Mehr Wachstum und Wohlstand durch Militärausgaben?
Da Deutschland gegenwärtig nicht verteidigungsfähig sei und gleichzeitig die Konjunktur lahme, will IfW-Chef Moritz Schularick aus der Not eine Tugend machen: Mit mehr Ausgaben für Rüstung solle das Wachstum angekurbelt werden.
Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, hat den Stein der Weisen gefunden: Deutschland stecke in der Wirtschaftskrise und das Land sei laut Bundesverteidigungsminister Pistorius zur Zeit nicht verteidigungsfähig, so Schularick in einem wirtschaftspolitischen Beitrag mit dem Titel „Aufrüsten für den Wohlstand“ für Kiel Focus. Die Lösung: „Mit mehr Rüstungsausgaben das Wachstum ankurbeln und Tyrannen mehr Stirn bieten.“
Forderung nach entschlossenem Gegensteuern
Das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr gehe zur Neige, so Schularick. Der Finanzrahmen für den regulären Bundeshaushalt sehe nur gut 50 Milliarden Euro oder 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die kommenden Jahre vor. Für Schularick ist das viel zu wenig. Erforderlich sei eine Steigerung der deutschen Militärausgaben auf 150 Milliarden Euro jährlich bis zum Ende des Jahrzehnts. Die USA gäben gegenwärtig weit mehr – nämlich etwa 3,5 Prozent des BIP – für Verteidigung aus, obwohl sie – anders offenbar als Deutschland und das übrige Europa – „von Putins Regime unmittelbar kaum bedroht“ seien und sich in der jüngeren Vergangenheit weniger nachlässig bei der Sicherung ihrer Verteidigungsfähigkeit verhalten hätten.
Mehr eigene Rüstungsaktivitäten sind laut Schularick auch deshalb wichtig, weil Donald Trump bereits Zweifel am weiteren Bestand der US-amerikanischen Sicherheitsgarantie gesät habe und damit die US-Waffenproduktion im Blick haben könnte. Wenn Trump im Herbst die US-Wahl gewinne und Europa aufgrund der wachsenden Unsicherheit über das zukünftige Verhalten der USA seine Verteidigungsausgaben erhöhe, werde sich die Nachfrage möglicherweise auf den „Waffensupermarkt USA“ richten.
Um das zu verhindern, sollten Deutschland und Europa mehr eigene Kapazitäten in der Rüstungsproduktion aufbauen, „um mit europäischen Waffen sich selbst verteidigen und die Ukraine gegen die russische Aggression unterstützen zu können“. Dies bedeute, der Rüstungsindustrie „Planungssicherheit durch langfristige Abnahmeverträge zu attraktiven Preisen“ zu geben, so dass Rüstungsunternehmen einen Anreiz erhielten, Investitionen in Europa vorzunehmen. Den Regierungen werde damit der Kauf von Waffen „Made in Europe“ ermöglicht.
Eine Anhebung der Verteidigungsausgaben würde gleichzeitig das Wachstum in Deutschland und Europa beflügeln. So zeigten neuere Untersuchungen aus den USA, dass der Multiplikatoreffekt von Verteidigungsausgaben auf das Wachstum des BIP bei nahe 1 liege. Bei einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 100 Milliarden Euro würde also das BIP ungefähr um den gleichen Betrag wachsen – vor allem dann, wenn die Produktion im Inland stattfände.
Spürbare negative Effekte auf den Arbeitsmarkt, der bereits unter Fachkräftemangel leide, und auf die Inflation wären nicht zu erwarten, da das Geld primär für den Aufbau kapitalintensiver Industrien verwendet würde. Hinzu käme ein weiterer positiver Technologie-Effekt:
„Wir können in der Ukraine beobachten, wie sehr die Kriegsführung inzwischen mit technologischen Fähigkeiten und Innovationen verwoben ist. Investitionen in Rüstung sind daher auch Investitionen in Technologie, und dies hätte mittelfristig positive Auswirkungen auf den Rest der heimischen Wirtschaft.“
Offenkundig bezieht sich Schularick hier auf die oft behaupteten sogenannten Spin-off-Effekte: Danach bringen militärisch motivierte Forschungs- und Entwicklungsprojekte neue Technologien hervor, die dann auch zivil genutzt werden könnten.
Der IfW-Chef spricht sich dafür aus, die von ihm geforderten Mehrausgaben über die Aufnahme neuer Kredite zu finanzieren. Wie das mit der Schuldenbremse vereinbar sein soll, wird in dem Artikel nicht recht deutlich, aber Schularick legt in einem späteren Interview nach: „Um das zu erreichen, könnte die Regierung etwa die Schuldenbremse aussetzen oder ein neues Sondervermögen beschließen. Wer sich dagegen aus dogmatischen Gründen neuen Krediten verweigert, stellt Partei über Land“, so Schularick an die Adresse von Finanzminister Christian Lindner (FDP), der auf einem strikten Sparkurs besteht.
Der unreproduktive Charakter von Rüstungsgütern
Um den Vorschlag Schularicks beurteilen zu können, ist es zunächst wichtig zu wissen, dass es sich bei Militärausgaben um unreproduktive Ausgaben handelt, das heißt, um Ausgaben für unreproduktive Gebrauchswerte, wie an anderer Stelle ausführlicher erläutert. Als unreproduktiv werden diejenigen Gebrauchswerte bezeichnet, die nicht von neuem in den Produktionsprozess eingehen, die sich weder in der gleichen noch in einer anderen stofflichen Form reproduzieren und die also weder Produktionsmittel noch Lohngüter sind.
Das heißt: Rüstungsgüter dienen nicht der Kapazitätserweiterung oder -erneuerung und können folglich auch keine allgemeine Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch Neuanlagen von Kapital auf Basis innovativer oder verbesserter Technologie bewirken. Bezüglich des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses sind sie – ökonomisch betrachtet – funktionslos, eben unreproduktiv.
Die bedeutende britische Ökonomin Joan Robinson merkt zu den ökonomischen Aspekten von Rüstungsausgaben bissig an:
„Investitionen in Rüstungsgüter tragen noch weniger zur Produktionskapazität bei, wenn sie genutzt werden, als wenn sie ungenutzt bleiben, während Investitionen in die Basisindustrie eine Steigerung der Investitionen ermöglichen und eine Spirale des sich selbst antreibenden Wachstums in Gang setzen“ (S. 125; Übersetzung durch den Verf.).
Negative Auswirkungen auf zivile Produktion und Ressourcen
Anders als Schularick offenbar glaubt, sind eine Steigerung der Rüstungsausgaben und eine Expansion der Rüstungsindustrie aus mindestens zwei Gründen für die übrige Volkswirtschaft von Nachteil.
Das erste Problem liegt auf der Hand: Würden die Ausgaben, die für Rüstungsgüter getätigt werden, für zivile, reproduktive Zwecke verwendet – also etwa für Straßen, Schienen- und Wasserwege, Kommunikationsnetze, Energieinfrastruktur, aber auch für Bildung, Gesundheit, Wohnungswesen etc. –, so würden sie zu einer Erhöhung der Produktivität und/oder einer verbesserten Versorgung der Bevölkerung beitragen.
Gelegentlich wird hier eingewandt, dass Keynes aber argumentiert habe, dass es letztendlich gleichgültig sei, welche Ausgaben der Staat erhöhe, um eine Krise, die durch Arbeitslosigkeit und unausgelastete Kapazitäten charakterisiert sei, zu überwinden. So sei es als Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit besser, Arbeitskräfte dafür zu bezahlen, Löcher in den Boden zu graben und wieder aufzufüllen, als nichts zu tun. Denn die Löhne würden für Waren und Dienstleistungen ausgegeben, die sonst nicht produziert würden.
Jedoch weist Keynes in seiner General Theory explizit darauf hin, dass es viel sinnvoller sei, Arbeitsplätze bereitzustellen, die etwas Nützliches schaffen. Er stellt fest, dass zwar in anderen Zeitaltern selbst der Bau von Pyramiden, Kathedralen oder mächtigen Herrenhäusern die effektive Nachfrage aufrechterhalten habe, fährt dann aber fort:
„‘Das Graben von Löchern im Erdboden‘, bezahlt aus Ersparnissen, wird nicht nur die Beschäftigung, sondern auch das reale Nationaleinkommen in Form von nützlichen Waren und Dienstleistungen vermehren. Es ist jedoch nicht vernünftig, dass sich ein verständiges Gemeinwesen damit begnügen sollte, von solchen zufälligen und oft verschwenderischen Linderungen abhängig zu bleiben, nachdem wir einmal die Einflüsse verstanden haben, von denen die effektive Nachfrage abhängt" (Seite 220; Übersetzung durch den Verf.)
Joan Robinson und John Eatwell kommentieren dies mit dem richtigen Hinweis, dass die Paläste und Grabmäler zumindest der Nachwelt einige prächtige Denkmäler zum Bewundern hinterließen, was man von der Produktion von Waffen nicht behaupten könne, die (hoffentlich) veraltet seien, bevor sie benutzt würden.
Der zweite Nachteil hängt mit dem ersten zusammen: Nicht nur die eigentliche Herstellung von Rüstungsgütern entzieht der übrigen Volkswirtschaft reale Ressourcen (Arbeitskräfte, Produktionskapazität, Technologie, Wissen, Rohstoffe), die dann nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügung stehen, sondern auch die Forschung, die der Entwicklung immer neuer Waffensysteme dient und die vor allem qualifizierte Arbeitskräfte absorbiert: In Deutschland etwa suchen die Rüstungsunternehmen aktuell überwiegend hochspezialisierte Ingenieure – vor allem Entwicklungs- und Systemingenieure –, IT-Experten und Projektleiter, wie das Handelsblatt berichtet.
Überschätzte Spin-off-Effekte
Nun wird oft – nicht nur von Schularick - behauptet, dass technologischer Fortschritt in der militärischen Produktion dem zivilen Industriesektor durch "Spin-offs" (d. h. den Transfer von Wissen, neuen Herstellungsverfahren und/oder Produkten vom militärischen auf den zivilen Sektor) zugutekommt.
Zweifellos gibt es solche erfolgreichen Spin-offs (bekannte Beispiele sind Düsentriebwerke oder Teflon), aber ihre Bedeutung und Wirksamkeit sind höchst umstritten. So räumt Michael Brzoska vom renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) ein, dass es zwar eine Zeit gegeben haben mag, z.B. in den 1940er und 1950er Jahren, in der die Militärforschung die Wirtschaft in relativ starkem Maße angeregt habe.
Damals hätten zum einen Wachstumsbranchen wie die Luft- und Raumfahrt und die Elektronik vom Umfang der Ausgaben profitiert, zum anderen sei die militärische Forschung möglicherweise auch eher bereit gewesen, technologische Risiken einzugehen als der zivile Sektor. Dies habe sich jedoch mit der Reifung der Industrien geändert. Studien ab den 1960er Jahren kämen zu dem Schluss, dass die Verteidigungsforschung das Wirtschaftswachstum weniger effektiv stimuliere als die zivile Forschung. Darüber hinaus bestätigten Fallstudien zu bestimmten Industriezweigen wie Elektronik und Informationstechnologien die führende Rolle der zivilen Forschung.
In der Tat sollten die positiven Effekte militärischer Forschung und Entwicklung auf den technischen Fortschritt und – damit verbunden – auf Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum nicht überschätzt werden. Spätestens seit den 1970er Jahren haben sich zivile und militärische Technologien zunehmend auseinanderentwickelt. Die Rüstungsforschung und -entwicklung ist – nicht zuletzt durch militärische Vorgaben – anwendungsspezifischer geworden. Eine wachsende Komplexität mit immer mehr technischen Feinheiten und eine zunehmende Spezialisierung haben zu einer Eigendynamik bei militärischen Technologien geführt, die eine zivile Anwendung schwieriger gestaltet: Oft müssen militärische Neuerungen einem zusätzlichen aufwendigen Innovationsprozess unterzogen werden, bevor sie zivil genutzt werden können. Kurzum: Die Bedeutung der Rüstungstechnologie für die Entwicklung neuer ziviler Produkte und Produktionsverfahren nimmt ab.
Und nicht nur das: Wie oben bereits angedeutet, hat sich die Richtung der Spin-off-Effekte mit dem steigenden Anteil von Elektronik in allen Waffensystemen mittlerweile fundamental verändert, wie Weingarten/Wilke/Wulf für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in einer Untersuchung in Bezug auf Deutschland zeigen:
Heutzutage zählen Elektronikmodule zum normalen Ausrüstungsstand im gesamten Anlagen-, Fahrzeug- und Maschinenbau. Die vorgenommenen Forschungs- und Entwicklungsausgaben für die zivilen Märkte übertreffen die Ausgaben im militärischen Bereich um ein Mehrfaches. Die technologischen Führungsrollen sind mithin auf zivile Anwendungen übergegangen: Wie auch andere neuere Untersuchungen zeigen, erfolgt der Technologietransfer inzwischen vielfach von der zivilen hin zur militärischen Anwendung und nicht etwa umgekehrt, d.h. es kommt zu einem zivilen Spin-off in militärische Nutzung (zivile Komponenten werden in militärische Systeme integriert). So finden etwa technologische Innovationen bei Smartphones, elektronischer Bildtechnik und IT-Software nach erfolgreicher Einführung auf zivilen Märkten ihren Weg in die Fortentwicklung militärischer Produkte.
Aber selbst wenn man der militärischen Forschung und Entwicklung (weiterhin) eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung für den technischen Fortschritt und damit – gewissermaßen auf Umwegen – für das Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum zuschreibt, darf nicht vergessen werden, dass es eine sinnvollere und im Regelfall auch erfolgreichere Strategie ist, Forschung auf bestimmte Ziele auszurichten, als auf unbeabsichtigte Nebenprodukte anderer Forschungsaktivitäten zu setzen. Joan Robinson schreibt in diesem Zusammenhang:
„Es wird oft festgestellt, dass viele wertvolle Entdeckungen ein Nebenprodukt der militärischen Entwicklung sind. Dies gilt nicht für die Forschung in der Dritten Welt, die lediglich der Anwendung der in den Machtzentren gemachten Entdeckungen dient. In den Zentren selbst kann nicht behauptet werden, dass militärische Forschung und Entwicklung ein besserer Weg zur Lösung wirtschaftlicher oder medizinischer Probleme ist als die direkte Anwendung der Forschung auf diese Probleme“ (Seite 126; Übersetzung durch den Verf.).
Zur Empirie: Der Multiplikator für Verteidigungsausgaben
Wie oben dargestellt, untermauert Schularick sein Plädoyer für eine Ausweitung der Verteidigungsausgaben damit, dass neuere Studien aus den USA – beispielsweise von der Ökonomin Valerie Ramey und Co-Autoren – zeigten, dass der Multiplikator für Verteidigungsausgaben bei etwa eins liege. Dies ist aus zwei Gründen nicht überzeugend:
Erstens kommt die vielleicht umfassendste Auswertung der wissenschaftlichen Literatur zu den Effekten der Verteidigungsausgaben auf das Wirtschaftswachstum, die der Politikwissenschaftler Bryan Rooney und die Ökonomen Grant Johnson und Miranda Priebe im Jahr 2021 vorgelegt haben (und die auch die Studien von Ramey ohne und mit Co-Autoren enthält), zu weniger eindeutigen Ergebnissen:
In den Studien, die die Verteidigungsausgaben isoliert oder auch stellvertretend für alle Staatsausgaben untersuchen, finden die Wissenschaftler im Allgemeinen einen Multiplikator zwischen 0,6 und 1,2, was bedeutet, dass eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 1 Dollar zu einem Anstieg des BIP zwischen 0,60 Dollar und 1,20 Dollar führen würde. Wo genau die Schätzungen innerhalb dieser Spanne liegen, hängt von dem Stichprobenzeitraum und der Art der Berechnung des Multiplikators ab. Interessanterweise liegen die Multiplikatoren für Verteidigungsausgaben in neueren Studien eher am unteren Ende des Spektrums. Diese Studien verwenden Daten über eine längere Zeitspanne, berechnen Multiplikatoren für verschiedene Zeiträume und setzen nach Ansicht von Rooney und Kollegen geeignetere Verfahren zur Berechnung der Multiplikatoren ein.
Zum Vergleich: Der Multiplikator für Infrastrukturinvestitionen
Zweitens sind Multiplikatoren erst dann wirklich aussagekräftig, wenn man sie mit alternativen Multiplikatoren vergleicht, hier also den Multiplikator für Verteidigungsausgaben mit demjenigen für andere Ausgaben. Nur so lassen sich Hinweise finden, ob die begrenzten realen Ressourcen, die einem Land zu jedem Zeitpunkt für die Produktion zur Verfügung stehen, effizient und sinnvoll genutzt werden bzw. ob nicht statt Militärausgaben besser in gleicher Höhe andere Staatsausgaben vorgenommen werden sollten.
So verfahren auch Rooney und Kollegen, die anhand ihrer Auswertung der wissenschaftlichen Literatur analysieren, wie sich Infrastrukturausgaben im Vergleich mit Verteidigungsausgaben in der Vergangenheit auf das Wirtschaftswachstum ausgewirkt haben. Infrastrukturausgaben zählen – anders als Militärausgaben – zu den reproduktiven Staatsausgaben, die der gesellschaftlichen Reproduktion des Kapitals (bzw. der Herstellung bestimmter allgemeiner Bedingungen dieser Reproduktion auf der Ebene des realen Produktionsprozesses) sowie der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeitskraft dienen. Zahlreiche Studien zeigen, dass Infrastrukturinvestitionen langfristig das Wachstum fördern, da sie Brücken, Straßen-, Schienen- und Telekommunikationsnetze und anderes öffentliches Kapital schaffen, das die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft im Laufe der Zeit erhöht.
Rooney et al. betrachten zunächst Untersuchungen, die sich mit den Effekten von Infrastrukturinvestitionen in OECD-Ländern befassen. Diese Studien finden langfristige Multiplikatoren für Infrastrukturinvestitionen von über 1,5.
Aber auch Studien, die sich ausschließlich auf Infrastrukturinvestitionen in den USA konzentrieren, berichten von einem Multiplikator von mehr als 1,5. Diese Studien analysieren verschiedene Zeitspannen und Arten von Infrastrukturinvestitionen. Zum Beispiel weisen Untersuchungen, die sich mit dem Bau des US-Interstate-Highway-Systems ab den 1950er Jahren und solche, die sich mit Investitionen zur Verbesserung der bestehenden Infrastruktur von 1990 bis 2010 befassen, beide jeweils Multiplikatoren von über 1,5 auf.
Aus der relevanten Literatur lässt sich demnach schließen, dass der Multiplikator für Infrastrukturinvestitionen durchweg über 1,5 liegt – und damit eindeutig höher ist als der Multiplikator für Verteidigungsausgaben. Rooney und Kollegen folgern daraus:
„Dies bedeutet, dass eine Umverteilung von Verteidigungsausgaben zu öffentlichen Infrastrukturinvestitionen das Wirtschaftswachstum langfristig wahrscheinlich steigern würde. Umgekehrt würde eine Verzögerung von Infrastrukturausgaben, um höhere Verteidigungsbudgets zu ermöglichen, dem langfristigen Wachstum wahrscheinlich schaden (Seite 8; Übersetzung durch den Verf.).“
Für die USA etwa heiße dies auch: Die Priorisierung von Verteidigungsausgaben gegenüber Infrastrukturinvestitionen könnte letztendlich nicht nur das Wirtschaftswachstum schwächen, sondern damit auch die für die Verteidigung verfügbaren Ressourcen langfristig unterminieren.
Keine Ausgabenlücke
Die vorangegangenen Überlegungen sollten zeigen, dass die Argumentation, mit erhöhten Rüstungsausgaben ließen sich Wachstum und Wohlstand in Deutschland steigern, wenig überzeugend ist. Eine massive Anhebung der Militärausgaben, wie sie Schularick fordert, ergäbe darüber hinaus allenfalls Sinn, wenn hier eine Ausgabenlücke bestünde, die die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ernsthaft in Frage stellte. Aber ist das so? Mitnichten. Nach Daten des SIPRI ist Deutschland das Land mit den siebthöchsten Militärausgaben der Welt und gehört als NATO-Mitglied einem sicherheitspolitischen Bündnis an, das 55 Prozent der weltweiten Militärausgaben auf sich vereint.
Und was die Bedrohung durch Russland betrifft: Das SIPRI beziffert die militärischen Ausgaben Russlands im Jahr 2023 auf 109,5 Milliarden Dollar. Dem stehen für das gleiche Jahr Militärausgaben der USA in Höhe von 916 Milliarden Dollar und der NATO insgesamt von 1,341 Billionen Dollar gegenüber. Das heißt, die Militärausgaben der USA übertreffen diejenigen Russlands um das 8,4-fache, während die Militärausgaben der NATO sogar um mehr als das 12-fache über denen Russlands liegen. Aber selbst wenn man nur auf die europäischen NATO-Länder blickt, ist keine Ausgabenlücke zu erkennen: Allein die Militärausgaben von Deutschland (66,8 Milliarden Dollar) und Großbritannien (74,9 Milliarden Dollar) zusammengenommen übersteigen 2023 die militärischen Ausgaben Russlands um fast 30 Prozent.
Angesichts dieser Kräfteverhältnisse ist die nicht selten zu hörende Vorstellung, Russland würde nach einem Sieg über die Ukraine als nächstes NATO-Länder wie Polen oder die baltischen Staaten angreifen (oder gar am Ende vor dem Brandenburger Tor stehen), ein abstruses und durch nichts zu belegendes Hirngespinst. Schlimm ist nur, dass solche und ähnliche Fantastereien dazu führen könnten, dass die Militärausgaben in Deutschland tatsächlich deutlich aufgestockt werden – wie von Schularick gefordert. Dass dies in Deutschland zu mehr Wachstum und Wohlstand führen wird, ist allerdings ein weiteres Hirngespinst.