Was wir vom Roten Wien für die Wohnungspolitik lernen können
Max Schneider hat in seinem Artikel aus der letzten Ausgabe betont, dass Wohnungspolitik vor allem an der Angebotsseite ansetzen müsse. Ein Wohnungsbauprogramm nach Vorbild "Rotes Wien" kann helfen. Eine Skizze.
Der „freie Wohnungsmarkt“ kann das Problem des „leistbaren Wohnens“ nicht lösen - niemals und nirgendwo! Erst wenn es gelingt, eine wirksame und effiziente Gegenkraft zur Angebotsmacht der Investoren auf dem Wohnungsmarkt aufzubauen, rückt eine Lösung in Reichweite, die Wohnkosten für alle Einkommensschichten und insbesondere für die untere Hälfte der Bevölkerung, bezahlbar macht.
Die Marktmacht in der freien Wohnungswirtschaft besteht darin, dass das Angebot für Wohnraum als essenzielles, nicht-substituierbares Bedarfsgut von den Kapitalrenditen der beteiligten Investoren in der Wertschöpfungskette des Wohnungsbaus (Grund- und Bodeneigentum, Wohnungshochbau, Wohnbauträger) abhängig ist – und dass die Renditeerwartungen durch die Preissetzungsmacht der Anbieter für Miet- und Eigentumswohnungen abgesichert werden. Dadurch wird der Wohnraumbedarf zumindest der unteren Bevölkerungshälfte regelmäßig und zwangsläufig aus der Leistbarkeitsgrenze (Anteil der Wohnungskosten aus Miete und/oder Finanzierungsbelastung am verfügbaren Monatseinkommen der Wohnungsmieter oder Eigentumswohnungsbesitzer) hinausgepreist.
Dagegen hilft das Konzept der sozialen Wohnungswirtschaft in Gestalt des kommunalen und gemeinnützigen Wohnungsbaus – zumindest, wenn die Rahmenbedingungen für dieses Wohnungsmarktsegment wirkungsvoll und leistungsfähig konzipiert werden. Ein historisches Beispiel mit anhaltender Nachwirkung über fast ein Jahrhundert für diese Art der Kommunalisierung des Wohnungsbaus bietet das „Rote Wien“ und seine Wohnbaupolitik in den Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren (vor den beiden Faschismen) des vergangenen Jahrhunderts. Aus Mitteln einer vermögensbezogenen Kommunalsteuer forciert, drängte der „Gemeindebau“ den kommerziellen Wohnungsbau deutlich aus dem Markt.
In die Gegenwart übertragen müsste die Kommunalisierung des gemeinnützigen Wohnungsbaus an folgende Voraussetzungen geknüpft werden:
- Einführung eines generellen Mietpreisdeckels in der Gestalt von differenzierten Kategorienmieten, die sich an Lage, Größe und Ausstattung der Wohnungen im Bestand und Neuzugang orientieren. Dadurch wird die Preissetzungsmacht der Anbieter reguliert und die Renditeerwartungen der Investoren moderiert.
- Einführung einer Leerstandsbesteuerung mit lenkungsfähigen Steuersätzen, die bei spekulativem Rückbehalt des verfügbaren Wohnraums über den Eigenbedarf hinaus zu einer gesicherten Vermögensentwertung führt. Dadurch bleibt der ungenützte und unvermietete Wohnungsbestand im Markt und wird die Assanierung (österreichisch für eine umfassende hygienische, soziale oder technische Verbesserung einer Bebauung – Anm. d. Red.) von Altbauwohnraum attraktiv, weil die Kategorienmieten die Vermögenssicherung unterstützen.
- Einführung einer Bodenspekulationssteuer, die Spekulationsgewinne aus temporärer Bodenverknappung konsequent abschöpft (und den Steuerertrag dem kommunalen Wohnbau zur Verfügung stellt), wobei von einer demografisch normalisierten Bodenpreisentwicklung ausgegangen wird, sodass die raumordnungsgemäße Wohnbauflächenwidmung stets der vollen Deckung des Wohnraumbedarfs entspricht. Dadurch wird der dominante Kostentreiber am Ursprung der Wertschöpfungskette des Wohnungsbaus in Form des Aufwands für die Grundstücksbeschaffung unter Kontrolle gebracht.
Durch die drei genannten Steuerungsmaßnahmen würde das kommerzielle Wohnungsangebot über einen Anpassungszeitraum mehr oder weniger stark sinken, sodass durch den kommunalen Wohnungsbau wirksame Kompensation geschaffen werden müsste.
Zur Wiederbelebung des kommunalen Wohnungsbaus (Kommunalisierung des Wohnungsneu- und -assanierungsbaus) wird ein nationaler Wohnbaufinanzierungsfonds eingerichtet, der aus gewidmeten Steuermitteln (vorzugsweise vermögensbezogenen Steuern) und/oder den Emissionserlösen aus Staatsanleihen refinanziert wird.
Im Verschuldungsfall können die Vorzüge der nationalen oder supranationalen Geldsouveränität zum Tragen kommen, weil über das Instrument der monetären Staatsfinanzierung ein rollierender Refinanzierungsrahmen der Notenbank mit Zinskostenersparnis durch die fiskalische Seigniorage – der Zinsaufwand für die Anleihen wird durch die Gewinnausschüttung der Notenbank an den staatlichen Anleiheschuldner teilweise kompensiert – eröffnet werden könnte.
Die „Wohnungsnot“ als Mangel an leistbarem Wohnraum wurde selbst von der aktuell amtierenden Europäischen Kommission Von der Leyen II (Legislaturperiode 2024-29) als eines der akuten und hauptsächlichen Wohlstandshemmnisse für die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung quer durch das gesamte Unionsgebiet erkannt. Mit der Einrichtung eines eigenen Kommissariats für „Energie und Wohnungswesen“ wurde die Herausforderung zumindest dem Augenschein nach angenommen und mit der Kombination dieser beiden Materien eine institutionelle Plattform mit hohem Potenzial für die ökologisch-soziale Transformation geschaffen.
Indes wurde im „Mission Letter“ der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an den „EU-Kommissar fürs Wohnen“ Dan Jörgensen das Wohnungswesen ganz im Sinne der „Wettbewerbsagenda“ der neuen Kommission recht stiefmütterlich und einschränkend behandelt.
Aber immerhin ist in diesem Auftragsschreiben festgehalten, den "ersten europäischen Plan für erschwingliches Wohnen voranzutreiben" sowie "dem Wohnungsmarkt Liquidität zu verschaffen und die geplanten Investitionen der Kohäsionspolitik in bezahlbaren Wohnraum zu verdoppeln" (Übersetzung durch die Redaktion). Letzteres geschehe in Kooperation mit dem für Kohäsion zuständigen Vizekommissionspräsidenten.
Wenn der neue Kommissar für das Wohnungswesen etwas schaffen möchte, das über die kommissionstypische Bilanzkosmetik mit notorisch bescheidener Wirkung hinausreicht, dann macht er sich für „EU-Wohnbaumilliarden“ aus einer Neuauflage der Aufbau- und Resilienzfazilität stark, welche ursprünglich aus dem postpandemischen Wiederaufbaufonds stammt. So könnten nicht-rückzahlbare und zweckgebundene EU-Finanzhilfen über die Budgets der Unionsmitglieder direkt in die nationalen Wohnbaufinanzierungsfonds fließen, um kommunale Wohnbauträger zinskostenfrei zu finanzieren.
Dabei braucht der Kommissar für Wohnungswesen starke Unterstützung gegen den Widerstand der „Frugalen der deutschen Stabilitätskultur“ – möglicherweise mit Kanzler Friedrich Merz als neuem Wortführer gegen Gemeinschaftsschulden jenseits der militärischen Rüstungsfinanzierung. Vom linkssozialdemokratischen Vizekanzler der österreichischen Dreierkoalition Andreas Babler, der für das Wohnungswesen zuständig ist, wäre sie sicher zu haben.
Wie auch immer die Wohnbaufinanzierungsfonds mit finanziellen Mitteln versorgt werden – aus den laufenden Budgets der Unionsmitglieder oder aus EU-Finanzhilfen – sie müssen in der Lage sein, den gemeinnützigen kommunalen Wohnbauträgern zinslose Wohnbaudarlehen mit säkularen Laufzeiten zur Verfügung zu stellen. Konkret heißt das: bis zu 50 Jahre als zeitliche Reparaturgrenze solide gebauter, mehrgeschossiger Wohnungsobjekte.
Im Kontext der einleitend angeführten Steuerungsmaßnahmen ergibt sich ein dreifacher Kostenvorteil für den kommunalen Wohnungsbau:
- Die Grundstücksbeschaffungskosten werden begrenzt oder die Spekulationsgewinne fließen über den fiskalischen Ertrag in den Wohnbaufinanzierungsfonds und stützen den Beschaffungsaufwand für das gewidmete Bauland.
- Die Finanzierungskosten für die langfristigen Wohnbaudarlehen an die kommunalen Bauträger aus dem Wohnbaufinanzierungsfonds fallen weg, weil sie zinslos zur Verfügung stehen.
- Die gemeinnützigen kommunalen Wohnbauträger können im Unterschied zu den kommerziellen Mitbewerbern auf den Bauträgergewinn verzichten, weil sie keine Kapitalrenditen von Investoren zu bedienen haben.
Die mit der Projektentwicklung beauftragten kommunalen Wohnbauträger können sich auf die Steuerung der Hauptkosten des Wohnungsbaus, nämlich die Errichtungskosten, konzentrieren. Mit Unterstützung der Wohnbaufinanzierungsfonds-Verwaltung können über einen effizient gebündelten Ausschreibungswettbewerb Neigungen zur Extraprofitkalkulation in den Angeboten des Baugewerbes und der Hochbauindustrie durchkreuzt werden, um die Baukosten zu dämpfen. Wettbewerbsverweigerern könnte der Ausschluss an allen öffentlichen Ausschreibungen drohen. Die EU-Kommissare für „Wohnungswesen“ und „Kohäsion“ müssten gemeinsam aktiv werden, um das EU-Wettbewerbsrecht an die neuen Bedingungen für den gemeinnützigen kommunalen Wohnungsbau anzupassen.
Auf Basis dieses Konzepts der sozialen Wohnungswirtschaft durch Reaktivierung des gemeinnützigen kommunalen Wohnungsbaus (in der Tradition des „Gemeindebaus“ im „Roten Wien“) können schließlich auch für die unteren Einkommensschichten leistbare Kostenmieten kalkuliert werden, weil Spekulationsgewinne, Finanzierungskosten und Kapitalrenditen der kommerziellen Bauträgerinvestoren (also das ganze Extraktionsgeschäft des FIRE-Komplexes im Sinne von Michael Hudson) eingespart werden.
Der Mietpreis beinhaltet dann die anteilige Amortisation der Errichtungskosten samt zeitgestaffeltem Reparaturaufwand auf einer mit dem EZB-Inflationsziel valorisierten Basis, damit der Wohnbaufinanzierungsfonds als revolvierende Finanzierungsquelle für die Zukunft erhalten bleibt. Den Kommunen obliegt es dann, das so geschaffene kommunale und leistbare (bezahlbare) Wohnungsangebot nach sozialen Kriterien zuzuteilen – und damit einen maßgeblichen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration der unteren Bevölkerungshälfte zu leisten.
Das heißt: auch das Wohnungsangebot für die migrantischen Bevölkerung erschwinglich zu halten, die als tragende Säule der gegenwärtigen Arbeiterklasse nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit des Sozial- und Wohlfahrtsstaats absichert und den Arbeitskräftebedarf in vielen industriellen Kernsparten (siehe zuvörderst die Bauindustrie) und im Dienstleistungsgewerbe deckt – ganz zu schweigen von den wachstumstreibenden Multiplikatoreffekten, die von einem verstetigten „Aufschwung am Bau“ durch die soziale Wohnungswirtschaft in Gestalt des gemeinnützigen kommunalen Wohnungsbaus ausgehen werden.