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Infrastrukturpaket
Sondervermögen: Vom Staats- zum Schattenhaushalt
Von Sebastian Müller
| 01. Juli 2025@midjourney
Sondervermögen liegen im Trend – und das hat einen einfachen Grund: Sie sind ein politischer Reflex auf das ökonomisch unhaltbare Dogma der Schuldenbremse. Doch was bedeuten sie für den Staatshaushalt?
Ausgerechnet unter Friedrich Merz beschloss die frischgebackene schwarzrote Koalition im März 2025 das neue „Sondervermögen Infrastruktur“ in Höhe von 500 Milliarden Euro. Mit dem gigantischen staatlichen Investitionsfonds soll auf Jahrzehnte hinaus endlich das kaputtgesparte Land modernisiert werden – Verkehrswege, Digitalisierung, Energieversorgung und Bildung. Die Maßnahme kam mit großem politischen Getöse, flankiert von einer angekündigten Lockerung der Schuldenbremse, um die steigenden Verteidigungsausgaben zu finanzieren.
Was auf den ersten Blick wie ein großer Wurf aussieht, wirft bei näherem Hinsehen grundsätzliche Fragen auf: Was ist der Unterschied zwischen regulärer Kreditaufnahme im Rahmen der Schuldenbremse und einem Sondervermögen? Und vor allem: Was belastet den Bundeshaushalt wirklich – und wann?
Wenn die Schuldenbremse zur Falle wird
Die Schuldenbremse, eingeführt 2009, begrenzt die strukturelle Neuverschuldung des Bundes auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zwar kann der Bund nach wie vor fällige Altschulden (zum Beispiel Bundesanleihen) durch neue Schulden in gleicher Höhe tilgen. Denn die Schuldentilgung erfolgt üblicherweise nicht aus Steuereinnahmen, sondern durch neue Anleihen. Dieses auch als „roll over“ bezeichnete Instrument der Finanzsteuerung ist internationaler Standard und kein Problem, solange die Märkte Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Staates haben oder die Zentralbank – im Falle Europas die EZB – den Ankauf von Staatsanleihen garantiert.
Allerdings dürfen seit dem Greifen der Schuldenbremse bei der Umschichtung keine zusätzlich neuen Schulden mehr aufgenommen werden. Nur in außergewöhnlichen Notlagen oder bei spezifischem Bedarf kann der Bundestag Ausnahmen beschließen.
In den Jahren 2014 bis 2021, als die EZB eine Null- oder Negativzinspolitik verfolgte, hat der Bund durch diese Umschichtungen sogar faktisch Gewinne erzielt. So sanken die Zinsausgaben des Bundes von über 40 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf unter 4 Milliarden Euro im Jahr 2021. Das erklärt zum Teil, warum die „schwarze Null“ unter dem damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble überhaupt möglich war – sie war ein Resultat geldpolitischer Bedingungen, nicht der Sparpolitik.
Mit dem Zinsanstieg seit 2022 kehrt sich dieser Effekt nun um. Der Bund muss heute wieder deutlich mehr Zinsen zahlen – und jede Umschuldung verteuert sich. Jetzt werden Schulden, die im Rahmen der Schuldenbremse aufgenommen werden, zur Falle, weil sie den Bundeshaushalt unmittelbar belasten: Zinsen und Tilgung müssen jährlich aufgebracht werden und konkurrieren mit anderen Ausgaben. Mit anderen Worten: Der Staat ist seiner fiskalischen und konjunkturpolitischen Flexibilität beraubt.
Ein Beispiel: Bei einer Kreditaufnahme von 100 Milliarden Euro, einem Zinssatz von 3 Prozent und einer Laufzeit von 20 Jahren ergibt sich eine jährliche Tilgung von 5 Milliarden Euro. Im ersten Jahr beträgt die Zinslast 3 Milliarden Euro, sodass der Haushalt um 8 Milliarden Euro belastet wird. Über fünf Jahre ergibt sich eine kumulierte Ausgabenlast von rund 38,5 Milliarden Euro – sichtbar und real.
Sondervermögen: Entlastung heute, Belastung morgen
Anders beim Sondervermögen. Diese Konstruktion lagert die Kreditaufnahme buchhalterisch aus dem Bundeshaushalt aus. Es handelt sich um ein rechtlich selbstständiges Konto mit eigener Finanzierung und Zweckbindung. Politisch wird dies häufig genutzt, um massive Investitionen außerhalb der Schuldenbremse zu ermöglichen – ohne dass die offiziellen Haushaltskennzahlen direkt steigen.
Doch: Auch ein Sondervermögen ist kein Geschenk. Die Bundesrepublik haftet dafür, und Zinsen wie Tilgung müssen früher oder später bedient werden – in der Regel aus zukünftigen Haushalten.
Im selben Beispiel (100 Milliarden Euro bei 3 Prozent) würde der Bund bei einem Sondervermögen nur die Zinsen von jährlich 3 Milliarden Euro zahlen, die Tilgung würde auf unbestimmte Zeit gestreckt. In den ersten fünf Jahren entstünden also nur 15 Milliarden Euro an sichtbarer Belastung – 23,5 Milliarden weniger als bei regulärer Haushaltsaufnahme.
Das wirkt entlastend, doch die Tilgung bleibt fällig – nur eben in der Zukunft. Zudem sinkt die Transparenz der Staatsfinanzen erheblich. Der Haushalt erscheint gesünder als er ist.
Rechnen wir nun mit der realen Größenordnung des aktuellen Infrastrukturpakets: Zinslasten von 3 Prozent bedeuten bei 500 Milliarden Euro jährlich 15 Milliarden Euro an Haushaltsbelastung, die direkt in den Bundeshaushalt einfließen – ob mit oder ohne Schuldenbremse. Über fünf Jahre summieren sich 500 Milliarden Euro und 3 Prozent Zinsen auf 75 Milliarden Euro – ohne dass ein einziger Cent getilgt wurde.
Wäre diese Summe über den regulären Haushalt finanziert worden, läge die Belastung nach fünf Jahren bereits bei knapp 193 Milliarden Euro, inklusive Tilgung. Die Differenz – über 100 Milliarden Euro – ist eine „Haushaltsillusion“: Die tatsächliche Verschuldung des Staates bleibt gleich, nur ihr Zeitpunkt und ihr Ort im Finanzsystem verändern sich.
Gleichwohl sind Sondervermögen kein per se illegitimes Instrument. Sie können Investitionen ermöglichen, wo politische Blockaden oder kurzfristige Fiskalziele sonst lähmen würden. Grundsätzlich gibt es gute Gründe, den Schuldendienst als dynamisches Instrument zu betrachten – und Schulden je nach wirtschaftlichem Bedarf zu kürzen oder zu strecken. Mit anderen Worten: statt eines linearen Tilgungsplans kann eine flexible und „funktionale Finanzpolitik“ durchaus sinnvoll sein.
Doch der massive Einsatz von Sondervermögen ersetzt keine haushaltspolitische Strategie oder die dringend notwendige Reform der Schuldenbremse, sondern nur Grundsatzdebatten durch Buchungstricks.
Mit anderen Worten: Die immer neuen Sondervermögen sind vor allem ein politischer Reflex auf das ökonomisch unhaltbare Dogma der Schuldenbremse. Damit reduziert sich aber der Spielraum der öffentlichen Haushalte in der Zukunft.
Jenseits der Schuldenbremse: Zurück in die Zukunft?
Vor der Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009 (in Kraft ab 2011) war die Umschichtung von Schulden und die allgemeine Fiskalpolitik des Bundes deutlich flexibler – sowohl rechtlich als auch politisch. Es gab Begrenzungen, aber keine verfassungsrechtlich fixierte Pflicht zum strukturellen Haushaltsausgleich (der übrigens langfristig weder möglich noch ökonomisch wünschenswert ist).
Zwar durfte der Bund grundsätzlich nur so viele neue Kredite aufnehmen, wie er für Investitionen benötigte – die sogenannte „goldene Regel der Finanzpolitik“. In Ausnahmefällen, zum Beispiel bei konjunkturellen Störungen, konnte die Investitionsgrenze indes überschritten werden. Ohnehin wurde diese Regel in der Praxis sehr weit ausgelegt, bei der auch konsumtive Ausgaben als investiv deklariert wurden.
Entscheidend aber: Da keine verpflichtende strukturelle Tilgungsvorgabe existierte, musste der Bund alte Schulden nicht abbauen, sondern konnte sie dauerhaft prolongieren. Damit war eine aktive Konjunkturpolitik möglich, wie sie der keynesianischen Theorie entspricht. Auch Zinsaufwendungen wurden – mit der Schuldenbremse nicht mehr möglich – häufig durch neue Kreditaufnahme refinanziert. Das trug langfristig zum Anstieg der Staatsschulden bei, was bei einer wachsenden Volkswirtschaft indes ein völlig normaler und unproblematischer Vorgang ist.