Editorial

Das zweischneidige Schwert der Migration

| 21. August 2024
@midjourney

Liebe Leserinnen und Leser,

willkommen in einer neuen Woche und zu unserer ersten von drei Ausgaben mit dem Schwerpunkt Migration. Kein anderes Thema ist den Deutschen derzeit so wichtig wie dieses, glaubt man dem Politikbarometer der Forschungsgruppe Wahlen. Seit Ende 2023 belegt der Themenkomplex Ausländer / Integration / Flüchtlinge in dieser Umfrage fast durchgehend als wichtigstes Problem den Spitzenplatz – zuletzt Mitte August mit 27 Prozent, noch vor Energie / Versorgung / Klima (24 Prozent). Grund genug, uns mit dem Phänomen der Migration auch in MAKROSKOP differenziert auseinanderzusetzen.

Wohlgemerkt adressiert das Politikbarometer Probleme in Deutschland, also Auswirkungen der Migration auf das Zielland. Aber auch Herkunftsländer sind von negativen Auswirkungen großer Wanderungsbewegungen betroffen. Wie unser Autor Werner Vontobel pointiert herausstellt, sinkt mit „jeder Arbeits- oder Fachkraft, die Tunesien, Algerien, Süditalien, Rumänien und so weiter verlässt, […] die Chance, dass sich diese Gebiete wirtschaftlich entwickeln können“.

Und während die Zielländer zunehmend mit sozialen Konflikten konfrontiert werden, profitieren vor allem die einheimischen Unternehmen von der Abwanderung aus dem Globalen Süden. Der renommierte Buchautor und Wissenschaftler Michael Lind schildert am Beispiel der USA, wie die massive Ausweitung von H-1B-Arbeitsvisa, die Fachkräften einen befristeten Aufenthalt in den USA ermöglichen, Druck auf die Löhne ausübt.

Aus diesem Grund sind H-1B-Beschäftigte, die häufig weniger als der lokale Medianlohn verdienen, die bevorzugte Wahl von „Unternehmen, die lieber gewerkschaftsfreie ausländische Vertragsbedienstete ohne Wahlrecht und viele gesetzliche Rechte beschäftigen als Amerikaner, die höhere Löhne und eine bessere Behandlung fordern würden.“

Die Probleme der Migration ließen sich nachhaltig nur durch die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Heimatländern lösen, so der costa-ricanische Ex-Präsident Carlos Alvarado Quesada. Das erfordere aber eine langfristige Zusammenarbeit von Herkunfts- und Zielländern auf Augenhöhe. Bisher dominieren Brain-Drain und Abschottung.

Diese und weitere Themen finden Sie in unserer neuen Ausgabe:

  • Eine Welt à la carte? Wir Schweizer leben in einem der besten Länder der Welt. Müssen wir dieses Glück mit allen anderen teilen? Werner Vontobel
  • Einwanderung beginnt nicht an der Grenze Sowohl Republikaner als auch Demokraten wollen die Südgrenze der USA besser sichern. Doch Strategien, welche die tieferen Ursachen der Migration berücksichtigen, sind rar. Solange sich das nicht ändert, wird der Migrationsdruck weiter zunehmen. Carlos Alvarado Quesada
  • Krugman vs. Krugman Wenn ein Kolumnist der New York Times versucht, sich an seine früheren Ansichten zur Einwanderung zu erinnern. Michael Lind
  • Zeitbombe Nordstream Die jüngsten Enthüllungen zum Attentat auf die Ostsee-Gaspipeline passen der EU nicht in den Kram. Schließlich weisen sie nicht wie erwartet nach Russland, sondern in die Ukraine. Deshalb werden sie verdrängt – von Sanktionen ist in Brüssel keine Rede mehr. Eric Bonse
  • Der EU-Feldzug gegen die Meinungsfreiheit X bleibt trotz Zensur die einzige Plattform, auf der Informationen relativ frei fließen können. So ist sie das größte Hindernis für das Streben der EU nach umfassender Informationskontrolle – doch wie lange noch? Thomas Fazi
  • Das reale und das repräsentative Europaparlament Das Europäische Parlament hat neben anderen Schwächen auch den Makel, nicht repräsentativ zu sein. Helfen könnte das Prinzip der doppelten Mehrheit: Mehrheit der Abgeordneten plus Mehrheit der durch diese vertretenen Bevölkerungen. Gerd Grözinger
  • „Die Sicherheitskrise Europas ist mit der Schuldfrage nicht lösbar“ Die Kritiker einer kooperativen Sicherheitsordnung haben die Realitäten des Kalten Kriegs und vernunftorientierte Wege zu seiner Überwindung verdrängt, sagt der Militärexperte Wolfgang Richter. Die Redaktion
  • Bankenrettung mit unseren Bankguthaben? Was hat die Bankenrettung im Zuge der Finanzkrise den Bürger gekostet? Gerd Grözinger nennt konkrete Zahlen, die aber angesichts der Zahlungsströme im zweistufigen Geldsystem fragwürdig erscheinen. Eine Duplik. Peter Glaser
  • Deutschlands getrübte Wettbewerbsfähigkeit Wenn Politik, Medien und Wirtschaft über Deutschlands Wachstums- und Wettbewerbsschwäche klagen, identifizieren sie die üblichen Verdächtigen: Bürokratie oder Fachkräftemangel. Ein genauerer Blick zeigt jedoch – für die Misere sind andere Faktoren verantwortlich. Malte Kornfeld