EU: Auf dem Weg zum Statisten
Liebe Leserinnen und Leser,
selten waren sich MAKROSKOP-Autoren so einig: In den letzten Monaten hat die EU auf wichtigen Bühnen der internationalen Beziehungen den Kürzeren gezogen. Selten als Niederlagen kommuniziert, eher noch – wie im Zollstreit mit den USA – als Sieg verklärt, sprechen die Zahlen doch für sich:
11-mal so hohe Zölle für Exporte in die USA, ein "Abnahmezwang" für Energieprodukte im Wert von 750 Milliarden Dollar bis 2028, sowie Investitionszusagen in Höhe von 600 Milliarden Dollar – "de facto eine gigantische Kapitalverschiebung über den Atlantik", pointiert Tiago Cardão-Pito.
Gleichzeitig erweist sich die EU im Gegensatz zu China und den USA unfähig, eine eigene Industriepolitik aufzubauen, die ihrem Namen gerecht wird. EUropas Marktgläubigkeit mit strengen Fiskalregeln wirkt gegenüber dem wirtschaftsinterventionistischen Zeitgeist eigentümlich antiquiert.
Und das kann ihr zum Verhängnis werden, kündigt sich doch ein Rückzug der USA aus dem Ukrainekrieg an, prognostizieren Eric Bonse, Michael von der Schuldenburg und Thomas Fazi in dieser Ausgabe. JD Vance und Pete Hegseth haben sogar ausdrücklich herausgestellt, was dies für die EU bedeuten würde: Die USA stellen die Finanzierung des Krieges ein, aber Europa könne allein die Stellung halten und dafür US-Waffen kaufen. Die EU würde so dem mit Trump vereinbarten "Abnahmezwang" nachkommen.
Letztlich würde diese "Arbeitsteilung" Washington einerseits einen gesichtswahrenden Rückzug ermöglichen – man unterstützt weiterhin die EU direkt und die Ukraine indirekt militärisch – andererseits werden Kapazitäten freigesetzt, um sich auf die größere Konfrontation mit China zu konzentrieren.
Dass die fiskalpolitisch restriktive EU die Ukraine im gleichen Umfang wie jetzt unterstützen könnte, wenn sie nicht nur ihre eigenen Rüstungsexporte bezahlen müsste, sondern auch US-amerikanische Waffen kaufen und weiterleiten würde, ist zweifelhaft. Dennoch hat sich die EU in die Rolle des Zahlmeisters und Statisten eingefügt, sie ist vom "Global Player" zum "Global Payer" geworden – und riskiert damit, auf Dauer nur noch die Bühne zu dekorieren, auf der andere handeln.
Alle Artikel dieser Ausgabe:
- Haushaltsstreit der Koalition: Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen? Lars Klingbeil will die Steuern für Wohlhabende erhöhen, die Union lehnt den Vorschlag strikt ab und fordert stattdessen Ausgabenkürzungen beim Bürgergeld. Über die konjunkturellen Auswirkungen wird in beiden Fällen geschwiegen. Von der Redaktion
- Warum Personenfreizügigkeit schadet Aristoteles, der „Urvater“ der Ökonomie war gegen den freien Personenverkehr. Warum? Weil er wirklich etwas von Ökonomie verstand. Werner Vontobel
- Chinas Aufstieg und die Lage der arbeitenden Bevölkerung Längst gehört China zu den wirtschaftlich und technologisch führenden Staaten der Erde. Doch wie steht es um die Lage der arbeitenden Bevölkerung? Hat sie von dem Aufstieg profitiert? Rainer Land
- Nach Alaska-Gipfel: Was die fehlende Einigung für Trump, Putin und Europa bedeutet Nach dem Treffen zwischen Trump und Putin in Alaska steht fest: Der große Durchbruch ist noch nicht erreicht. Wie kann es weitergehen? Michael von der Schulenburg
- Ein Rückzug, der als Frieden getarnt ist Auf dem Gipfeltreffen in Alaska ging es nicht um ein endgültiges Friedensabkommen, sondern darum, den USA einen Rückzug aus der Ukraine zu ermöglichen, ohne eine Niederlage einzugestehen. Thomas Fazi
- Vom „Global Player“ zum „Global Payer“ Die europäische Politik wurde in der Sommerpause durchgeschüttelt wie noch nie. US-Präsident Trump hat die Europäer gleich bei drei Gipfeltreffen herausgefordert und geschlagen. Die Quittung fällt gesalzen aus. Eric Bonse
- Europas Ohnmacht auf offener Bühne Wie sich die EU zwischen Washington und Peking verzettelte – und warum das ein Menetekel für ihre Zukunft ist. Tiago Cardão-Pito
- Geld im Meer versenken? Gar nicht so doof! Während China an der weltweit ersten Unterwasser-Forschungsbasis arbeitet, kürzen die USA die Gelder ihrer wichtigsten ozeanografischen Institute. Dabei gewann Amerika das Rennen zum Mond einst durch beträchtliche Forschungsinvestitionen. Doch beim Wettlauf in die Tiefe ist es anders. Lukas Poths
- Fünfzig Jahre Memo-Gruppe: Die Beharrlichen Der fünfzigste Geburtstag der Memorandum-Gruppe markiert eine doppelte Wahrheit. Sie rettete den Keynesianismus, als alle anderen ihn fallenließen. Doch wer die Zukunft des Postkeynesianismus sucht, muss wohl über das Memorandum hinausgehen. Sebastian Müller