Frankreich: Mit Kürzungen in die Krise
Frankreichs Premierminister Bayrou hat in der Nationalversammlung die Vertrauensfrage gestellt – und erwartungsgemäß verloren. Sein radikales Kürzungsprogramm stieß nicht nur im Unterhaus des Parlaments auf Ablehnung, sondern entfachte Proteste auf den Straßen der Republik.
Erneut hat Präsident Emmanuel Macron einen Premierminister verschlissen. Seit der letzten Präsidentschaftswahl ist das zu einer bedenklichen Regelmäßigkeit geworden. François Bayrou hat seinen Rücktritt über die Vertrauensfrage eingeleitet, wohl auch, um nicht weiter als Sündenbock für die unausweichlichen Dispute der Öffentlichkeit und Nationalversammlung herhalten zu müssen.
Stein des Anstoßes ist das Sparprogramm, das Kürzungen von 44 Milliarden im öffentlichen Haushalt vorsieht. Als Getreuer Macrons (Renaissance) vertrat Bayrou (Mouvement démocrate) die Position des zentristischen Parteienbündnisses Ensemble, das die Wahl 2022 gewann. Dessen Politik ist liberal-konservativ ausgerichtet.
Die anhaltende Regierungskrise resultiert aus haushaltspolitischem Druck und fehlenden Mehrheiten für Reformen. Nachdem Macron die Nationalversammlung 2024 aufgelöst hatte, bildeten sich bei den Neuwahlen zwei starke Lager: Das Linksbündnis Nouveau front populaire (NFP; 178 von 577 Sitzen) und der rechte Rassemblement national (RN; 125 von 577 Sitzen). Beide stehen den Konsolidierungsplänen Macrons ablehnend gegenüber – wenn auch beide eigene Sparpläne vorschlagen. Diese fallen aber weniger strikt aus und setzen andere Schwerpunkte.
Dabei ist zu betonen, dass die Ausrichtung der französischen Parteien nicht zwangsläufig mit der ihres vorgeblichen deutschen Pendants identisch ist. So ist der RN nicht derart marktliberal wie die AfD. Er schlägt geringere Einsparungen vor und bringt Instrumente wie eine Kapitalertragssteuer oder eine Abgabe auf Aktienrückkäufe ein – konkrete fiskalische Maßnahmen dieser Art fehlen bei der AfD.
Eine fiskalpolitische Trennschärfe wie im deutschen Parteiensystem (Austerität: liberal, konservativ, rechts; expansivere Finanzpolitik: sozialdemokratisch, grün, links) existiert also nicht. Und dementsprechend auch keine „natürliche“ Allianz der Zentristen mit dem RN. Die laufende Legislaturperiode war geprägt von wechselnden Mehrheiten, Entscheidungen der Zentristen bedurften einer Duldung der politischen Ränder. Macrons am Dienstag wiederholter Verzicht darauf, einen Kandidaten des Linksbündnisses (stärkste Kraft) als Premierminister zu wählen, wie es gegebene Praxis war, wird als Affront gesehen. Und macht Mehrheitsbeschaffung aus dem linken Lager schwierig.
Frankreich sieht sich mit einer Staatsschuldenquote von 114 Prozent des BIP konfrontiert. Etwa die Hälfte (60 Prozent) erlaubt die EU. Bei Wachstumsraten um die Ein-Prozent-Marke und ohne beschlussfähige Regierung mit neuem Haushalt, dürfte sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern. Völlig offen bleibt, wie Frankreich mit einer gelähmten Pro-EU-Regierung und starken EU-skeptischen Fraktionen mit den europäischen Schuldenregeln umgeht. Einige Analysten befürchten eine neue europäische Schuldenkrise.
Allerdings ist Frankreichs Position in der EU wesentlich stärker als die Griechenlands während der Eurokrise 2007 bis 2009. Die EZB wird – sollte Frankreich unfähig oder unwillig sein, die EU-Vorgaben zu erfüllen – eher mit Anleihekaufprogrammen reagieren, als ein Herzstück der europäischen Integration fallenzulassen.
Deutschland, das die EU-Schuldenregeln besonders strikt verteidigt, dürfte die Entwicklung im Nachbarland besorgt verfolgen. Die EU-kritischen, protektionistischen Kräfte werden stärker, während das neoliberale Zentrum seine alten Mehrheiten verloren hat. Zusammen hätten Deutschland und Frankreich zwar die Kraft, die europäische Wirtschaftspolitik in neue Bahnen zu lenken. Doch dass die Bundesrepublik ausgerechnet unter Friedrich Merz von den Maastricht-Kriterien abrückt, ist unwahrscheinlich.
Dem neuen Premier Sébastien Lecornu wird die Schwarz-Rote Koalition viel Erfolg mit Macrons Haushaltsentwurf wünschen – und die französische Verschuldungspraxis auf europäischer Ebene anzählen. Ob Lecornu der letzte Premierminister in Macrons Amtszeit sein wird, ist alles andere als ausgemacht.