Mehr als Mankiw: Michael Paetz schließt die Lücke in der Geldtheorie
Von den Grundlagen des modernen Finanzsystems bis zu unkonventionellen Maßnahmen in Krisenzeiten: Michael Paetz liefert ein Lehrbuch, das endlich die Realität der Geldschöpfung ernst nimmt.
Gute Lehrbücher, die sich in angemessenem Umfang mit Geldtheorie und Geldpolitik befassen, sind nach wie vor rar. Standardwerke der Volkswirtschaftslehre wie das von N. Gregory Mankiw und Mark P. Taylor ignorieren häufig neue Entwicklungen auf diesem Gebiet. Aber auch „alternativ“ ausgerichtete VWL-Lehrbücher – etwa von Heinz.-J. Bontrup und Ralf-M. Marquardt – bleiben hier in zentralen Fragen stark dem traditionellen Denken verhaftet.
So werden beispielsweise Banken vielfach noch immer als reine Finanzintermediäre beschrieben, die Geld von Sparern an Kreditnehmer weiterreichen – und dies, obwohl die endogene Geldtheorie, wonach Banken bei der Kreditvergabe Einlagen per Buchungssatz schaffen und das Geldangebot sich im Wesentlichen an die Nachfrage kreditwürdiger Kreditnehmer anpasst, in Zentralbankkreisen inzwischen weitgehend unbestritten ist.
Das Lehrbuch von Michael Paetz schließt diese Lücke. Es gliedert sich in drei Teile: Teil I (die Einführung) behandelt die monetären Beziehungen innerhalb eines Währungsraums sowie auf internationaler Ebene, Teil II die konventionelle Geldpolitik, Teil III schließlich die unkonventionelle Geldpolitik in Krisenzeiten, in denen die konventionelle Geldpolitik für eine Stabilisierung des Wirtschaftssystems nicht mehr ausreicht.
Teil I umfasst vier Kapitel zu zentralen Grundlagen und Zusammenhängen des modernen Finanzsystems, den Beziehungen zwischen Geschäfts- und Zentralbanken, dem Schattenbankensystem und dem internationalen Zahlungsverkehr.
Teil II setzt sich aus drei Kapiteln zusammen, in denen zunächst gezeigt wird, wie Zentralbanken mit unterschiedlichen Strategien Einfluss auf die kurzfristigen Zinsen des Bankensektors nehmen. Anschließend richtet sich der Blick auf die gesamtwirtschaftliche Steuerung (Inflationssteuerung sowie Geld- und Fiskalpolitik).
Nach herrschender Mehrheitsmeinung in der Ökonomik sollte die Zentralbank auf steigende Inflationsraten mit Zinserhöhungen und auf fallende Inflationsraten mit Zinssenkungen reagieren, um eine Stabilisierung der Produktion und der Arbeitslosigkeit auf ihrem „natürlichen Niveau“ zu erreichen. Die Fiskalpolitik müsse sich zurückhalten und dürfe nur in wirklichen Notfällen eingreifen. Paetz setzt sich kritisch mit der orthodoxen Position auseinander, nach der Stabilisierung allein Aufgabe der Geldpolitik sei, und stellt ihr eine alternative Position entgegen, die der Fiskalpolitik eine wesentlich bedeutendere Rolle zuschreibt.
Teil III enthält ebenfalls drei Kapitel. Auf Basis der zunächst vorgestellten Finanzkrisen-Theorie Hyman P. Minskys werden verschiedene kleinere und mittelgroße Finanzkrisen in den USA im Zeitraum 1930 bis 2007 analysiert. Danach untersucht Paetz die unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen nach der globalen Finanzkrise von 2007/2008. Gemeint sind hiermit Maßnahmen, die über die herkömmliche Steuerung des kurzfristigen Zinssatzes hinausgehen. Abschließend werden einige aktuelle Ereignisse beleuchtet, die für die Zentralbanken neue Herausforderungen mit sich brachten – etwa die Corona-Pandemie in den Jahren nach 2020 und der Energiepreisschock.
Das Lehrbuch richtet sich an Studierende der Volkswirtschaftslehre ebenso wie an Politologen und Soziologen, Fachkräfte im Finanzsektor sowie interessierte Laien. Überzeugend ist der klare und schlüssige Aufbau, der Schritt für Schritt von elementaren Grundlagen und Zusammenhängen zu spezialisierten Themen wie forderungsbesicherten Wertpapieren (bei denen illiquide Kreditforderungen wie zum Beispiel Immobilienkredite in liquide Wertpapiere transformiert werden) oder Varianten der Zinssteuerung führt.
Deutlich wird auch, wie wichtig ein korrektes Verständnis der Grundlagen etwa der Vermögens- und Finanzierungsrechnung ist, da fehlerhafte Grundannahmen gravierende Fehlinterpretationen nach sich ziehen können. So wird aus der Tatsache, dass in einer geschlossenen Volkswirtschaft die Ersparnis gleich den Investitionen ist, häufig fälschlicherweise geschlossen, dass die Höhe der Ersparnis über die Höhe der Investitionen entscheidet, also die Ersparnisse die Investitionen bestimmen. Paetz demonstriert, dass „Ersparnis“ – eine Stromgröße, die die Nichtverwendung von Einkommensteilen zum Konsum anzeigt – in dieser Bedeutung ein Gütermarktkonzept ist. Sie darf nicht mit „Finanzierung“ gleichgesetzt oder verwechselt werden, einem Geldmarktkonzept, das die Zahlungsmittelebene betrifft.
Genau diese Verwechslung von Ersparnis mit Finanzierung führt zu weiteren Fehlschlüssen, wenn die Untersuchung auf eine offene Volkswirtschaft ausgedehnt wird. Da hier in jedem Zeitraum die Summe aus inländischen Investitionen und Außenhandelsüberschuss ex post gleich der inländischen Ersparnis ist, wird oft geschlussfolgert, dass die Ersparnis die inländischen Investitionen und den Außenhandelsüberschuss finanziert. Das heißt konkret, dass es für die Zahlung eines Exportguts erforderlich ist, dem Ausland ein zuvor im Inland angespartes Geldvermögen zu leihen. Diese Interpretation ist aber schlicht falsch.
Alle drei Teile des Lehrbuchs zeichnen sich durch eine gleichbleibend hohe Qualität aus. Sie sind kenntnisreich verfasst, klar strukturiert und gut nachvollziehbar. Wissenschaftliche Präzision verbindet sich mit sprachlicher Klarheit, so dass auch komplexe Inhalte überzeugend vermittelt werden. Die Teile greifen stringent ineinander und ergeben in ihrer Gesamtschau ein rundum gelungenes Lehrwerk.
Hervorzuheben ist die ausführliche Darstellung der Theorie Hyman Minskys, die bislang nur selten Eingang in ökonomische Lehrbücher gefunden hat (sofern sie dort überhaupt erwähnt wird, bleibt es meist bei kurzen Hinweisen oder knappen, oberflächlichen Beschreibungen). Minskys Theorie lässt sich als eine „Investitionstheorie des Konjunkturzyklus und eine finanzielle Theorie der Investitionen“ (so Minsky selbst) zusammenfassen. Die erste ist die übliche keynesianische Sichtweise, die Schwankungen der Investitionsausgaben als treibende Kraft des Konjunkturzyklus betrachtet.
Minsky fügte dem seine finanzielle Theorie der Investitionen hinzu, in der er die Finanzierung von Investitionen genauer betrachtete – und es ist die Finanzierung, die strukturelle Fragilität erzeugt. Seine Erkenntnisse ermöglichten es Minsky, die Entwicklung der modernen kapitalistischen Wirtschaft im Zeitablauf zu analysieren. Tatsächlich spielt die finanzielle Theorie der Investitionen eine entscheidende Rolle in Minskys Hypothese, dass finanziell komplexe Volkswirtschaften zu Fragilität neigen – bekannt als seine „Hypothese der finanziellen Instabilität“.
Dass Paetz diese Theorie in sein Lehrbuch integriert und für aktuelle Entwicklungen fruchtbar macht, ist ein besonderer Vorzug seines Buches. Damit schließt es nicht nur eine Lücke in der Lehrbuchliteratur, sondern bietet zugleich eine fundierte Grundlage für das Verständnis gegenwärtiger Herausforderungen der Geld- und Fiskalpolitik. Insgesamt liegt hier ein Werk vor, das theoretische Schärfe mit Klarheit der Darstellung verbindet und sich als äußerst wertvoll für Studium und Praxis empfiehlt.
Michael Paetz: Geldtheorie und Geldpolitik – Grundlagen konventioneller und unkonventioneller Maßnahmen, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2025