Ein Angriff auf Deutschland
Deutschland wird sabotiert und Russland beschuldigt: Der Angriff auf die Nord Stream-Pipelines ist einer jener Momente, in denen sich der Nebel des Krieges plötzlich lichtet – wenn man bereit ist hinzusehen.
Stellen Sie sich vor, Moskau wurde gestern bombardiert, und heute Morgen titelte die New York Times: "Moskau bombardiert: Russland beweist erneut seine Feindseligkeit gegenüber Europa". Klingt ziemlich verrückt? In gewisser Weise ist genau das letzte Woche passiert.
Am Dienstag, den 27. September, wurden drei große Lecks in den Nord-Stream-Gaspipelines zwischen Russland und Deutschland entdeckt, die durch Unterwasserexplosionen verursacht wurden. Das abendliche E-Mail-Briefing der New York Times, das an neun Millionen Leser verschickt wird, titelte "Verdacht auf russische Sabotage". Die europäische Ausgabe vom Mittwoch titelte ähnlich und kommentierte, die Anschläge seien ein Beweis für die russische Aggression gegen Europa.
Die gleiche Meinung wurde im Vereinigten Königreich geäußert. Die konservative Zeitung Telegraph veröffentlichte eine Schlagzeile mit der Überschrift "Nord Stream Sabotage: Wie Putin den Angriff ausgeführt haben könnte" und ein Foto von Wladimir Putin in einem Tauchboot. Der progressive Guardian schrieb von einer "neuen Phase des hybriden Krieges" gegen Europa und beschuldigte im Untertitel Russland der Sabotage.
Nord Stream war ein Asset für Russland und Deutschland
Das Nord-Stream-System ist ein Projekt, das sich mehrheitlich in russischem Besitz befindet und sowohl für Russland als auch für Deutschland von entscheidender Bedeutung ist. Die Pipeline war aufgrund der Sanktionen abgeschaltet. Der Anschlag könnte sie nun irreparabel beschädigt haben, da das einströmende Salzwasser die Rohre schnell korrodieren lässt. Zusätzlich hat der Angriff durch die massive Freisetzung von klimaschädlichem Methangas, das in dem 1.200 Kilometer langen System gespeichert ist, auch eine Umweltkatastrophe verursacht.
Für Deutschland ist Nord Stream eine wichtige und verlässliche Quelle für billiges Gas, das sowohl Energie für die deutsche Wirtschaft als auch Rohstoffe für die wichtige chemische Industrie liefert. Schon die Abschaltung hatte bereits enorme wirtschaftliche Kosten durch Energiepreissteigerungen und Versorgungsengpässe verursacht. Wenn das System irreparabel beschädigt wurde, wird Deutschland auf Dauer einen erheblichen wirtschaftlichen Flurschaden erleiden.
Für Russland wiederum ist Nord Stream sowohl ein wirtschaftlicher als auch ein geopolitischer Vorteil. Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Pipeline eine wichtige Quelle für Exporte und damit Deviseneinnahmen. In geopolitischer Hinsicht verschafft sie Russland ein Druckmittel gegenüber Deutschland. Außerdem umgeht sie den Verbund von Pipelines ( Brotherhood, Soyuz und Yamal), die die Ukraine durchqueren.
Die Antwort auf die Täterfrage hängt von Fähigkeiten und Motiven ab
Russland ist eindeutig in der Lage, die selbst gebaute Pipeline zu zerstören, aber das Motiv fehlt völlig. Für Russland ist die Zerstörung der Pipeline vergleichbar mit einem Atomangriff auf sich selbst: Es gewinnt nichts und verliert massiv. Es schwächt Russland wirtschaftlich und geopolitisch. Es gibt auch keinen kurzfristigen Gewinn, da die Pipeline bereits stillgelegt war und Russland den Gasfluss kontrollierte.
Die Zerstörung der Pipeline schwächt Russland und stärkt gleichzeitig die Ukraine, die durch die Pipeline ein Druckmittel gegenüber Russland und Deutschland erhält. Trotz dieses Motivs fehlen der Ukraine jedoch die Kapazitäten und der Zugang zur Ostsee.
Verdächtig, wenn auch nicht angeklagt, sind auch Polen, Schweden und Dänemark. Sie alle verfügen über die technischen Möglichkeiten und sind Ostseeanrainerstaaten, die in der Nähe der Explosionen liegen.
Was das Motiv betrifft, hegt Polen eine extreme Feindseligkeit gegenüber Russland und hat sich beharrlich für eine verstärkte Unterstützung der Ukraine ausgesprochen und sogar eine direkte Beteiligung der NATO gefordert. Allerdings ist das Land eng mit den USA verbündet und ihnen gegenüber verantwortlich. Die USA machen Polen zum Dreh- und Angelpunkt ihrer osteuropäischen Militärmissionen, was bedeutet, dass Polen nicht ohne die Zustimmung der USA handeln würde.
Trotz seiner guten Reputation hat Schweden eine starke rechtsgerichtete antirussische Fraktion, insbesondere innerhalb des Militärs. Schweden ist jedoch im Begriff, der NATO beizutreten, während Dänemark ein loyaler NATO-Partner ist. Es ist daher weit hergeholt zu glauben, dass einer der beiden Staaten im Alleingang eine für Deutschland so wichtige Infrastruktur angreifen würde.
Der letzte Verdächtige sind die USA, die sowohl die Fähigkeit als auch ein Motiv haben. Schon lange vor dem Ukraine-Konflikt opponierten die USA gegen die Nord Stream 2-Pipeline und setzten ihre gesamte diplomatische Macht ein, um deren Inbetriebnahme zu verhindern. Die Argumentation war, dass die Pipeline Russland wirtschaftlich stärkt und ihm ein Druckmittel gegen Deutschland gibt. Außerdem machte sie US-Gas für die europäische Energieversorgung irrelevant.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind die USA der große Gewinner der Nord Stream-Sabotage. Mit einem Schlag wurde nicht nur Russland wirtschaftlich geschädigt, sondern der Einfluss Russlands auf Deutschland und der Druck auf Deutschland, sich mit Russland zu arrangieren, verringert.
Darüber hinaus hat der Angriff die vorherige Dynamik umgekehrt und Deutschland in die Abhängigkeit von US-Flüssigerdgasexporten gestürzt. Auf diese Weise profitieren die US-Wirtschaft und der mächtige texanische Energiesektor, während die US-Regierung an Macht über Deutschland gewonnen hat.
Das US-Motiv ist klar und gewinnt durch ein bemerkenswertes Interview auf ABC News (7. Februar 2022) weiter an Gewicht, in dem Präsident Biden ausdrücklich von der Zerstörung des Nord Stream-Systems sprach. Der Wortlaut ging wie folgt:
Biden: "Wenn Russland einmarschiert ... dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen."
Reporter: "Aber wie wollen Sie das genau machen, da... das Projekt unter deutscher Kontrolle ist?"
Biden: "Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sein werden, das zu tun."
Ein erdrückendes Indiz ist auch die Anwesenheit der US-Marine am Explosionsort kurz vor der Detonation. Am 28. September segelte eine US-Flotte durch die Fehmarnbelt-Passage in der Nähe des Explosionsortes nach Westen. Zu dieser Flotte gehörten das amphibische Angriffsschiff USS Kearsarge und die Landungsschiffe USS Arlington und USS Gunston Hall. Die Kearsarge ist mit modernster Minenjagdtechnik für unbemannte Unterwasserfahrzeuge ausgestattet und hatte in der Ostsee die Vernichtung von Unterwasserminen getestet. Tage vor der Explosion wurde die Kearsarge in dreißig Kilometern Entfernung vom Explosionsort identifiziert.
Alles deutet darauf hin, dass die USA der Angreifer sind. Das Motiv ist überzeugend, die Indizien sind überzeugend, und es gibt keinen anderen plausiblen Verdächtigen.
Gedanken zum großen Ganzen
Der Angriff auf die Nord Stream-Pipelines ist einer jener Momente, in denen sich der Nebel des Krieges plötzlich lichtet und man die Realität sehen kann – wenn man bereit ist hinzusehen.
1. Der Angriff auf Nord Stream ist ein Angriff auf Deutschland, das ein wichtiger europäischer Verbündeter ist. Er zeigt, wie rücksichtslos die USA inzwischen agieren.
2. Der Angriff der USA auf russische Unterwasseranlagen birgt das Risiko von Vergeltungsmaßnahmen gegen amerikanische und westliche Unterwasseranlagen. Dies eröffnet einen weiteren Weg zu einem nuklearen Konflikt, der den bestehenden über die Schlachtfelder der Ukraine ergänzt.
3. Die Presseberichterstattung spricht Bände über den Zustand unserer Medien. Wir sprechen hier von den Leitmedien. Die Berichterstattung ist schockierend in ihrer ungeheuerlichen absichtlichen Täuschung: Die Darstellung in der Presse ist einfach nicht stimmig. Wahrscheinlich wird sie aus Gründen der Reputationserhaltung etwas zurückgenommen. Das Ziel ist jedoch erreicht und der Schaden angerichtet, da die Korrekturen nur teilweise erfolgen und wieder begraben werden, während Schlagzeilen ein Narrativ schaffen, das Bestand hat.
Die Nord Stream-Täuschung reiht sich ein in ein größeres Muster der Berichterstattung, die den Ukraine-Konflikt vom ersten Tag an geprägt hat, angefangen bei den Ursachen des Konflikts. Dieses Muster zeigte sich auch in der Berichterstattung über Ereignisse wie die Verminung des Hafens von Odessa, den Beschuss des Kernkraftwerks Saporischschja und die Gräueltaten von Mariupol.
4. Und schließlich fügt der Angriff Deutschland schweren Schaden zu, das nun die wirtschaftliche und politische Rechnung für seinen Kotau vor dem Ukraine-Plan der US-Neokonservativen zu zahlen beginnt. Das ist der zweite Akt des Ukraine-Konflikts, und er hat gerade erst begonnen. Die Aussichten für Europa sind nicht gut.