Von den Layen

Chatkontrolle in der EU – aber nicht für die Kommission

| 23. September 2025

Bürokraten löschen ihre Chats, Bürger sollen alles offenlegen: Willkommen in der EU-Logik, wo selektive Transparenz großgeschrieben wird.

Realsatire in der EU? Der Satiriker Martin Sonneborn kennt sich als TITANIC-Herausgeber und Europaabgeordneter bestens mit seinem Fach aus. Der Alltag in Brüssel schreibt Geschichten, die selten an die Öffentlichkeit gelangen – gut, dass Sonneborn sie von nun an regelmäßig auf MAKROSKOP teilt.

Die Bürotür fliegt auf, so heftig wie seit zwei Jahren nicht mehr. Erregt stürmt meine Europapolitische Beraterin ins Büro: „Chatkontrolle …“ „Hast du einen Durchsuchungsbefehl?“ knurre ich und tippe weiter in mein Handy. „Ich antworte nur gerade meinem Büroleiter. Der ist empört, dass die EU ganz ungeniert mit Aserbaidschan fraternisiert, obwohl Aliyev schon wieder nach Armenien hineinschießen lässt …“

„Quatsch, es geht um Massenüberwachung. Frau von der Leyen will eine umfassende Kontrolle aller Messenger, Chats, Apps, virtuellen Räume, Plattformen, Texte und Bilder – einfach ALLER Kommunikationsmöglichkeiten im Netz!“

„Das kann ich mir kaum vorstellen, dann wären ja auch die SMS greifbar, mit denen sie die milliardenschweren Pfizer-Verträ …“

„Das ist ja das Lustige daran, die Kommission ist davon natürlich ausgenommen. Věra Jourová, Vizepräsidentin und zuständig für Werte & Transparenz, meint, was von Kommissionsbeamten per WhatsApp, SMS, Signal etc. verhandelt wird, beinhalte keine relevanten Informationen. Dabei läuft heute so vieles darüber.“

Mein Blick fällt auf das „Pils for Europe“-Banner an meiner Wand: „Also die Höhe von von der Leyens Provision, über die osteuropäische Journalisten hin und wieder spekulieren, tät mich schon interessieren …“

„Vergiss es, die Kommunikation der Mitarbeiter wird nur gespeichert, wenn jemand etwas aktiv archiviert, ansonsten wird nach sechs Monaten alles automatisch gelöscht.“

„Ah, jetzt weiß ich auch, warum viele Anfragen erst nach einem halben Jahr beantwortet werden … ZwinkerSmiley!“

Meine Beraterin schiebt mahnend eine Augenbraue nach oben: „Verstehst du nicht? Die Kommunikation von 31 000 Beamten, deren Tagesgeschäft von öffentlichem Interesse ist, wird gelöscht. Und bei den 450 Millionen Bürgern, für die sie arbeiten, soll es eine komplette anlasslose Massenüberwachung geben …?!“

„Kinderpornografie?“

„Unfug. Sämtliche relevanten Verbände erklären, dass derartige Inhalte über verschlüsselte Links ausgetauscht werden, die durch Überwachung absolut nicht zu identifizieren sind.“

„Stimmt ja, hat mir der Kollege Breyer auch gerade erklärt.“

Dieser Blog-Beitrag ist zunächst auf der Website des Satire-Magazins Titanic erschienen.