Grundeinkommen

Gleiche Arbeitszeit, mehr Zufriedenheit? Was die neue BGE-Studie (nicht) zeigt

| 10. Juli 2025
@midjourney

„Gleiche Arbeitszeit, mehr Zufriedenheit“ titelte die Tagesschau anlässlich der jüngsten Pilotstudie zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Aber stimmt das? Ist das BGE eine sozial gerechte und ökonomisch tragfähige Idee?

In der immer wiederkehrenden Debatte um neue soziale Sicherungssysteme stehen sich zwei Modelle gegenüber: das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) und die Arbeitsplatzgarantie (oft auch Jobgarantie genannt). Letztere wird insbesondere von Vertretern der Modern Monetary Theory (MMT) befürwortet, während das BGE sowohl im linken als auch im konservativ-liberalen Spektrum Unterstützung findet.

In der Linkspartei war die Debatte um das BGE zuletzt wieder aufgeflammt: Nachdem die Parteibasis per Mitgliederentscheid im Jahr 2022 zunächst knapp für die Aufnahme des BGEs ins Parteiprogramm gestimmt hatte, votierten die Delegierten auf dem Parteitag im vergangenen Oktober in Halle gegen einen entsprechenden Antrag. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen der Linken warf einem Teil der Partei darauf hin vor, sich der Zukunftsdebatte zu verweigern und stattdessen „Scheinargumente und Desinformation“ anzuführen.

Maximilian Kasy, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Oxford, arbeitet zu beiden ökonomischen Konzepten: Er begleitete das Pilotprojekt „MAGMA“[1] zur Arbeitsplatzgarantie im österreichischen Marienthal und ist außerdem Co-Autor der neuen deutsche BGE-Studie. Letztere wurde vom Berliner Verein „Mein Grundeinkommen e. V.“ in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Wirtschaftsuniversität Wien durchgeführt. Der Verein ist für seine regelmäßigen Verlosungen von einjährigen Grundeinkommen bekannt und wirbt für eine flächendeckende Einführung eines BGE.

Das Experiment: 1.200 Euro monatlich – für drei Jahre

Im Rahmen der Langzeitstudie erhielten 107 Menschen über drei Jahre (2021-2024) hinweg monatlich 1.200 Euro – ohne Bedingungen. Ziel war es, Erkenntnisse über Wohlbefinden, Konsumverhalten und Arbeitsmarktbeteiligung der Teilnehmenden zu gewinnen. Die positive Berichterstattung vieler Medien ließ nicht lange auf sich warten: Der Stern titelte, das BGE mache „glücklicher und nicht faul“, die Welt sprach davon, dass gängige Mythen widerlegt seien.

Was aber lässt sich tatsächlich aus den Ergebnissen ableiten? Ein Blick auf die zentralen Befunde: Die Teilnehmer der Studie sparten im Schnitt ein Drittel des BGE-Geldes, gaben knapp acht Prozent für wohltätige Zwecke, Freunde und Familie aus und zogen sich weder aus dem Arbeitsmarkt zurück noch reduzierten sie ihre Arbeitszeit spürbar. Gleichzeitig verbesserten sich ihre mentale Gesundheit und Lebenszufriedenheit. In einem ähnlichen Experiment in den USA, in dem 1.000 zufällig ausgewählten Teilnehmern ebenfalls für drei Jahre 1.000 Dollar monatlich gezahlt wurden, reduzierten die Empfänger ihre Arbeitszeit um ein bis zwei Wochenstunden.

So erfreulich die positiven Effekte auf das Wohlbefinden auch sind – sie überraschen kaum. Schließlich lindert finanzielle Sicherheit nachweislich Stress. Doch was folgt daraus für die gesellschaftliche Debatte – und was sagt das Experiment nicht?

Was die Studie nicht zeigt

Begrenzt ist die Aussagekraft der Studie besonders im Hinblick auf die Frage, ob sich Menschen mit BGE aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen. Die zeitliche Befristung der Zahlung veränderte den Entscheidungsrahmen der Teilnehmenden fundamental – wer weiß, dass er oder sie nach drei Jahren kein BGE mehr erhält, dürfte sich anders verhalten als jemand mit dauerhaftem Anspruch. Dies wissen auch die Autoren der Studie und weisen darauf hin, dass die zeitliche Begrenzung des Experiments die Verallgemeinerung erschwere.

Auffällig bei der Diskussion um die Arbeitsmarktbeteiligung ist ein Widerspruch vieler BGE-Befürworter: Einerseits wollen sie Menschen die Freiheit geben, schlechtbezahlte oder ausbeuterische Jobs ablehnen zu können – andererseits betonen sie, dass ein Rückzug aus dem Arbeitsmarkt gerade nicht zu erwarten sei. Beides gleichzeitig kann schwerlich stimmen.

Darüber hinaus bleibt die gesamtwirtschaftliche Perspektive unterbelichtet: Eine umfassende makroökonomische Betrachtung des BGE fehlt nicht nur in der neuen Studie, sondern auch in der öffentlichen Debatte insgesamt. In der Vergangenheit hatte sich Mein Grundeinkommen zwar mit der Frage beschäftigt, wie ein BGE finanziert werden solle – die ebenfalls vom DIW durchgeführte und im August 2023 veröffentlichte Studie zeigt jedoch erneut die Leerstellen der Analyse auf – und die politischen Risiken eines Bedingungslosen Grundeinkommens.

Finanzierbar – aber zu welchem Preis?

1,1 Billionen Euro pro Jahr würde ein monatliches BGE in Höhe von 1.200 Euro (600 Euro für Kinder und Jugendliche) den deutschen Staat kosten, rechnet das DIW vor. Angestrebt wird – nach Logik der Sparpolitik – eine aufkommensneutrale Finanzierung ausschließlich durch Steuereinnahmen und Ausgabenkürzungen. Diese soll durch einen pauschalen, progressionslosen Einkommenssteuersatz von (je nach Modell) 50 oder sogar 60,5 Prozent, weniger Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer, eine Erhöhung der CO2-Steuer, die Abschaffung fast aller Sozialleistungen und die Abschaffung von Versicherungsleistungen wie der Arbeitslosenversicherung erreicht werden.

Grundnahrungsmittel, für die aktuell der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt, würden also um einen Schlag mehr als 10 Prozent teurer. Wer heute noch Anspruch auf Arbeitslosengeld hätte, fiele nach BGE-Einführung im Kündigungsfall direkt auf das monatliche Grundeinkommen von 1.200 Euro zurück. Wer den deutschen Durchschnittslohn von etwa 2.500 Euro netto bekommt, hätte als Single im Kündigungsfall mit einem BGE etwa 300 Euro weniger zur Verfügung als mit Arbeitslosengeld 1, mit Kindern wären es wegen des höheren ALG 1-Satzes von 67 Prozent sogar 475 Euro weniger.

Das wäre eine deutliche Schwächung der Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerschaft und könnte zudem konjunkturelle Abschwünge verstärken, weil viele Menschen nach Jobverlust sofort deutlich weniger Einkommen bekommen würden.

Auch der Frage, wie sich ein BGE auf Preislevel und Inflation auswirken könnte, schenkt Mein Grundeinkommen nur wenig Aufmerksamkeit. Während das Thema in beiden DIW-Studien bewusst ausgeklammert wird, bezeichnet der Verein Inflationsgefahren durch ein BGE als Mythos:

„Mythos 3: Grundeinkommen wird von der Inflation aufgefressen! […] Eine gängige Befürchtung ist, dass das Bedingungslose Grundeinkommen die Preise in die Höhe treiben könnte. Da aber dafür kein zusätzliches Geld in unserem Finanzsystem nötig ist, und die gesamte Geldmenge lediglich innerhalb dieses Systems anders verteilt wird, gibt es auch keine Inflation.“

Dass eine gleichbleibende Geldmenge nicht automatisch bedeutet, dass es keine Inflation gibt, ist wissenschaftlicher Konsens und leicht zu erklären: Entscheidend ist nicht, wie viel Geld vorhanden ist, sondern wie viele Waren und Dienstleistungen nachgefragt werden beziehungsweise wie viel ihres Einkommens Haushalte und Unternehmen sparen. Soll heißen: Landet das zusätzliche BGE-Einkommen unter dem Kopfkissen, steigt zwar die Geldmenge, die Nachfrage jedoch nicht. Wird das Geld dagegen in die Geschäfte getragen und trifft dort auf ein begrenztes Angebot, kann es zu Preissteigerungen kommen.

Gerade weil einkommensstärkere Haushalte tendenziell mehr sparen, müsste dringend modelliert werden, wie sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch die Einführung eines BGE verändert – immerhin schreibt der Verein, dass 83 Prozent der Menschen in seinem Grundeinkommensmodell ein höheres Einkommen erhalten würden.

Die MMT-Ökonomin Pavlina Tcherneva, geboren in Bulgarien und heute Professorin in den USA, argumentiert daher: Die eigentlichen Kosten eines BGE sind nicht finanzieller, sondern realer Natur: Arbeitskraft, Güter, Infrastruktur müssen in ausreichendem Maße vorhanden sein, um die möglicherweise stark steigende Nachfrage nach vielen Gütern und Dienstleistungen befriedigen zu können. Ein BGE könnte – trotz aufkommensneutraler Finanzierung – schnell die Gunst der Bevölkerung verlieren, sollte es massive Preissteigerungen nach sich ziehen.

Die Finanzierungsfrage selbst ist irreführend: Geld lässt sich in monetär souveränen Staaten per Knopfdruck als Eintrag in einer Excel-Tabelle erzeugen. Regeln wie die Schuldenbremse könnten bei vorhandenem politischem Willen einfach aufgehoben werden – wie das Kabinett Merz es für die Verteidigungs- und Rüstungsausgaben exerziert hat. Die Inflationsfrage hingegen ist weniger trivial und sollte entsprechende Aufmerksamkeit bekommen. Befürworter der Jobgarantie haben hier schon viel Arbeit geleistet und die Auswirkungen ihrer Vorschläge auf das Preislevel simuliert.

Mehr als Geld: Warum es eine demokratische Organisation von Arbeit braucht

Auch die Geldpolitik vermeintlich unabhängiger Zentralbanken – die Arbeitslosigkeit gezielt generieren, um Lohnforderungen zu dämpfen und Preisstabilität zu sichern – wird von Mein Grundeinkommen nicht hinterfragt. Grundlage dieses Denkens ist das Konzept der NAIRU (non-accelerating inflation rate of unemployment): eine angeblich „natürliche“ Arbeitslosenquote, unterhalb derer Löhne und Preise vermeintlich zu schnell steigen. Auf Basis dieses Konzepts halten Zentralbanken gezielt ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit aufrecht, um die Konkurrenz am Arbeitsmarkt und damit den Druck auf die Löhne zu erhöhen.

Dabei gäbe es auch hier Alternativen, wie Vertreter der Modern Monetary Theory zeigen: Mit der Jobgarantie haben sie ein Konzept dargelegt, welches nicht nur die Konsum- sondern auch die Produktionsseite der Volkswirtschaft adressiert und NAIRU durch eine staatlich garantierte Beschäftigung mit gesellschaftlichem Nutzen und einer angemessenen Bezahlung ersetzten würde. Arbeitskraft würde nicht mehr „stillgelegt“, sondern für soziale, ökologische und kulturelle Aufgaben mobilisiert.

Die Organisation von Arbeit ist immer auch eine Frage von Macht – und lässt sich nicht durch Geldtransfers allein lösen. Wer bestehende Machtverhältnisse verändern will, muss die demokratische Kontrolle über Arbeit und Produktion stärken. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen kann bestenfalls individuelle Sicherheit bieten. Steigende Löhne aber sind Ausdruck von kollektiver Verhandlungsmacht – nicht nur das Resultat von Marktprozessen. In den vergangenen Jahrzehnten verlagerte sich diese Macht zunehmend zugunsten des Kapitals: In den USA stiegen die realen Stundenlöhne der unteren 90 Prozent der Beschäftigten seit 1979 um gerade einmal 26 Prozent, während die Einkommen der Top 1 Prozent um 160 Prozent und der Top 0,1 Prozent sogar um über 345 Prozent zulegten.

Fazit: Bedingtes Grundeinkommen und Jobgarantie

BGE-Befürworter machen auf einen wichtigen Punkt aufmerksam: Jeder Mensch sollte Anspruch auf existenzielle Sicherheit, gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung haben – unabhängig davon, ob er erwerbstätig ist oder nicht. Das Grundeinkommen wird dabei als Instrument gesehen, um individuelle Freiheit zu stärken, Zeit für Sorgearbeit zu schaffen und strukturelle Ungleichheiten abzufedern. In dieser Hinsicht kann ein Grundeinkommen – je nach Ausgestaltung – ein wichtiger Baustein sein.

Allerdings muss ein Grundeinkommen nicht bedingungslos sein, um diese Ziele zu erreichen. Bereits ein sanktionsfreies, existenzsicherndes Mindesteinkommen – etwa in Form eines reformierten Bürgergeldes – könnte Menschen wirtschaftlich absichern. Entscheidend ist, dass dieses Mindesteinkommen wirklich ausreicht, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Gleichzeitig würden bei einem bedingten Grundeinkommen zentrale Elemente des Sozialstaats erhalten: Arbeitslosen- und Krankenversicherung, Rentenansprüche, Pflege- und Kindergeld könnten weiterbestehen.

Die Ideen Grundeinkommen und Jobgarantie sind kein Widerspruch. Eine Jobgarantie könnte mehr fürs Gemeinwohl bringen, konjunkturelle Auf- und Abschwünge mit ihren sozialen Verwerfungen verhindern und ein Inflationsanker sein. Zumal Arbeit einen wichtigen Teil der menschlichen Identität ausmacht und sowohl gesellschaftliche Anerkennung als auch Selbstwirksamkeit gewährleistet.

Pilotprojekte der Jobgarantie zeigen eindrücklich, wie wichtig dieses Gefühl der Wertschätzung ist. So berichtet etwa Andrea Herold (59), die nach Jahrzehnten der Arbeitslosigkeit am MAGMA-Projekt in Niederösterreich teilgenommen hatte, rückblickend: „Hier habe ich gelernt, dass ich noch was wert bin.“

Arbeit erfüllt im Alltag weit mehr Funktionen als nur die Einkommenssicherung – sie gibt Struktur, ermöglicht soziale Kontakte und Zugehörigkeit. Warum nicht das Beste aus den zwei Welten – BGE und Jobgarantie – nehmen und das Bedingungslos streichen? Heißt: Ein gerechtes Grundeinkommen für alle, die kein oder nur ein geringes Einkommen haben – und eine Jobgarantie für alle, die arbeiten wollen.

Denn obwohl gesellschaftlich erwartet wird, dass Menschen erwerbstätig sind, stehen dafür längst nicht genügend Stellen zur Verfügung: Laut Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit gab es im Mai diesen Jahres rund 2,9 Millionen Arbeitssuchende Menschen, aber nur etwa 1,4 Millionen offene Stellen – ein offensichtliches Missmatch. Was es braucht: Eine Politik, die Teilhabe garantiert – nicht nur durch Transfers, sondern durch Sicherheit, Anerkennung und das Recht auf sinnvolle Arbeit.

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[1] MAGMA steht für „Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal“