Die Gentrifizierung von Mallorca
Die Mallorquiner haben genug von Ballermann-Touristen. Was ist passiert? Wie sie ihre Heimat verlieren und warum diese Entwicklung paradigmatisch für ein Problem in ganz Südeuropa ist.
Seit Jahren gibt es in Südeuropa eine Protestbewegung gegen die negativen Auswirkungen von Übertourismus. Bewohner von Touristenstädten wie Barcelona, Venedig oder Lissabon gehen auf die Straße, um sich gegen exzessive Umweltverschmutzung, stark steigende Mieten und die Gentrifizierung ihrer Stadt zu wehren. Die Stimmung wird angespannter, immer häufiger kommt es sogar zu Ausschreitungen.
Am Wochenende vom 4. bis 6. Juli gab es in Mallorca erneut Proteste gegen den Massentourismus. Vor allem die Deutschen auf der Insel waren das Ziel: Die Demonstranten klebten etwa Sticker mit der Aufschrift “Deutsche raus” auf Autos mit deutschem Kennzeichen.
Seit langem schon gilt die Insel als beliebtestes Urlaubsziel von deutschen Touristen – nicht zuletzt, weil sie das Zentrum des "Ballermann-Sauftourismus" ist. Ihre Beliebtheit hat sich in den letzten Jahren nochmal erheblich gesteigert: 2024 wurde mit 13,4 Millionen Besuchern ein neuer Rekord aufgestellt, ein Anstieg von 39,58 Prozent gegenüber 2015 (9,6 Millionen).
Sharing is yield bearing
Der größte Faktor, der den Massentourismus in dieser Form ermöglicht hat, ist neben dem Aufkommen von Billigfluggesellschaften und die Verbreitung von Preisvergleichsportalen die Plattform zur Buchung und Vermietung von privaten Unterkünften Airbnb. Auch dank Airbnb ist Urlaub-Machen seit den 10er-Jahren historisch günstig geworden und wurde damit für viele Menschen aus niedrigeren sozio-ökonomischen Schichten erschwinglich; auch generell ist die Reiselaune angewachsen.
Die Idee hinter Plattformen wie Airbnb war ursprünglich die der Sharing Economy: Menschen können beispielsweise ihr leeres Gästezimmer kurzfristig vermieten, um sich etwas dazuzuverdienen. Wohnraum sollte besser koordinierbar und effizienter nutzbar sein. Besonders in Räumen mit Wohnungsnot wäre das hilfreich.
Früher ließen kurz- und mittelfristig agierende Spekulanten ihre Wohnungen leer, um Gewinne schnell realisieren zu können, beziehungsweise um Verluste einzudämmen und Liquiditätsprobleme zu vermeiden. Dadurch mussten sie jedoch im Gegensatz zu langfristigen Investoren wie Rentenversicherungen, die ihre Immobilien viel eher auf dem langfristigen Mietwohnmarkt anbieten, auf Erträge durch Mieten verzichten.
Durch Plattformen wie Airbnb und Booking.com wurde dieser Trade-Off aufgelöst. Die Plattformen ermöglichten, Mieteinnahmen zu generieren und die Immobilie gleichzeitig jederzeit veräußern zu können. Das maximiert Erträge, denn Short-term rentals (STR) erweisen sich als lukrativer als long-term rentals (LTR), wie es etwa bei einem konventionellen Mietvertrag der Fall ist. Darunter fallen auch Mietverträge für Austauschstudenten, die ungefähr ein Semester lang gelten.
Die Folge: Die neue Strategie wurde von vielen Investoren adoptiert. Die Immobilienspekulation hat zu-, das Angebot an Mietwohnungen zugleich abgenommen. Besonders stark sind STR in touristischen Orten wie Mallorca konzentriert, wo es besonders viel kurzfristige Nachfrage gibt. Auf den Balearen sind die durchschnittlichen Immobilienpreise seit 2015 um 85 Prozent gestiegen, die Mietpreise im selben Zeitraum im Mittel um fast 24 Prozent gestiegen. Dabei gibt es Orte beziehungsweise Stadtteile, die besonders von Preissteigerungen betroffen sind.
Wohngebäude, aus denen die Einwohner vertrieben wurden, werden in Quasi-Hotels umfunktioniert. Indem Airbnb und Co. die Wohnungsnot für langfristige Mieter verschärft, wird so die hehre Idee der Sharing Economy von der Realität eingeholt.
Neil Smith erklärt das mit seiner Rent-gap Theorie: Der rent-gap beschreibt die Differenz zwischen den aktuellen Mieteinnahmen und den potenziellen Mieteinnahmen, die ein Mietobjekt bei gewinnmaximierender Nutzung abwerfen würde. Weitet sich diese Differenz plötzlich aus, werden Investoren angezogen. Diese Entwicklung ist besonders in Touristen-Hotspots wie Mallorca rasant, wo ganze Reihen von Wohngebäuden in Quasi-Hotels umfunktioniert werden, nachdem die alteingesessenen Einwohner vertrieben worden sind.
Die Mallorquiner verlieren ihre Heimat
Zudem beklagen sich die Inselbewohner über ein fehlendes Angebot an Mietwohnungen im erschwinglichen Preissegment. Das Problem wird dadurch verschlimmert, dass der dominierende Tourismus-Sektor niedrige Löhne zahlt, die sich nur schwach entwickeln. In einem antitouristischen Brandbrief von 2024 drücken sich die beteiligten Organisationen wie folgt aus:
“Während in den vergangenen 25 Jahren die Zahl der Touristen um mehr als 30 Prozent anwuchs, ist das Pro-Kopf-Einkommen auf den Balearen im europäischen Ranking vom 48. auf den 148. Platz abgestiegen (wenn Mallorca ein unabhängiger Staat wäre). Mehr Tourismus erzeugt also nicht auch mehr Wohlstand, sondern hingegen Armut".
Auf Mallorca setzen die hohen Miet- und Wohnungspreise Einheimische stark unter Druck – besonders junge Menschen ziehen deswegen von der Insel weg. Das starke Wachstum des Tourismus-Sektors führt in Kombination mit der Immobilienspekulation zu einer kulturellen und lokal-ökonomischen Transformation: Das Mallorca Magazin berichtet beispielsweise von der Gentrifizierung des Stadtviertels um die Calle Sindicat in Palma de Mallorca, wo der alte Einzelhandel verschwindet und immer mehr touristisch orientierte Bars und Cafés sowie Immobilienbüros das Stadtbild prägen.
Die Anwohner klagen, dass dadurch kaum noch Platz bleibt, um miteinander in Kontakt zu kommen. Außerdem sind der zunehmende Vandalismus und die nächtliche Lärmbelästigung ein Problem. Deswegen sprechen sie von einem drohenden Identitätsverlust ihrer Heimat.
Es wird deutlich: Die Immobilienwirtschaft und die nachgelagerten Branchen orientieren sich immer weniger an den Bedürfnissen der Einheimischen, sondern vielmehr an denen des internationalen Klientels. Diese ist eine Mischung aus wohlhabenden Einwanderern und Investoren einerseits und "Ballermann-Touristen" auf der anderen Seite, die niemand in seiner Nachbarschaft haben möchte.
Wer die Gentrifizierer sind
Wer steckt hinter dieser Entwicklung des Plattform-Tourismus? Zwar dominiert auf dem Wohnungsmarkt zunehmend das Großkapital, aber diese Sparte im Besondern wird aus der Mitte der Gesellschaft angetrieben. Gerade Kleininvestoren finden Anlagestrategien für Airbnb und Co. attraktiv, weil sie geringe Einstiegshürden und leicht zugängliche Immobilienkredite bieten.
Jover und Cocola-Gant zeigen in ihrer Studie, dass die Niedrigzinspolitik der FED und EZB viele Kleinanleger dazu bewegt hat, ihr Geld zunehmend in Immobilien zu investieren, statt es niedrig verzinst auf der Bank liegen zu lassen. Die Flexibilität von short-term rentals ermöglicht es zudem, das Anlageobjekt gleichzeitig in seinen Lebensstil zu integrieren, indem man es zum Beispiel privat als Ferienwohnung nutzt.
In diesem Konflikt steht nicht allein eine wohlhabende Elite einer Unterschicht gegenüber. Die Gentrifizierung von Mallorca und vergleichbaren Reisezielen wird von Akteuren mit vielfältigen sozio-ökonomischen Hintergründen vorangetrieben – von Touristen und Kleinanlegern mit Ferienimmobilien über Betreiber von Airbnb-ähnlichen Unterkünften bis hin zu Banken und institutionellen Investoren wie Family Offices.
Insofern transzendiert dieser Konflikt Länder- und Klassengrenzen und erfordert ein neues Bewusstsein, das den eindimensionalen Antagonismus zwischen Arm und Reich überwindet und diese sozio-ökonomisch heterogene Verflechtungen aufgreift.
Wem also gehört die Stadt – den Immobilienbesitzern oder der Allgemeinheit? Henri Lefebvre formulierte 1968 in seinem Buch Le Droit à la Ville das Konzept "Recht auf Stadt": Lefebvre argumentierte, dass nicht nur ökonomische Interessen den städtischer Raum dominieren sollten, sondern er nach den Bedürfnissen und Wünschen der Bewohner gestaltet werden sollte. Das bedeutet, dass:
- Kein Bürger aus dem städtischen Leben ausgeschlossen werden darf
- Jeder an Entscheidungen an der Stadtentwicklung beteiligt werden müsse
- und verhindert wird, dass öffentliche Plätze gentrifiziert und privatisiert werden.
Lefebvres Grundideen könnten einen Beitrag dazu leisten, die lebensweltliche Basis der Demokratien – die Kommunen und Gemeinden – zu schützen. Insbesondere in Tourismus-Zentren sollten diese Prinzipien von der Lokal- und Wirtschaftspolitik beachtet werden.