Makroskop
Kommentar von Thilo Bode

Bilanz einer Bewegung: Was NGOs heute anders machen müssen

| 15. Oktober 2025
IMAGO / argum

Die großen Ziele bleiben unerreicht: Warum Entwicklungs-Umwelt-, Klima- und Verbraucherpolitik trotz jahrzehntelanger NGO-Arbeit in der Sackgasse stecken.

Die Bilanz der zivilgesellschaftlichen Organisationen in zentralen Politikfeldern ist ernüchternd. Trotz großer Erfolge haben sich die wesentlichen Probleme der Entwicklungshilfe, der Umwelt- und Klimapolitik sowie in der Agrar- und Verbraucherpolitik nicht verbessert – zum Teil sogar verschärft. In meinem Buch Resist – ein Aufruf zum Widerstand ziehe ich eine persönliche und politische Zwischenbilanz und zeige, welche Lehren die Zivilgesellschaft daraus ziehen sollte.

Entwicklungshilfe: Es fehlen Transparenz und öffentliche Kontrolle!

Entwicklungshilfe findet weitgehend ohne öffentliche Kontrolle statt. Es fehlt eine unabhängige Evaluierung der Projekte, sodass kaum nachvollziehbar ist, ob Hilfe tatsächlich wirkt oder Schaden anrichtet. Das Ministerium verweigert Informationen über die Wirkung der Entwicklungshilfe Projekte. Eine Anfrage nach den Wirkungen von Trinkwasser, Bewässerungs- und Tourismusprojekten in den letzten 40 Jahren in Tunesien wurde durchgehend mit geschwärzten Dokumenten beantwortet. Der Erfolg der Hilfe wird an einzelnen Projekten gemessen, nicht an ihrer langfristigen Wirkung auf die Entwicklung eines Landes. Mehr Hilfe ist nicht automatisch besser, weniger nicht automatisch schlechter.

Die strukturellen Ursachen von Armut – insbesondere ungleiche Landbesitzverhältnisse – werden durch Entwicklungshilfe in der Regel nicht angetastet. Damit eignet sie sich nicht als Instrument zur nachhaltigen Armutsbekämpfung oder zur Steuerung von Migration aus Entwicklungsländern.

Da ein erheblicher Teil der Budgets von Entwicklungshilfe-NGOs von staatlicher Finanzierung abhängt, fehlt häufig die kritische Distanz. Wer bezahlt, bestimmt die Themen. Eine unabhängige öffentliche Kontrolle findet nicht statt.

Zudem kann Entwicklungspolitik selbst negative Auswirkungen haben. Die von Deutschland finanzierte Ausbildung der tunesischen Polizei unter dem Diktator Ben Ali führte zu einem massiven Anstieg des militanten Islamismus – und gefährdete letztlich auch unsere eigene Sicherheit. Eine insgesamt positive Bilanz der Hilfe für ein Land kann außerdem durch eine protektionistische Handelspolitik konterkariert werden.

Umwelt- und Klimapolitik: Konfrontation statt Kooperation!

Trotz sichtbarer Erfolge der Umweltbewegung – Schutz der Gewässer und der Luftreinhaltung, Fortschritte hin zu einer ökologisch orientierten Chemiepolitik, der Siegeszug regenerativer Energien – hat sie ihre zentralen Ziele – Senkung der Treibhausgasemissionen, Schutz der Artenvielfalt, saubere Meere und Wälder – nicht erreicht. Diese stehen heute sogar wieder zur Disposition.

Ein Grund dafür ist die Hinwendung zahlreicher Umweltorganisation zu kooperativen Strategien, weg von der konfrontativen Auseinandersetzung mit Konzernen und ihnen hörigen Regierungen. Für Umweltorganisationen gilt heute: Kooperation statt Konfrontation. Diese Haltung hat zur Selbstentmachtung der NGOs geführt. Nur dauerhafte Konfrontation mit den Verursachern von Umweltschäden erzeugt politischen Druck und führt zu Veränderungen. Kooperation mit Konzernen oder Ministerien ersetzt keinen gesellschaftlichen Konflikt.

Hinzu kommt die wachsende finanzielle Abhängigkeit vieler Umwelt-NGOs von staatlicher Finanzierung, vor allem der Europäischen Kommission. Wer sich in Brüssel von der EU finanzieren lässt, akzeptiert zwangsläufig auch inhaltliche Vorgaben – und verliert damit seine Unabhängigkeit.

Klimapolitik muss außerdem soziale Aspekte berücksichtigen. Die Menschen wollen Klimaschutz, aber sie haben auch gerechtfertigte Angst vor Kosten, die sie nicht mehr stemmen können. Der Umbau des fossilen Energiesystems verteuert praktisch alle Güter und Dienstleistungen. Wenn einkommensschwache Haushalte nicht entlastet werden, verliert Klimapolitik die notwendige gesellschaftliche Unterstützung. Der Slogan: „Klimaschutz muss bezahlbar sein“ blendet aus, dass vornehmlich für die schwachen Mitglieder der Gesellschaft die Klimapolitik nicht bezahlbar ist – obwohl sie am wenigsten die Umwelt schädigen. Klimapolitik ist Verteilungspolitik. Das Ausbleiben des angekündigten Klimageldes war daher ein schwerer politischer Fehler.

Agrar-, Lebensmittel- und Verbraucherpolitik: Ein Europa für Bürger, nicht für Profite!

Der europäische Lebensmittelmarkt ist intransparent und schützt Verbraucher weder vor Täuschung noch vor Gesundheitsgefahren. Verbraucher können die Qualität von Lebensmitteln nicht zuverlässig beurteilen – und haben somit keine echte Wahlfreiheit. Der Staat lässt seine Bürger im Stich. Er kann sich aus seiner Verantwortung stehlen, weil Verbraucher Täuschung und gesundheitliche Folgen selber nicht selbst nachweisen können.

Gleichzeitig kooperieren wichtige NGOs und Bio-Verbände mit den Verursachern von Umweltschäden. In Gremien wie der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ oder der „Borchert-Kommission“ unterstützen sie politische Kompromisse, die den Subventionswahnsinn der Agrarpolitik fortschreiben, statt ihn zu beenden.

Die Binnenmarktregel der „Grundfreiheit des freien Warenverkehrs“ verhindert zudem einen wirksamen Verbraucherschutz. Kritik an den strukturellen Defiziten der Europäischen Union bleibt aus – auch aus Angst, Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Ein demokratisches, souveränes Europa für Bürger bleibt eine leere Formel, wenn die rein kommerziellen Binnenmarktregeln der Union Gemeinwohlinteressen ausblenden.

Bilanz und Ausblick

Ich war selbst Teil der beschriebenen Entwicklungen. Erst beim Schreiben dieses Buches wurde mir klar, was ich hätte anders machen können und sollen – und was ich heute der Zivilgesellschaft empfehle.

NGOs sind unverzichtbare Kontrolleure der Macht und Impulsgeber in demokratischen Systemen. Wir brauchen wieder unabhängige und konfrontative NGOs. Die Zivilgesellschaft darf sich nicht durch staatliche Finanzierung oder Kooperationen neutralisieren lassen. Nur wer bereit ist, Konflikte auszutragen, kann Politik verändern.

Ich bin optimistisch, dass wir das Blatt wenden können. Eine Voraussetzung ist, selbstkritisch z reflektieren, was wir hätten, besser machen können. Anders als vor vierzig Jahren existieren für alle großen Probleme heute machbare Lösungen. Das diese so schwer umsetzbar sind, dokumentiert die unglaubliche Macht der großen Konzerne. Deshalb können wir die existierenden Lösungen nur durchsetzen, wenn wir uns mit den Mächtigen anlegen. 

Thilo Bode: Resist – ein Aufruf zum Widerstand. Erinnerungen eines politischen Aktivisten, Penguin Random House 2025, 300 Seiten.