Die Wohnungspolitik muss umdenken
In Großstädten spitzt sich die Wohnungsnot weiter zu: Lange Schlangen vor Wohnungsbesichtigungen gehören zu Berlins Stadtbild ebenso wie der Fernsehturm und blau gefärbte Haare. Bund, Länder und Kommunen sollten posthum auf den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel hören.
Die aktuelle Situation verspricht wenig Besserung: Im vergangenen Jahr ging die Zahl der fertiggestellten Wohnungen um 14,4 Prozent zurück – heißt: obwohl das Ziel eigentlich 400.000 Wohnungen ist, wurden nur 251.900 Einheiten gebaut. Dennoch setzt die Bundesregierung weiter auf ihr Mantra „bauen, bauen, bauen“. Doch selbst wenn der Wohnungsbau zeitnah anstiege, würde es viele Jahre dauern, bis spürbare Auswirkungen eintreten würden. Außerdem ist nicht garantiert, dass durch den Neubau die Wohnungsnot effektiv behoben wird.
Zusätzlich gibt es zahlreiche Probleme, die durch den Fokus auf Neubauten verdeckt werden. Zunächst ein genauerer Blick auf den Mietmarkt: Das Angebot an Mietwohnungen ist in Großstädten vor allem in höheren Preissegmenten ab 15 Euro/m² groß, während es laut Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle im niedrigen Preissegment sehr klein ist. Der Grund: Auf dem Wohnungsmarkt wird immer weniger auf langfristige Mieteinnahmen gesetzt, sondern hauptsächlich auf Wertsteigerungen der Immobilie.
Der starke Anstieg an Immobilienspekulationen seit dem Platzen der Dotcom-Blase kam mit flächendeckenden Sanierungen von Wohnungen einher, die den Immobilienwert steigern sollen; so wurden viele Mietwohnungen dem niedrigen Preissegment entzogen. Diese Entwicklung wurde durch die Expansion des Short-Term-Rental-Marktes zusätzlich verstärkt: Mietwohnungen werden zu Ferienwohnungen umfunktioniert und auf Plattformen wie Airbnb angeboten. In der Folge richtet sich der Wohnungsmarkt zunehmend an Investoren, die Immobilien bevorzugt in hochpreisige und/oder kurzfristige Vermietungsobjekte umwandeln, anstatt die Nachfrage der lokalen Bevölkerung zu bedienen.
Ein anderer Faktor ist der sogenannte Remanenzeffekt: die Effizienz, mit der Wohnraum genutzt wird. Einige Menschen, wie zum Beispiel Eltern, deren Kinder ausziehen, haben eine Wohnung, die mittlerweile zu groß für sie ist und besonders bei Rentnern einen zu hohen Instandhaltungsaufwand bringt.
Dass sie trotzdem in diesen Immobilien wohnen bleiben, hat mit der ausgeprägten Diskrepanz zwischen Bestandsmietpreisen und aktuellen Angebotsmieten – besonders bei kleinen Wohnungen – zu tun. Beim Umzug würden sie für eine kleinere Wohnung einen sehr viel höheren Preis pro m² zahlen, in manchen Fällen sogar insgesamt mehr. Würde ihr Zugang zu kleinerem und günstigerem Wohnraum verbessert, könnten junge Familien adäquatere Wohnungen finden.
Zusätzlich trägt die Strategie der Bundesregierung der Tatsache keine Rechnung, dass Bauland in Großstädten immer knapper wird: Der Anteil der Baulandkosten an den Gesamtkosten der Errichtung eines Wohngebäudes betrug 1950 durchschnittlich mit circa 1,4 Prozent nur einen Bruchteil. Heute liegt er dort meistens bei etwa 50 Prozent, was die Kosten für Neubauten enorm hochtreibt. Die Agenda der Bundesregierung führt also in eine Sackgasse, wie nicht an der Schraube mit den Bodenkosten gedreht wird.
Privatisierungen gingen auf Kosten zukünftiger Generationen
Von den 90er- bis 10er-Jahren wurden kommunale Wohnungsbestände stetig privatisiert: 1987 gab es noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen in der BRD; ganz zu schweigen von den 4,2 Millionen Sozialwohnungen in der DDR; heute sind es nur noch knapp eine Millionen Einheiten. In Dresden hat die FDP-geführte Stadtverwaltung 2006 ihren kompletten Bestand von ca. 47.000 Wohnungen an eine US-amerikanische Investmentfirma für 1,7 Milliarden Euro verkauft – für 36.000 Euro (!) pro Einheit. Mit der Transaktion hat sie zwar ihre gesamten Schulden getilgt und wichtige Investitionen getätigt, etwa Schulsanierungen.
Doch damit ist sie auf längerer Sicht auf dem Wohnungsmarkt fast nicht mehr handlungsfähig und hat der Finanzialisierung des Wohnens und dem Remanenzeffekt wenig entgegenzusetzen. Nun hat die Stadt eine neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft gegründet, um Abhilfe bei ihrer Wohnungsnot zu schaffen, die quasi bei null anfangen muss. Den Preis für diese Kurzsichtigkeit zahlen heute Alleinerziehende, Studenten und junge Familien, die zu wenig Platz für ihre Kinder haben.
Nach fast 20 Jahren sind die verkauften Wohnungen ca. 9,4 Milliarden Euro wert – ein unglaublich schlechter Deal für die Stadt. Wäre der Fall Dresden nicht schon dramatisch genug, passiert ähnliches deutschlandweit.
Warum wir eine strategische Investitionsoffensive brauchen
Um die Wohnungsnot zu mildern, muss die Politik von Bundesregierung bis Stadtrat eine Strategie verfolgen, die in den Boden investiert. Das wäre – im Gegensatz zum Ausverkauf von Sozialwohnungen – finanziell nachhaltig:
Erstens können Grundstücke den Wohnungsbauunternehmen per Vergabe von Erbbaurechten zur Verfügung gestellt werden. Das Erbbaurecht berechtigt Private, kommunalen Grund gegen Bezahlung eines Erbbauzinses innerhalb eines verlängerbaren Zeitraums von 60 bis 99 Jahre zu bebauen. Dadurch müssen sie das Bauland nicht selbst erwerben, vermeiden die damit verbundenen finanziellen Risiken und können damit signifikant günstiger Wohnungen bauen. Die Kommune profitiert von stetigem Einkommen und behält das Grundstück.
Zweitens führen mehr Sozialwohnungen dazu, dass weniger Leistungsempfänger hohe Mieten zahlen müssen; dadurch können Bürgergeldausgaben für Bund und besonders für Kommunen reduziert werden, die in diesem Rahmen die Hälfte der Mietausgaben stemmen müssen. Staatliche Ausgaben, die insofern leistungslose Bodenrenten finanzieren, aber nicht für diesen Zweck vorgesehen sind. Drittens vermeidet man, Wohnungen für exorbitante Preise zurückkaufen zu müssen. Der Sozialdemokrat Hans-Jochen Vogel argumentierte in seinem Buch „Mehr Gerechtigkeit!“:
„Boden ist unvermehrbar und unverzichtbar. […] Deshalb muss er mehr als alle anderen Vermögensgüter in den Dienst der Interessen der Allgemeinheit gestellt werden. Die Wertschätzung des knappen und unentbehrlichen Gutes Boden darf sich nicht länger in spekulativen Gewinnerwartungen ausdrücken, sondern sollte vielmehr im Sinne einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Nutzung erfolgen, die den Boden als wesentliche Grundlage der Daseinsvorsorge sowohl für die heutige Bevölkerung als auch für die kommenden Generationen anerkennt“.
Als Vorbild für eine gute Wohnungspolitik führt er die Stadt Wien an, die kontinuierlich Grund aufkaufte und mit Sozialwohnungen bebaute. Ihr Anteil beträgt circa 45 Prozent des Wiener Wohnungsbestands. Zudem forderte er ein Verbot für Großstädte, wohnungsrelevante Grundstücke zu verkaufen. In Hamburg hatte 2022 der rot-grüne Senat den Beschluss gefasst, Grundstücke nur noch per Erbbaurecht zu vergeben.
Eine strategische Bodenpolitik ist auch für den Infrastrukturausbau wichtig. Denn selbst mit dem Sondervermögen Infrastruktur besteht weiterhin noch erheblicher Finanzierungsbedarf. Ohne einen substanziellen Grundbestand entgeht den Kommunen eine wichtige Einnahmequelle, die durch Wertsteigerungen in Verbindung mit Infrastrukturprojekten entstehen. Deshalb sollte der Staat diesen Planungswert durch einen Planungswertausgleich, wie Hans-Jochen Vogel ihn vorschlägt, mit einer Steuer abschöpfen, beziehungsweise möglichst durch Besitz der betroffenen Grundstücke einfangen. Andernfalls werden leistungslose Bodengewinne ausgeschüttet, die der Gesellschaft, die diesen Wert kreiert hat, zustehen sollten.
Die Bundesregierung ist am Zug
Das Problem: Viele Kommunen sind in einer schlechten finanziellen Situation und besitzen kaum finanzpolitischen Spielraum. Doch sie sind in der Wohnungspolitik der entscheidende Akteur, der die geeigneten Instrumente größtenteils bereits besitzt und standortbezogen agieren kann.
Deswegen muss der Bund einspringen. Dieser besitzt einen großen Anteil von Grundstücken, den er an die Kommunen übertragen kann, und – im Gegensatz zu den Ländern und Kommunen – die finanziellen Handlungsspielräume, um kommunalen Grundstücke zurückzuerwerben. Wichtig ist, es handelt sich hier um keine Ausgabe, sondern einen Aktivtausch: Der Staat verliert nichts, sondern es werden Zahlungsmittel auf seiner Bilanz für Vermögenswerte getauscht.
Die Wohnungsnot ist sozialer Sprengstoff. Schwenkt Schwarz-Rot jetzt nicht um, spitzt sie sich weiter zu – mit weitreichenden politischen Folgen.