Warum Trump seinen Handelskrieg gegen Indien bereuen könnte
Trumps Strafzölle treffen Indien kurzfristig hart – doch am Ende dürften die USA selbst den höheren Preis zahlen: mit mehr Inflation, gestörten Lieferketten und einem geschwächten Bündnis im Indopazifik.
Kurzfristig mögen die von US-Präsident Donald Trump im vergangenen Monat verhängten 50-Prozent-Zölle auf indische Waren ein harter Schlag für Neu-Delhi sein. Doch auf lange Sicht haben sich die USA ein Eigentor geschossen. Mit dieser Maßnahme schadet Trump nicht nur einem wichtigen strategischen Partner, sondern riskiert auch, die Inflation anzuheizen und die Abkehr vom Dollar zu beschleunigen. Damit untergräbt er die eigene wirtschaftliche Schlagkraft und schwächt zugleich die Indopazifik-Strategie der USA – ein sicherheitspolitisches Fundament, das bisher sowohl republikanische als auch demokratische Präsidenten als Gegengewicht zu China verfolgt haben.
Indien reagierte mit offener Empörung auf die Zölle – nicht nur wegen ihrer Härte, sondern auch, weil es sich willkürlich herausgegriffen fühlt. Für Trump wiederum stellen die zusätzlichen 25 Prozent eine Strafe dar: Neu-Delhi habe mit dem Kauf von russischem Öl zu Vorzugspreisen Putins Krieg „finanziert“. Auffällig jedoch ist, dass China und die Europäische Union von vergleichbaren Maßnahmen verschont blieben – obwohl auch sie ihre Energieabhängigkeit von Russland bisher nicht vollständig aufgegeben haben.
Vorerst dürfte die indische Wirtschaft spürbar unter den Maßnahmen leiden. Die USA sind mit einem Anteil von 20 Prozent an den Exporten und über 2 Prozent am indischen BIP der wichtigste Handelspartner Neu-Delhis. Zwar gelten Ausnahmen für Schlüsselbranchen wie Pharmazeutika und Elektronik – doch inzwischen unterliegt rund zwei Drittel aller indischen Exporte in die Vereinigten Staaten einem Zollsatz von 50 Prozent.
Besonders hart dürfte es arbeitsintensive Branchen treffen: Textilien, Garnelen, Diamanten und Autoteile – Sektoren, die stark von kleinen Städten und regionalen Produktionszentren getragen werden. Der dort drohende Arbeitsplatzverlust verschärft ein ohnehin drängendes Problem: Für die wachsende Zahl junger Inder wird es noch schwieriger, eine stabile und produktive Beschäftigung zu finden.
Analysten der Economic Times schätzen, dass die US-Zölle das indische BIP-Wachstum um 30–80 Basispunkte verringern werden. Und das zu einer Zeit, in der die indische Wirtschaft global gesehen einer der wenigen Lichtblicke ist: Trotz des schwachen Welthandels ist sie in den letzten Jahrzehnten mit einer durchschnittlichen Jahresrate von über 6 Prozent gewachsen. Die USA spielten dabei sowohl als Markt für Waren und Dienstleistungen als auch als Quelle für Investitionen und Technologie eine zentrale Rolle. Zugleich stützen sich viele US-Firmen auf Indiens äußerst wettbewerbsfähige Lieferantenbasis. Trumps Zölle drohen nun, diese symbiotische Beziehung zu stören.
Am Ende dürften die Strafzölle vor allem den USA selbst schaden. Höhere Abgaben auf für die Lieferketten essenzielle indische Waren – von Leder bis zur Feinmechanik – verteuern Produktion und Konsum gleichermaßen. Für US-Hersteller bedeutet das steigende Kosten, für Verbraucher höhere Preise. Besonders brisant: Trumps politischer Aufstieg verdankte sich nicht zuletzt der Unzufriedenheit vieler Wähler mit der Inflation unter Joe Biden. Sollte er nun selbst Preisschübe auslösen, riskiert er, sein politisches Kapital rasch zu verspielen.
Ebenso kurzsichtig ist die Bestrafung Indiens für den Kauf russischen Öls. Denn die verbilligten Importe aus Moskau haben die globalen Energiepreise bislang gedämpft – und damit auch westlichen Volkswirtschaften genutzt. Würde Neu-Delhi abrupt darauf verzichten, drohten Preisspitzen, die weder OPEC noch US-Schieferölproduzenten kurzfristig ausgleichen könnten. Höhere Energiekosten würden Lieferketten verteuern und die Inflation weltweit anheizen – nicht zuletzt in den USA. Damit sägt Trump an den Grundpfeilern seiner eigenen Wirtschaftsagenda.
Der Zorn der Trump-Regierung über das bilaterale Handelsdefizit mit Indien blendet zentrale Fakten aus. Zählt man Anlageerträge, Rüstungsgeschäfte, Lizenzgebühren und Bildungsdienstleistungen hinzu, dreht sich die Bilanz klar zugunsten der USA. Allein indische Studierende – inzwischen die größte ausländische Gruppe an amerikanischen Hochschulen – spülen jedes Jahr Milliarden in die US-Wirtschaft.
Darüber hinaus sind die US-Technologieunternehmen auf einen stetigen Zustrom indischer Talente angewiesen. Umgekehrt ist Indien zu einem zu einem wichtigen Standort für die globalen Kompetenzzentren multinationaler Konzerne geworden: kostengünstiger IT-Support, Design, Buchhaltung, Kundendienst und andere Funktionen lassen die Unternehmensgewinne sprudeln. Die Zölle drohen dieses interdependente Ökosystem zu destabilisieren.
Am wichtigsten jedoch könnte der Verlust des Zugangs zu Indiens rasant wachsenden Mittelschicht sein – einem Verbrauchermarkt, der bis 2030 voraussichtlich über 800 Millionen Menschen umfassen wird. Diese Entwicklung eröffnet enorme Chancen für US-Unternehmen; ihr Ausschluss würde auf lange Sicht hohe Kosten verursachen.
Schließlich bergen die harten Zölle gegen Indien erhebliche geopolitische Risiken. Über zwei Jahrzehnte hinweg haben aufeinanderfolgende US-Regierungen Indien als strategisches Gegengewicht zu China gefördert – unter anderem durch sicherheits- und militärpolitische Initiativen wie die Quad-Allianz (USA, Australien, Indien, Japan). Gleichzeitig wurde der Informationsaustausch intensiviert und Indiens Rolle bei der Diversifizierung globaler Lieferketten gestärkt.
Diese hart erkämpften Fortschritte stehen nun auf der Kippe. Beim jüngsten Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) traf Indiens Premierminister Narendra Modi sowohl den russischen Präsidenten Wladimir Putin – dessen Besuch in Neu-Delhi noch in diesem Jahr geplant ist – als auch Chinas Präsidenten Xi Jinping. Das Treffen setzte ein deutliches Signal: Indien bleibt seinem Kurs der Multilateralität verpflichtet.
Indiens wachsende Annäherung an China steht im klaren Widerspruch zu den Zielen der US-Indopazifik-Strategie. Wie die frühere US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, jüngst mahnte: „Um China die Stirn zu bieten, brauchen die Vereinigten Staaten die Freundschaft Indiens.“
Die fünf ursprünglichen BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – richten ihre Politik zunehmend auf eine gemeinsame Strategie gegen die US-Hegemonie aus. Trumps harte Handelspolitik, insbesondere die massiven Zölle, hat diesen Prozess beschleunigt und zu verstärkten Bemühungen geführt, alternative Zahlungssysteme zu entwickeln, den Dollar zu umgehen und den Handel in lokalen Währungen abzuwickeln.
Indien wird gezwungen sein, seine Exportmärkte breiter zu diversifizieren und die heimische Industrie nachhaltig zu stärken. Diese Reformen mögen kurzfristig schmerzhaft sein, könnten aber langfristig zu größerer wirtschaftlicher Unabhängigkeit führen, Asiens Handelsnetzwerke enger knüpfen und die indische Partnerschaft mit Europa und Afrika deutlich ausbauen.
Für die USA wird es hingegen deutlich schwerer, das Vertrauen Indiens zurückzugewinnen. Anders als kleinere Volkswirtschaften, die ohne größere geopolitische Konsequenzen zu Zugeständnissen gedrängt werden können, verfügt Indien über 1,46 Milliarden Menschen und verfolgt klare Ambitionen, in einer multipolaren Welt zur Großmacht aufzusteigen. Trumps Strafzölle könnten in Neu-Delhi langfristig als strategischer Bruchpunkt in Erinnerung bleiben.
Gleiches gilt für die USA selbst. Trumps Zölle gegen Indien mögen kurzfristig innenpolitische Vorteile bringen, doch langfristig untergraben sie zentrale amerikanische Interessen: Sie entfremden einen aufstrebenden Handelspartner, fördern Alternativen zum Dollar, stören Lieferketten und gefährden den Zugang zu einem der wichtigsten Märkte der Zukunft. Indien wird sich anpassen und seine Widerstandskraft stärken – die USA hingegen riskieren, eine Partnerschaft zu verlieren, die für ihre wirtschaftliche Stärke und geopolitische Position entscheidend ist.