Flottengrenzwerte

PR für die E-Auto-Lobby

| 16. Oktober 2024
IMAGO / Zoonar

Lobbyarbeit und eigenes Versagen haben die deutsche Automobilindustrie in ein Fiasko getrieben. Der WiWo-Redakteur Martin Seiwert deutet die beschlossene Rationierung von Verbrenner-Autos in Technologieoffenheit um.

Aufgrund des neuen CO2-Flottengrenzwerts drohen der kriselnden Autoindustrie Strafzahlungen in Milliardenhöhe. In einem Beitrag in der WirtschaftsWoche vom 16.9.2024 fordert Martin Seiwert, der zunehmenden Kritik daran nicht nachzugeben: „Hoffentlich hält die EU diesem Sturm stand. Denn die Regulierung ist geradezu vorbildlich: Sie ist marktwirtschaftlich, industriefreundlich und technologieoffen.“ Das ist ihm so wichtig, dass er es fast wortgleich wiederholt: „Es ist das Resultat eines industriefreundlichen, marktwirtschaftlichen und technologieoffenen Klimaschutzes.“

Ein kurzer Blick auf die Fakten zeigt indes, dass daran kein Wort wahr ist.

Der Flottengrenzwert liegt derzeit bei 115 Gramm CO2/km. 2025 soll er auf 94 Gramm sinken. Dieser Wert bereitet der Automobilindustrie derzeit große Sorgen. Bei Überschreitung müssen die Hersteller 95 Euro pro Gramm und zugelassenem Fahrzeug zahlen. Ab 2030 dürfen es gar nur noch 50 Gramm sein. Seiwert erklärt das für technologieoffen, verschweigt aber, dass der ab 2025 gültige Wert ab der Kompaktklasse aufwärts mit keinem einzigen Verbrenner eingehalten werden kann. Beispiele: Laut ADAC liegt der Emissionswert bei Autos der Golf-Klasse mit Verbrennungsmotor bei 143 g CO2 / km.  Toyota gibt für den steckerlosen Mild-Hybrid Corolla 104 g an. 

Anders sieht es bei Autos aus, die längere Strecken rein elektrisch fahren: Für den Plug-in-Hybrid Prius werden 11 bis 16 g genannt. VW gibt für den ID.3 genau null Gramm Emissionen an. 

Die null Gramm des VW ID.3 sollten stutzig machen. Wie kann das sein? Wurden die Kohle- und Gaskraftwerke etwa vorzeitig abgeschaltet?

Die simple Wahrheit lautet: Das E-Auto wird von der EU-Kommission als emissionsfrei eingestuft, weil es keinen Auspuff hat. Die Emissionen der Stromerzeugung werden vollständig ausgeblendet – auch in Ländern wie Deutschland oder Polen, wo noch viele fossile Kraftwerke in Betrieb sind. Ziel dieser unsinnigen Grenzwertdefinition ist es nicht, den CO2-Ausstoß zu senken, sondern die Hersteller zu zwingen, mehr Elektroautos zu verkaufen. Deren tatsächliche Emissionen interessieren in Brüssel und Berlin niemanden.

Wie hoch die Emissionen wirklich sind

Für den VW ID.3 nennt der ADAC 96 g/km. Das liegt über dem neuen Grenzwert! Wenn man also die Emissionen des Ladestroms nicht vernachlässigt, dann ist es auch mit den meisten E-Autos nicht möglich, den neuen Flottengrenzwert zu unterschreiten. Die Begründung, warum ab 2025 nur Anbieter von Verbrennern Strafzahlungen leisten sollen, wurde von den Verantwortlichen vorgeschoben, um Druck auf die Hersteller auszuüben.

Zur Erinnerung: Martin Seiwert kommentiert: „Die Regulierung ist geradezu vorbildlich: Sie ist marktwirtschaftlich, industriefreundlich und technologieoffen.“ Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun. Drei Einwände drängen sich auf:

  • Wie kann es technologieoffen sein, eine Antriebstechnik de facto zu verbieten
  • Wie kann es marktwirtschaftlich sein, jemand anderen als den Kunden entscheiden zu lassen?
  • Wie kann es industriefreundlich sein, einer Industrie das einzige profitable Produkt zu nehmen?

In einem Punkt nur hat er recht: „… es wurde mit der Industrie abgesprochen.“

Echte Widersacher gibt es kaum noch

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hatte tatsächlich nach Rücksprache mit den Fahrzeugherstellern den Flottengrenzwerten zugestimmt. Der Grund: Man wolle „Planungssicherheit“. Mögliche Kundenwünsche wurden nicht berücksichtigt. Einen Plan B für den Fall, dass sich die E-Autos nicht verkaufen lassen, gibt es daher nicht.

Die deutsche Automobilindustrie sitzt nun in einer Falle, die sie selbst mit aufgestellt hat. Hochprofessionelle Lobbyarbeit einschlägiger Denkfabriken hat zusammen mit dem Versagen von Industrieverbänden die Automobilindustrie in ein Fiasko getrieben. Warum der WiWo-Redakteur Seiwert mit seinen Behauptungen die Politik in ihrem fatalen Kurs noch zu bestärken versucht, ist rätselhaft.

Natürlich wurden noch einige weitere Ideen entwickelt, um die Klimabilanz des E-Autos zu beschönigen. Es folgen zwei Beispiele samt Widerlegung:

Erstens, die Emissionen der Stromerzeugung seien durch den CO2-Zertifikatehandel gedeckelt. Neue Verbraucher könnten daher keine höheren Emissionen auslösen.

Das wird gerne behauptet, ist aber falsch. Höherer Stromverbrauch löst weiterhin höhere Emissionen aus. Von einer Deckelung ist Deutschland noch weit entfernt.

Zweitens, die 96 Gramm des VW ID.3 sind immerhin ein Drittel weniger als die 143 Gramm von Kompaktautos mit Verbrennungsmotor. Ist das nicht Grund genug zum Umstieg?

Nein. Denn wie so viele andere, so macht auch der ADAC bei der Berechnung der Fahremissionen einen entscheidenden methodischen Fehler: Er ermittelt die Emissionen des zusätzlich benötigten Ladestroms mit dem Durchschnittsansatz. Das entspricht der Annahme, die Emissionen der Stromerzeugung wären lastunabhängig.

Wie soll das möglich sein? Dazu müssten entweder alle Kraftwerke die gleichen Emissionen haben oder aber bei Laständerungen gleichermaßen herauf- und herunterregeln. Das ist zweifelsfrei nicht der Fall. Zusätzlicher Strombedarf (Marginalstrom) wird weit überwiegend von regelbaren (und leider meist fossilen) Kraftwerken gedeckt: Literatur-Werte für die deutsche Marginalstrom-CO2-Intensität sind von der Größenordnung also rund doppelt so hoch, wie die für die Durchschnittsstrom-CO2-Intensität.

Das verhagelt dem E-Auto die Klimabilanz gründlich. Anhand der Zahlen steht klar und deutlich fest: E-Autos sind in Deutschland eine miserable Klimaschutz-Maßnahme.