Klingbeil fordert „Buy European“ – EU bleibt zögerlich
Finanzminister Lars Klingbeil wirbt für eine industriepolitische Neuausrichtung der EU. Ein Vorrang europäischer Anbieter bei Schlüsseltechnologien sei denkbar – Details und Umsetzung sind jedoch noch offen.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat eine umfassende EU-Reformagenda angekündigt, die Europas Wirtschaft widerstandsfähiger machen soll. In seiner Rede an der Hertie School forderte er, Europa müsse sich aus einer defensiven Haltung lösen: „Für kritische Komponenten wie moderne Halbleiter und Batterien kann auch ‘Buy European’ der richtige Ansatz sein.“
Gemeint ist der Vorrang für europäische Anbieter bei Schlüsseltechnologien –, der Aufbau gemeinsamer Verteidigungsprojekte sowie eine stärkere Vernetzung in Energie und Infrastruktur. Ziel ist es, die europäische Wirtschaft gegen die zunehmenden Risiken globaler Handelskonflikte zu wappnen.
Die Initiative knüpft an eine alte Debatte an: Wie kann Europa in einem Umfeld wachsender geoökonomischer Rivalität seine Souveränität sichern? Die USA praktizieren seit Jahren eine aggressive Industriepolitik – etwa mit dem Inflation Reduction Act. China setzt ohnehin auf massiven Staatskapitalismus und strategische Industriepolitik. Europa dagegen hält im Rahmen des gemeinsamen Binnenmarkts weitgehend an einem freien Wettbewerb fest, auch wenn der „Net Zero Industry Act“ und der Wiederaufbaufonds kleine Schritte in Richtung aktiver Industriepolitik darstellen.
Klingbeils Vorstoß für eine europäische Investitionsagenda und gemeinsame öffentliche Güter steht für eine veränderte Wahrnehmung in Berlin: Ohne eigene industriepolitische Strategien verliert die EU im globalen Wettbewerb. Für Branchen wie Maschinenbau, Halbleiter und erneuerbare Energien ist der Druck bereits spürbar – Marktanteile gehen verloren, Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Ein „Buy European“-Prinzip soll, ähnlich wie „Buy American“, die Nachfrage nach heimischer Produktion stabilisieren und Innovationen fördern.
Doch es gibt Hürden. Innerhalb der EU herrscht große Skepsis gegenüber Eingriffen in den Wettbewerb. So signalisierte die EU-Kommission, dass jede Vorrangregel mit Bedacht geprüft werden müsse, um dem Binnenmarkt nicht zu schaden. In deutschen Wirtschaftskreisen wird anerkannt, dass eine robustere Industriepolitik notwendig ist, doch man mahnt: Ein überzogener „Buy European“-Ansatz könne Protektionismus nähren und Kosten steigern. Die DIHK mahnte bereits im Vorfeld vor Wettbewerbsverzerrungen durch nationale Beschaffungspräferenzen.
Auch manche Fraktionskreise innerhalb der Koalition zeigen sich skeptisch gegenüber der Umsetzbarkeit innerhalb des EU-Rechtsrahmens und gegenüber möglichen Reaktionen von Handelspartnern. Länder wie die Niederlande oder Schweden fürchten Protektionismus und Wettbewerbsverzerrungen. Zudem steht die Frage im Raum, wie „Buy European“ finanziert werden soll. Ohne gemeinsame europäische Investitionsprogramme besteht die Gefahr, dass reiche Mitgliedsstaaten profitieren, während ärmere EU-Länder ins Hintertreffen geraten.
Damit bleibt unklar, ob „Buy European“ mehr als ein politisches Signal wird. Die Vorschläge deuten zwar auf eine Abkehr von einer rein marktorientierten EU-Politik hin, konkrete Instrumente fehlen aber noch: Welche Güter erfasst würden, wie Ausnahmeregeln aussehen könnten und wie sich ein solches Prinzip mit WTO-Regeln vereinbaren ließe, ist bislang offen.
Für die europäische Wirtschaftspolitik wird entscheidend sein, ob Klingbeils Ansatz in ein breiteres Investitions- und Nachfrageprogramm eingebettet wird. Ohne diese Ergänzungen dürfte „Buy European“ kaum mehr als eine Schlagzeile bleiben – und damit die strukturelle Schwäche Europas im globalen Wettbewerb nicht nachhaltig verändern.