Denkschrift

Wohnungsnot: Die Kommunen sind der Schlüssel zur Lösung

| 28. August 2024
IMAGO / ULMER Pressebildagentur

Das selbstgesteckte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen wird die Bundesregierung verfehlen. Unsicherheit, hohe Kreditzinsen und gestiegene Preise hemmen die Investitionen in Neubauten. Abhilfe könnte ein Sondervermögen für die Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften leisten.

Die allgemeinen Aussichten auf dem Wohnungsmarkt bilden ein düsteres Bild:  Es fehlen rund eine Millionen Sozialwohnungen und nochmals rund 1,4 Millionen günstige Wohnungen für Familien, Singles und Menschen im Niedriglohnbereich. Dieser Wohnungsmangel besteht nicht erst seit kurzem. Passiert ist generell wenig und die Lage hat sich seit der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit steigenden Zinsen und Baukosten massiv verschlimmert.

Zusätzlich übt die Zuwanderung aus Fluchtgebieten mit einer Nettozuwanderung von rund zwei Millionen Menschen in den letzten Jahren ebensolchen massiven Druck auf den ohnehin schon angespannten Wohnungsmarkt aus. Gleichzeitig lag die Bautätigkeit 2022 bei rund 300.000 Wohnungen, 2023 lag sie sogar noch niedriger. Dabei hatte die Ampelregierung 400.000 Wohnungen, darunter 100.000 Sozialwohnungen im Jahr, versprochen. In den Jahren 2020 bis 2023 sind die Mieten in Deutschland alleine um 7,1 Prozent im Schnitt gestiegen. Dazu kommen noch massive Energiekostensteigerungen dazu.

Für private Bauinvestoren stellen Investitionen in den Wohnungsneubau aufgrund fehlender Renditeerwartung, schleppender Genehmigungsverfahren und hoher bürokratischer Hürden keine Handlungsmöglichkeiten dar. Gleichzeitig setzen die Entscheidungsträger in der Politik nach wie vor auf den Einsatz privaten Kapital, um die Wohnungsnot zu lösen. Doch der neoliberale Ansatz, dass der Markt es richte, bewahrheitet sich in Krisenzeiten nicht. Denn gemäß dieser Theorie müsste der seit langem vorherrschende Nachfrageüberhang neue Anbieter in Form von privaten Bauinvestoren anziehen, die Wohnraum und somit ein Marktgleichgewicht schaffen. Doch in der Praxis ist das genaue Gegenteil der Fall. Die Investoren ziehen sich jetzt, wo sie gebraucht werden, zurück. Der Wohnungsneubau in Deutschland ist in dieser prekären Situation sogar rückläufig. 

Gleichzeitig verfügt die Bauwirtschaft nach wie vor über erhebliche Kapazitäten und könnte die vorhandene Nachfrage entsprechend decken. An eben dieser Bauwirtschaft hängen jedoch zehntausende von großen und mittleren Handwerks-/Bau- und Servicebetrieben samt fachlich geschulter Belegschaft. Nur eine attraktive, florierende Baubranche ist in der Lage, die Entwicklungen im Bausektor innovativ, ökologisch und produktiv auch künftig als Grundlage eines jeden Neubaus begleiten zu können. Doch wir befinden uns bereits im vierten Jahr der baukonjunkturellen Schwäche und eine Wende ist nicht in Sicht. Für das Jahr 2024 erwartet der Branchenverband ein Umsatzminus von vier Prozent auf den Wohnungsbau allein bezogen gar ein Minus von zwölf Prozent.

Die Baubranche leidet unter der Austeritätspolitik

Der Grund: Bund, Länder und Kommunen dürften aufgrund geringerer Steuereinnahmen ihre Investitionen in öffentliche Bauprojekte herunterschrauben. In einem aktuellen Gutachten hat das Institut für Deutsche Wirtschaft (IW Köln) berechnet, dass die Ausgaben für den Wohnungsbau inflationsbereinigt um 20 Milliarden Euro steigen müssten, gemessen am Niveau von 2022. Demnach müssten jährlich mindestens 350.000 Wohnungen bis 2030 neu gebaut werden, um den Bedarf zu decken. Doch für das Jahr 2024 könnte die Zahl der Fertigstellungen sogar auf unter 250.000 Einheiten fallen.

Die Baubranche leidet ebenso wie die Mieter unter dieser auferlegten Austeritätspolitik, obwohl gerade die aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, insbesondere in Zeiten von massiven Konjunkturschwächen, jetzt dringend benötigten Konjunkturimpulse seitens der öffentlichen Hand notwendig sind. 

Die fehlenden Neubauaktivitäten hemmen zusätzlich die binnenwirtschaftliche Lage im Bereich der Konsumgüterproduktion in der Bundesrepublik. Denn wer einen Neubau realisiert, der richtet diesen auch ein – mit Möbeln, Küchen und Haushaltsgeräten. Fehlender Neubau schwächt daher auch den Absatz von Waschmaschinen, Kücheneinrichtungen, Vorhängen und weiteren Gebrauchsgüter im Bereich der Innenausstattung. Der mangelhafte Neubau verstärkt die reale Gefahr, dass namhafte Hersteller ihre Abwanderung ins Ausland überdenken, wie aktuell die Produktionsauslagerung des Waschmaschinenherstellers Miele nach Polen. Dies bedeutet eine weitere Schwächung der deutschen Wirtschaft insgesamt.

Die politische Praxis hat gezeigt, dass das Thema Wohnungsbaupolitik zwar jede politische Partei intensiv beschäftigt, jedoch der politische Diskurs mit den unterschiedlichen Auffassungen in der konkreten Ausführung sowohl an Effizienz als auch an Effektivität in Bezug auf das eingebrachte Kapital stark ausbaufähig ist. Die Dringlichkeit der Lage bedarf jedoch einer fachlich ausgewiesenen Entscheidungspraxis einerseits und andererseits die Vermeidung parteipolitischen Tauziehens.

Um die massiven Herausforderungen im Wohnungsbau bewerkstelligen zu können, bedarf es vielmehr eines parteiübergreifenden Grundkonsenses, in dem konkrete Zielvorgaben auf Grundlage objektiver Maßstäbe formuliert werden. Erst auf Grundlage dieses konsensualen Fundaments können die konkret formulierten Zielvorgaben schließlich einer längerfristige Finanzierungs- und Planungssicherheit unterstellt werden. Gleichzeitig bedarf es verantwortungsbewusste Politikerinnen und Politiker, die im Rahmen einer Erfolgskontrolle verbindliche Zielvorgaben festlegen.

Denn die allgemeinen Effekte dieser Mangellage im Wohnungsbau zeichnen sich schon heute ab:

  • Eine überproportional zum Gehalt steigende Mietpreisentwicklung
  • Eine hohe Anfälligkeit der Gesamtbevölkerung bei Inflation (insbesondere bei Energiepreisteuerungen und Steigerungen bei Lebensmittelpreisen)
  • Eine daraus resultierende volkswirtschaftliche Kaufkraftschwächung, insbesondere durch hohe Mieten fehlende private Finanzreserven sowie durch Arbeitsplatzverlust in der Bauwirtschaft
  • Eine steigende Tendenz zur Altersarmut, insbesondere bei Frauen und alleinerziehenden Müttern, da keine privaten Reserven aufgebaut werden können
  • Eine Beschleunigung der ungerechten Vermögensverteilung mit gefährlicher Tendenz zum sozialen Unfrieden

Die Lage in den Kommunen

Im Bereich der öffentlichen Investitionen spielen die rund elftausend Kommunen in Deutschland eine wesentliche Rolle. Doch diese sind finanziell längst an ihre Grenzen angelangt. Denn während die Sozial-, Personal- und Sachkosten steigen, schwächeln die Steuereinnahmen. Vor Ort haben es die Kämmerer mit einem massiven Investitionsstau zu tun, der sich aktuell bundesweit auf 186 Milliarden Euro beläuft. Somit sind auch die Kommunen nicht in der Lage, trotz der Notwendigkeit eigene Projekte zu realisieren, die vorhandenen Kapazitäten im Bauhauptgewerbe mit den nötigen Impulsen im Wohnungsneubau zu bedienen.

Dabei werden den Kommunen seitens des Bundes und der jeweiligen Länder immer mehr Aufgaben übertragen – etwa die Flüchtlingsunterbringung, bei gleichzeitig unzureichender Kofinanzierung.  Die Kommunen befinden sich im Sommer 2024 also in einer finanziell unhaltbaren Lage. Es  in der Notwendigkeit der Entscheidungsträger unserer Regierung ist, dieser fatalen Entwicklung gegenüber der substanziellen Funktionsfähigkeit der Kommunen mit allen Mitteln zu gewährleisten.

Denn, wenn es um die Frage der Wohnungsnot geht, sind die Kommunen, genauer gesagt die 750 kommunalen und öffentlichen Wohnbaugesellschaften in Deutschland, der Schlüssel hin zur Lösung.

Kommunale Wohnbaugesellschaften wie die GWG Reutlingen oder die GWG Tübingen verwalten und bewirtschaften insgesamt rund zweieinhalb Millionen Wohnungen und geben rund fünf Millionen Menschen bundesweit ein Dach über dem Kopf. Durch die gesellschaftsrechtliche Beteiligung der jeweiligen Kommune kann zudem im Bereich Stadt- und Raumentwicklung eine enge und fruchtbare Zusammenarbeit von Kommune und Wohnbaugesellschaft stattfinden. Es gilt insbesondere, jetzt die Potenziale der unternehmensstrukturellen Besonderheit von kommunalen Wohnbaugesellschaften, nämlich Unternehmertum in privatwirtschaftlicher Rechtsform verbunden mit öffentlichem Eigentum, besonders in den Blick zu nehmen und zu entfalten. Die Vorzüge der Kommunale Wohnbaugesellschaften liegen auf der Hand:

  • Die unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten bleiben einer Behörde weitestehend verschlossen
  • Die operative Handlungsfähigkeit nach betriebswirtschaftlichen Kriterien verbessern und beschleunigen den Wohnungsbau
  • Daraus ergibt sich eine besondere Kompetenz, indem der Versorgungsauftrag der jeweiligen Kommune wirtschaftlich effizient und mit hoher sozialer Kompetenz übernommen werden kann
  • Ebenso können breite Schichten der Bevölkerung ohne Ausgrenzung mit Wohnraum versorgt werden
  • Und nicht zuletzt stellen deren Bestände gleichzeitig auch Vermögenswerte der jeweiligen Kommune dar. Somit können hier Finanzspielräume auch für andere Aufgabenfelder eröffnet werden

Das Personal in den Kommunalen Wohngesellschaften ist professionalisiert, routiniert und besitzt ein regional weitumspannendes Netzwerk sowohl mit den größeren und kleineren Handwerksbetrieben als auch mit den Architekturbüros. Das altbewährte deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft korporativer Ausprägung wird hier exemplarisch weitergeführt.

Kurzum: Bei den Kommunalen Wohnbaugesellschaften liegt das Know-how für einen auf die jeweilige Kommune zugeschnittenen Wohnungsbau, der Integration begünstigt und Segregation vermeidet.

Das Bau-Sondervermögen

Aus dieser komplexen Ausgangssituation heraus ergibt sich sowohl für die Universitätsstadt Tübingen als auch für den Deutschen Mieterbund Reutlingen-Tübingen e.V. daher folgendes wirtschaftspolitisches Programm, das eine weitreichende Wende in der deutschen Bauwirtschaft markiert:

Die Universitätsstadt Tübingen in der Person des Oberbürgermeisters Boris Palmer fordert gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund Reutlingen-Tübingen e.V. in Person des Geschäftsführers Marc Roth aufgrund bereits massiver Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt ein

Gesetz zur Finanzierung der Kommunalen Wohnbaugesellschaften und zur Errichtung eines Sondervermögens über 100 Milliarden Euro für die Deutsche Wohnungsbauwirtschaft

Organisation und Umsetzung

Wie bereits erwähnt, sollen die Kommunalen Wohnbaugesellschaften in Deutschland im Rahmen des Sondervermögens mit lediglich für den Wohnungsbau vorgesehenen Eigenkapital ausgestattet werden. Die Verteilung des Sondervermögens, das von der Kreditobergrenze der sogenannten Schuldenbremse ausgenommen sein soll, kann anteilig sowohl nach Bevölkerungsdichte und nach dem Grad des vor Ort angespannten Wohnungsmarktes an die Kommunalen Wohnbaugesellschaften vor Ort verteilt werden.

Für die Verteilung der Finanzmittel soll gleichzeitig eine Erfolgskontrolle verbindlich geregelt werden. Im Rahmen dieser Regelung werden von den relevanten politischen Entscheidungsträgern (Bundesbauministerium, Bundeskabinett etc.) konkrete Zielvorgaben mit den Kriterien Quantität, Beschaffenheit, Mietenniveau, Zeitvorgabe, etc. für den Wohnungsneubau vorgegeben, deren Umsetzung jedoch im Rahmen des genannten Sondervermögens auf die Kommunalen Wohnbaugesellschaften vor Ort übertragen werden.

Die politischen Entscheidungsträger besitzen somit die Erfolgskontrolle und die Letztentscheidungskompetenz im Rahmen objektiver Maßstäbe. So könnten etwa die politischen Entscheidungsträger für die Stadt Tübingen entsprechende Neubauvorhaben vorgeben, deren Effekte eine zwanzigprozentige preisdämpfende Wirkung auf den lokalen Wohnungsmarkt haben.

Objektive Maßstäbe sind etwa: Bevölkerungsdichte und Wohnraumanspruch pro Kopf, Mietpreisentwicklungen, Grundstückskosten, etc.

Die verteilten Finanzmittel sollen ausschließlich zweckgebunden für den Wohnungsneubau verwendet werden. Für die Wohnbaugesellschaften daraus entstandene Gewinne werden bis sieben Prozent in den Kommunalen Wohnbaugesellschaften einbehalten und sollen zur direkten Reinvestition verwendet werden. Alle Gewinne über sieben Prozent müssen wieder an das Bundesbauministerium abgeführt werden. Im besten Falle werden somit anfallende Tilgungs- und Zinsausgaben aus dem Bundeshaushalt ausgegliedert.

Positive wirtschaftliche Effekte

Im Rahmen dieser gezielten, endogenen Wirtschaftsförderung würden nicht nur weite Teile der Bevölkerung, sondern insbesondere auch die Kommunen vor Ort sowie die Bauwirtschaft massiv profitieren. Zu den konkreten positiven Effekten zählen etwa:

  • Wichtige Konjunkturimpulse für die Bauwirtschaft: Fachpersonal in der Bauwirtschaft kann in dieser volkswirtschaftlich wichtigen Branche gehalten werden. Zudem kann aufgrund der vermehrten Nachfrageimpulse die Lieferkettensicherheit, insbesondere die weitere Versorgung und Beschaffung mit Baumaterialien gestärkt werden
  • Zudem stärken diese mietpreisdämpfenden Maßnahmen die Kaufkraft der Gesamtbevölkerung und erhöhen somit die Binnennachfrage nach Konsumgütern
  • Inflationsschutz für die Gesamtbevölkerung, d.h. die Bürgerinnen und Bürger haben konkret mehr Geld in der Tasche für Lebensmittel
  • Erhöhung der Standortattraktivität der Firmen vor Ort, da Fachpersonal mit bezahlbarem Wohnraum vor Ort gehalten werden kann
  • Aktive Prävention gegen Altersarmut, da nun entweder private Altersvorsorge verstärkt stattfinden kann oder durch erhöhte Sparquote selbst Eigentum erworben werden kann

Dieses Wirtschaftsprogramm markiert eine Wende in der Deutschen Bauwirtschaft und stellt zugleich mit der verstärkten Übertragung der Kompetenzen auf die Kommunalen Wohnbaugesellschaften einen strukturellen Paradigmenwechsel dar.

Fest steht, dass ein „Weiter so“ im Wohnungsbau die bereits vorhandene Mangellage massiv verstärken wird. Diese Gemengelage ist ein Brandbeschleuniger und stellt eine Gefahr für soziale Unruhen, für Altersarmut und letztlich auch für antidemokratischen Tendenzen in unserer Gesellschaft dar.

Es benötigt also ein Umdenken in der Wohnungsbaupolitik und dieses Programm soll als konstruktiver Beitrag für die Entscheidungsträger dienen.