Back to the future im Freihandel
Das Mercosur-Abkommen wird in Brüssel als strategischer Erfolg gefeiert. Die EU-Kommission präsentiert es als Antwort auf den Protektionismus von US-Präsident Trump. In Wahrheit kommt es viel zu spät; der Deal wirkt wie aus der Zeit gefallen.
Endlich mal wieder eine Erfolgsmeldung aus Brüssel: Nach mehr als 20-jährigen Verhandlungen hat die EU-Kommission das Freihandels- und Partnerschafts-Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten abgesegnet. Nun soll es ratifiziert werden und – wenn alles gut geht - bis zum Jahresende die größte Freihandelszone der Welt schaffen.
Handelskommissar Maros Sefcovic spricht von einem historischen Erfolg. Der Abschluss habe strategische Bedeutung – weit über den Abbau von Zöllen und die Öffnung neuer Märkte hinaus. Für Sefcovic und seine deutsche Chefin Ursula von der Leyen geht es um Geopolitik bzw. Geoökonomie – und um die Stellung der EU in der Welt.
Die hat sich in den letzten Jahren rapide verschlechtert. Schuld daran ist nicht nur US-Präsident Donald Trump, der den Europäern im Sommer einen Handelsdeal aufgezwungen hat, der die EU dauerhaft schwächen dürfte. Dazu tragen auch der teure Krieg um die Ukraine, die gefährliche Feindschaft zu Russland und der rasante Aufstieg Chinas bei.
Europa droht in die dritte Liga abzusteigen – oder gar zum Vasallen der USA zu verkommen. Da kommt der Deal mit den Mercosur-Staaten gerade recht, um sich etwas Luft zu verschaffen und vielleicht sogar ein wenig freizuschwimmen. Die Zahlen sind beeindruckend und machen Hoffnung, dass die Wirtschaft profitieren könnte.
Das Handelsvolumen für Güter aus Deutschland und dem Mercosur liegt bei 24 Milliarden Euro. Für 91 Prozent aller gehandelten Waren sollen die Zölle schrittweise entfallen. Nach Angaben der EU-Kommission sparen die europäischen Exporteure dadurch jährlich rund vier Milliarden Euro, auf Deutschland entfallen bis zu 500 Millionen.
Die deutsche Wirtschaft hofft nicht nur auf neue lukrative Absatzmärkte für Autos. Sie erwartet auch, von der Öffnung des südamerikanischen Dienstleistungssektors oder bei der IT zu profitieren. Last but not least locken wichtige Rohstoffe und die Aussicht, kostengünstig „grünen“ Wasserstoff zu produzieren.
Allerdings sehen die Perspektiven nicht für alle EU-Länder ähnlich rosig aus. Vor allem Frankreich, aber auch Italien, Polen, Österreich und Belgien stehen dem Deal skeptisch bis ablehnend gegenüber. Sie fürchten, aus dem Handel „Cars for Cows“ als Verlierer hervorzugehen, unter Kostendruck zu geraten und Marktanteile zu verlieren.
Deshalb ist keineswegs sicher, dass das Abkommen zügig ratifiziert wird. Die EU-Kommission hat zwar vorgebaut und versucht, den Kritikern mit Quoten und Schutzklauseln entgegenzukommen. Zudem hat sie den Deal gesplittet, um die Verabschiedung des Handelsteils zu erleichtern. Dafür gilt „EU only“ – es reicht eine qualifizierte Mehrheit.
Frankreich und andere unzufriedene Länder können das Ab-kommen also nicht mehr im Alleingang blockieren, wie dies früher – etwa beim CETA-Abkommen mit Kanada – der Fall war. Doch wenn es – wie zu erwarten – zu massiven Protesten kommt und die europäische Politik durch den Deal gespalten wird, trägt dies nicht zur Stärkung bei.
Ohnehin stellt sich die Frage, ob das Mercosur-Abkommen nicht viel zu spät kommt. Mit seinem Fokus auf Freihandel wirkt es völlig aus der Zeit gefallen. Die Abschaffung der Zollbarrieren mag vor 20 Jahren noch eine Verheißung gewesen sein – im Zeitalter des Protektionismus und der Handelskriege wirkt sie anachronistisch.
Das Abkommen wurde zwar modernisiert und um Kapitel zum Klimaschutz ergänzt. Doch die entsprechenden Passagen wirken eher wie ein Alibi. Der Regenwald in Brasilien ist schon jetzt schwer geschädigt, der Deal mit der EU könnte die Abholzung sogar noch fördern. Die Klimakapitel wirken „wie ein Anstrich auf einem morschen Haus“, kritisieren die Grünen.
Selbst die geopolitische Bedeutung ist mit vielen Fragezeichen versehen. Die Annäherung an Brasilien kommt zwar zur rechten Zeit, nachdem Trump das Land mit einem Strafzoll von 50 Prozent überzogen hat. Doch Brasilien hat sich längst ins Lager der BRICS-Staaten geschlagen, die sich als Alternative auch zur EU begreifen.
Demgegenüber hält Argentinien unter dem ultraliberalen Präsidenten Javier Gerardo Milei ausgerechnet Trump die Treue. Auch da dürfte es den Europäern schwerfallen, die Politik zu beeinflussen. Sie laufen nicht nur den USA hinterher, sondern auch China, das seine Präsenz in Südamerika ausgebaut hat und mit Investitionen stärkt.
Vor diesem Hintergrund wirken die Jubelrufe aus Brüssel und Berlin wie Pfeifen im dunklen Wald. Die wirtschaftlichen Aussichten für Deutschland und die EU haben sich ständig verschlechtert; sie werden sich durch den Mercosur-Deal nicht nennenswert aufhellen. Und das politische Gewicht Europas ist auch nicht gewachsen.
Im Gegenteil: Die EU hat schon wieder vor Trump gekuscht – und ein Wettbewerbsverfahren gegen Google ausgesetzt. Den peinlichen Rückzieher soll Handelskommissar Sefcovic angeordnet haben – also ausgerechnet jener EU-Politiker, der nun den Mercosur-Deal feiert und behauptet, Europa habe damit an Unabhängigkeit gewonnen. Schön wär’s!