Energiepolitik

Energiewende kann nur der Staat

| 10. September 2025

Der grüne Umbau funktioniert nur, wenn der Staat die Führung übernimmt – und gleichzeitig die Bevölkerung mitnimmt.

Die Energiewende ist die größte infrastrukturelle und industrielle Transformation seit der Nachkriegszeit. Wer sie erfolgreich gestalten will, muss eingestehen: Diese Aufgabe übersteigt die Möglichkeiten regionaler Initiativen, kommunaler Selbstorganisation oder marktgetriebener Lösungen. Die Energiewende ist eine Staatsaufgabe ersten Ranges – nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus technischen, ökonomischen und sozialen Notwendigkeiten, die nur unter öffentlicher Regie bewältigt werden können.

Ein Investitionsbedarf in Höhe von 651 Milliarden Euro in den nächsten 20 Jahren – nur für den Ausbau der Stromnetze. Investitionsvolumen über hunderte Milliarden für regenerative Energien. Wasserstoff-Elektrolyseure, Energie-Speicher für die Netzstabilität und Smart Grids – all das erfordert staatliche Koordination, langfristige Finanzierung und überregionale Planung. Kein Landkreis, keine Bürgergenossenschaft und kein privater Investor kann und wird solche Projekte stemmen. Hier ist der Staat gefordert – nicht als letzter Ausweg, sondern als einziger Akteur, der die notwendigen Ressourcen, Kompetenzen und demokratische Legitimation besitzt.

Dabei geht es nicht um blinden Staatsdirigismus. Im Gegenteil: Gerade, weil die Energiewende so komplex und folgenreich ist, müssen die Sorgen, Meinungen und Bedürfnisse der Menschen ernst genommen und einbezogen werden. Bürgerbeteiligung ist kein Hindernis für die Energiewende, sondern ihre gesellschaftliche Voraussetzung. Wenn die Bevölkerung keine Windkraftanlagen in Wäldern stehen haben will, dann hat der Staat dies zu akzeptieren. Demokratie hat immer Vorrang. Beteiligung muss richtig organisiert werden: als Kommunikation, Information und Meinungsbildung zu staatlichen Strategien.

Das katastrophale Beispiel der Wärmepumpen-Politik unter der Ampel-Regierung zeigt, was passiert, wenn der Staat seine Verantwortung nicht wahrnimmt und gleichzeitig die Bürger übergeht. Die Regierung wollte eine an sich sinnvolle Technologie per Gesetz durchsetzen, ohne die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen und ohne die berechtigten Sorgen der Menschen zu berücksichtigen. Das Ergebnis: Eine vielversprechende Technologie wurde gesellschaftlich verbrannt, Hausbesitzer in Panik versetzt und das Vertrauen in die Energiepolitik nachhaltig beschädigt.

Das Versagen der marktgetriebenen Energiewende

Die letzten zwanzig Jahre haben gezeigt, wohin eine marktgetriebene Energiewende führt: zu einem fragmentierten, ineffizienten und sozial ungerechten System. Private Investoren bauen Windräder und Solaranlagen dann, wenn die Rendite stimmt – ob sie energiewirtschaftlich benötigt werden, ist für sie zweitrangig. Innovative Technologien, die keine Rendite versprechen, bleiben zu oft auf der Strecke. Netzbetreiber erhöhen die Netzentgelte, um ihre Renditen zu sichern. Private Akteure optimieren ihre Gewinne, nicht die Versorgungssicherheit. Wenn das Allheilmittel marktliberaler Energiepolitik die Bepreisung von CO2 ist, kann die ganze Sache nur in die Hose gehen.

Der Markt hat in der Energiewirtschaft versagt. Energieinfrastruktur ist ein natürliches Monopol mit hohen Fixkosten, langen Amortisationszeiten und gesellschaftlichen Gemeinwohlverpflichtungen, die sich nicht privatwirtschaftlich lösen lassen. Versorgungssicherheit, Netzstabilität und bezahlbare Preise entstehen nicht durch Marktmechanismen, sondern durch öffentlichen Einfluss und demokratische Kontrolle. Wer die Energiewende dem Markt überlässt, opfert ihre gesellschaftlichen Ziele privatwirtschaftlichen Interessen.

Ein Staat, der seine energiepolitische Verantwortung ernst nimmt, setzt auf Technologieoffenheit und pragmatische Lösungen. Repowering alter Wind- und Solaranlagen kann die Energieausbeute auf bestehenden Flächen verdoppeln oder verdreifachen – ohne neue Konflikte um Standorte und mit bewährter gesellschaftlicher Akzeptanz. Wärmespeicherkraftwerke können stillgelegte Kohlekraftwerke in Pufferspeicher für erneuerbare Energien verwandeln – und Arbeitsplätze in den Regionen erhalten. Wasserstoff-Elektrolyseure können industrielle Prozesse dekarbonisieren und saisonale Speicherkapazitäten schaffen. Vertikale Windkraftanlagen können geräuscharm und platzsparend in städtischen Gebieten aufgestellt werden. All das sind staatliche Aufgaben, die zentrale Koordination und langfristige Investitionen erfordern.

Bürgerbeteiligung richtig verstehen

Die Energiewende braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Akzeptanz entsteht allen voran durch Vertrauen in staatliche Kompetenz und durch Berücksichtigung berechtigter Anliegen. Menschen müssen verstehen können, warum bestimmte Entscheidungen getroffen werden, wie sie davon betroffen sind und welche Unterstützung sie erwarten können. Sie müssen ihre Sorgen äußern können und Gewissheit haben, dass diese ernst genommen werden.

Das Wärmepumpen-Desaster ist ein Lehrstück dafür, wie es nicht geht. Die Ampel-Regierung beschloss ein Heizungsgesetz, ohne vorher die Netze auszubauen, ohne Fernwärme-Potenziale zu evaluieren, ohne Handwerker-Kapazitäten zu prüfen und ohne soziale Härten abzufedern. Gleichzeitig wurden die Sorgen der Bürger als rückständig abgetan und ihre praktischen Einwände ignoriert. Das Ergebnis: Gesellschaftlicher Widerstand, technische Probleme und politischer Vertrauensverlust.

Infrastruktur als Staatsaufgabe

Trotzdem oder gerade deswegen gilt: Die großen Infrastrukturprojekte der Energiewende können nur staatlich realisiert werden. Offshore-Windparks erfordern Milliarden-Investitionen, moderne Stromtrassen durchqueren mehrere Bundesländer und fügen sich in das europäische Verbundnetz ein, berühren tausende Eigentumsrechte und erfordern komplexe Genehmigungsverfahren und massive Investitionen. Wasserstoff-Pipelines für die industrielle Dekarbonisierung müssen europaweit vernetzt werden. Großspeicher müssen entwickelt, gebaut und betrieben werden.

All das übersteigt die Möglichkeiten regionaler oder privater Akteure. Hier braucht es den Staat – nicht als bürokratischen Apparat, sondern als strategischen Koordinator mit der Fähigkeit, komplexe Projekte durchzusetzen, Ressourcen langfristig ohne Profitinteressen zu investieren und mit der Legitimation, gesellschaftliche Interessen zu vertreten. Regionale Projekte können diese staatliche Infrastruktur sinnvoll ergänzen – lokale Windräder, Solaranlagen auf kommunalen Gebäuden, Nahwärmenetze für Wohnquartiere. Aber das Rückgrat der Energiewende sind die großen, staatsgetragenen Projekte.