsächlichen Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten als auch die dargelegten Mechanismen dafür, dass die Wohnungsnachfrage eine geringe Preiselastizität aufweist, zumindest bei einer kurzfristigen Betrachtung.

So spricht vieles dafür, dass ein hoher Mietpreis vor allem bei der Wohnungssuche, die ohnehin stattfindet, eine Minderung der Flächennachfrage bewirkt. Auslöser der Wohnungssuche sind häufig der Auszug aus dem Elternhaus, die Beendigung von Partnerschaften, der Zuzug aus einer anderen Stadt und Geburten, also wiederum außerökonomische Gründe.

Die Folge hoher Mieten wäre im Einzelfall, dass eine Familie mit zwei Kindern bei einem durchschnittlichen Einkommen nur noch eine 50-m²-Wohnung am Stadtrand bezahlen kann. Ob die Gesellschaft dies hinnimmt, und mit welchen Eingriffen sie derartige Folgen lindert, ist eine ethische, soziale und politische Frage. Der freie Markt kann sie aus den oben beschriebenen Gründen, zumindest in Ballungsräumen, nicht lösen.

Insgesamt bleibt aber der Mietpreis einschließlich der Nebenkosten der einzige nennenswerte Parameter, der Wohnungsmieter von Flächenverschwendung abhält und zugleich den Vermieter zu einem hohen Servicelevel veranlasst. Zwangsweise herabgesetzte Mieten führen zu vergrößerter Nachfrage. Zugleich nehmen sie dem Vermieter den Grund, sich um Instandhaltung, Service und Modernisierung zu kümmern. Es lohnt sich dann nicht, Geld in die Immobilie zu stecken, weil die fixierte Miete auch ohne Investitionen zuverlässig erzielbar ist. Geht ein frustrierter Mieter, stehen zehn oder hundert Interessenten Schlange.

Teil 2 des Artikels widmet sich den verschiedenen Eingriffen ins Marktgeschehen, die sich in der öffentlichen Diskussion befinden.

--------------------------

[1] Durchschnittlich kostete die Schaffung eines Quadratmeters Wohnfläche inklusive Grundstück in Deutschland 2023 5.150 €/m², ohne Anschaffungsaufwand für das Baugrundstück rund 4.000 €/m². Vgl. o. Verf.: Wohnungsbau in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, GuG-aktuell 2024, S. 3.
[2] So beispielsweise in einer Befragung des EY Trendbarometer: Der These „Steigende Nebenkosten können zukünftig zu einem abnehmenden Flächenverbrauch pro Kopf führen“ stimmen 81 Prozent der Befragten zu („stimme zu“ oder „stimme eher zu“). Ernst & Young Real Estate (Hrsg.): Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2023, S. 31.