Editorial

Für was steht Harris?

| 03. Oktober 2024
IMAGO / ZUMA Press Wire

Liebe Leserinnen und Leser,

wer ist Kamala Harris, jene Frau, die sich anschickt, das Weiße Haus zu erobern? Bisher fiel der Wahlkampf der demokratischen Präsidentschaftskandidatin kaum durch Inhalte auf. Dafür gilt die amtierende Vizepräsidentin als opportunistisch und wankelmütig. Ihre Kampagnen – eine Melange aus Wokismus und Ressentiment. Sie kopiert den Stil von Donald Trump, für was sie selbst steht, bleibt vage. In den Worten Tiago Cardão-Pitos: Genauso wie Trump gehe es ihr um die Abwertung des politischen Gegners, während sie sich zu Wirtschafts-, Umwelt- oder Außenpolitik kaum äußert.

Doch just bei ihrer außenpolitischen Haltung macht sich Thomas Fazi keine Illusionen: Harris sei eine „verkappte Neokonservative“. Ihr progressiver Hintergrund bediene die traditionellen Rechtfertigungen der US-Interventionen im Ausland. Der Appell an Humanität und Moral, so Fazi, sei das ideologische Fundament für den Einsatz militärischer Gewalt, Regimewechsel oder wirtschaftlichen und diplomatischen Druck zur Sicherung der "regelbasierten internationalen Ordnung" – in Wirklichkeit nichts anderes als eine Chiffre für die geopolitischen Interessen einer Nation, die um ihren Weltmachtstatus ringt.

Politik a là Harris als Alternative zu Trump könnte somit selbst zum doppelt vergifteten Exportprodukt für die Welt werden. Mit ihrer "reaganesken" Außenpolitik (Washington Post) droht sie die USA und ihre Verbündeten in weitere fatale Abenteuer zu treiben. Zugleich droht die Politik des Ressentiments – der unversöhnliche und zugleich inhaltsleere US-Wahlkampf – wie so vieles über den Atlantik nach Europa gespült und zur strategischen Blaupause der selbsternannten „demokratischen Kräfte“ im Kampf gegen den Rechtspopulismus zu werden. An der politischen Kultur der ohnehin schon schwer beschädigten westlichen Demokratien wäre das ein Bärendienst.

Diese und weitere Artikel finden Sie in unserer neuen Ausgabe:

  • Lithium – das weiße Gold Batterien sind nicht die Antwort auf alles, aber Teil einer möglichen Lösung. Dem Lithium kommt mit seinem geringen Gewicht und seiner Energiespeicherfähigkeit eine wichtige Rolle zu. Die Rohstoffförderung wird zum geopolitischen Wettrennen. Ed Conway
  • Javier Mileis wunderbare Wohnungsvermehrung Mehr Wohnungen, sinkende Mieten in Argentinien: War Mileis Deregulation des Wohnungsmarkts wirklich das richtige Werkzeug? Joseph Kuhn
  • Brasiliens Zwangsjacke Ähnlich wie Deutschland mit der Schuldenbremse ist auch Brasilien mit Herausforderungen seiner finanzpolitischen Architektur konfrontiert. Der Fokus auf Haushaltsüberschüsse machte es dem Schwellenland kaum möglich, soziale und ökologische Ziele zu erreichen. João Prates Romero und Clara Brenck
  • Erneutes steuerpolitisches Kräftemessen Eine globale Mindeststeuer für Superreiche ist der neueste Vorstoß, um die zunehmende Schieflage zwischen Kapital und Arbeit etwas auszugleichen. Könnte sie erreichen, was bei der globalen Mindeststeuer für multinationale Unternehmen nicht durchsetzbar war? Sarah Godar
  • Macht Abschreckung Deutschland sicherer? In Wiesbaden sollen amerikanische Mittelstreckenraketen stationiert werden. Das diene der Sicherheit Deutschlands, argumentiert die Bundesregierung. Wolfgang Richter, Oberst a.D., geht vom Gegenteil aus. Ulrike Simon
  • Kamala Harris – ein verkappter Neocon Kamala Harris gibt sich als fröhliche Gegenspielerin des rüpelhaften Trumps. Doch sie vertritt eine außenpolitische Linie im Geiste des US-Interventionismus. Ihr progressiv-liberaler Habitus macht sie umso gefährlicher. Thomas Fazi
  • Die Politik des Ressentiments Demokraten und Republikaner glänzen im Wahlkampf mehr mit Ressentiments als durch Inhalte. Dadurch verwischen die Parteigrenzen nicht nur, dieser Politikstil birgt auch Gefahren für den Rest der Welt. Tiago Cardão-Pito
  • Das hohle Gerede von der Brandmauer Erst Ostdeutschland, nun Österreich: Der Rechtsruck in der EU setzt sich fort. Brüssel hat dem wenig entgegenzusetzen – es sei denn, man würde die Politik ändern. Eric Bonse
  • Updates zur Konjunktur Die wirtschaftliche Talfahrt geht weiter. Deutschland droht aus einer Phase der Transformation als Verlierer hervorzugehen. Die Redaktion