Makroskop
20-Punkte-Plan

Trumps Gaza-Diplomatie: Im Stile Kissingers

| 14. Oktober 2025
IMAGO / ABACAPRESS

Donald Trump zwingt Israel und Hamas in einen Waffenstillstand – der Teilerfolg resultiert aus Kalkül. Seine Gaza-Strategie folgt Kissingers Logik: Frieden als ein stufenweiser Prozess.

So viel ist in den letzten Tagen im Nahen Osten geschehen, dass man beinahe vergisst, wie nah am Scheitern das ganze Unternehmen war: Nach der vorsichtig positiven, wenn auch unter Vorbehalten stehenden Reaktion der Hamas auf den 20-Punkte Plan von US-Präsident Donald Trump wollte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu offenbar kompromisslos bleiben und den Friedensprozess blockieren. Trump drehte den Spieß um: Er feierte die Antwort der Hamas als Zustimmung, befahl – buchstäblich – öffentlich die Einstellung der Angriffe auf Gaza, und stellte Netanjahu in den Medien wie einen Vasallen dar. Gleichzeitig nutzte er die Bühne, um seine eigene Popularität in Israel in Szene zu setzen. In diesem Moment wurde deutlich, wer in der Verhandlung die Oberhand gewann – und wer nur noch reagieren konnte.

Unter dem Druck der USA sowie arabischer und muslimischer Staaten wurden die Regierung Netanjahu und die politische Führung der Hamas gezwungen, ein begrenztes Abkommen zu unterzeichnen: Es sah die Freilassung von 48 israelischen Geiseln – darunter 20 Lebende – im Austausch gegen einen teil- und schrittweisen Rückzug der israelischen Armee aus den Städten vor.

Die Vereinbarung sieht vor, dass sich die israelische Armee in einen breiten Sicherheitsgürtel zurückzieht, der zwar rund 53 Prozent des Territoriums des Gazastreifens unter israelischer Kontrolle belässt, die IDF jedoch aus den dicht besiedelten Stadtgebieten abzieht. Damit kann die Hamas ihre Kontrolle in den urbanen Zonen wieder festigen. Zugleich wurde das Ende der Kämpfe unter internationaler Garantie vereinbart. Bestandteil des Abkommens war auch die Freilassung von etwa 2.000 palästinensischen Gefangenen – darunter rund 250 zu lebenslanger Haft Verurteilte sowie etwa 1.700, die während des Krieges festgenommen worden waren.

Ein nahezu vollständiger Rückzug der israelischen Armee soll erst erfolgen, nachdem die Hamas entwaffnet und ihre Herrschaft über den Gazastreifen beendet ist. Das zuständige Regionalkommando der US-Streitkräfte für den Nahen Osten (CENTCOM) wird in Gaza ein Kommando- und Kontrollzentrum errichten, das die Sicherheitskoordination übernimmt. Trump übermittelte den Vermittlern persönlich Garantien, dass er Israel keine einseitige Wiederaufnahme der Kämpfe gestatten werde.

Trump und sein Vizepräsident J.D. Vance konnten das Abkommen zwar durchsetzen, mussten jedoch einen hohen Preis an die Hamas und ihre regionalen Verbündeten zahlen und in mehreren entscheidenden Punkten nachgeben, die den weiteren Verlauf der Verhandlungen gefährden könnten.

Die Erfolge der Achse Netanjahu–Katar–Erdoğan

Benjamin Netanjahu stellte sich sowohl gegen die diplomatischen Bemühungen des ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden als auch gegen den ägyptischen Friedensplan vom März 2025. Der ägyptische Vorschlag sah vor, im Gazastreifen eine palästinensische Polizeitruppe auszubilden und einzusetzen – und zwar auch dann, wenn die Hamas einem Geiselabkommen nicht zustimmen würde. Ziel war es, schon vor einem möglichen politischen Durchbruch eine stabile Sicherheitsstruktur in Gaza aufzubauen.

Netanjahus Widerstand gegen diesen Vorstoß hatte weitreichende Folgen. Indem er die Umsetzung blockierte, verlieh er der Hamas de facto ein Vetorecht für den gesamten Friedensprozess. Ohne Zustimmung der Islamisten konnte keine neue Sicherheitsordnung entstehen. Dennoch bildeten ägyptische Kräfte rund 20.000 Palästinenser aus, um die Grundlagen für eine künftige Verwaltung und Polizeiarbeit zu schaffen.

Als Donald Trump später seinen eigenen Nahostplan vorlegte, übernahm er das ägyptische Prinzip zunächst in Artikel 17 seines Vorschlags. Doch auf Druck Netanjahus wurde dieser Punkt faktisch wieder gestrichen. Damit war auch Trumps Plan nicht mehr ohne die Zustimmung der Hamas umsetzbar. Um sie dennoch in den Prozess einzubinden, musste Washington schließlich auf Katar und den türkischen Präsidenten Erdoğan zurückgreifen – die einzigen Akteure, die genügend Einfluss auf die Hamas hatten, um sie an den Verhandlungstisch zu bringen.

Auf diese Weise half Netanjahu bewusst und vorsätzlich der Hamas und deren regionalen Verbündeten. Abgesehen von einer offiziellen Entschuldigung des israelischen Primärministers für einen auf katarischen Staatsgebiet durchgeführten Luftschlag gegen Hamas-Funktionäre erhielt Katar per Präsidialdekret eine US-amerikanische Sicherheitsgarantie. Zudem soll innerhalb eines US-Militärstützpunkts im Bundesstaat Idaho eine Anlage der katarischen Luftwaffe entstehen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan konnte im Zuge der Friedensverhandlungen erhebliche strategische Zugeständnisse erreichen. Ihm wurde die Aussicht auf den Erwerb von F-16- und F-35-Kampfflugzeugen zugesichert – ein Schritt, der die bislang unangefochtene Lufthoheit Israels in der Region potenziell schwächen könnte. Außerdem ist die Aufhebung bestehender Sanktionen gegen die Türkei vorgesehen. Nach mehreren Berichten soll Ankara darüber hinaus eine Schlüsselrolle bei der Koordinierung humanitärer Hilfslieferungen in den Gazastreifen über israelisches Territorium sowie beim anschließenden Wiederaufbau übernehmen.

Der israelische Journalist Pinchas Inbari, der über enge Kontakte in der arabischen Welt verfügt, hält eine türkische Einflussnahme in Gaza jedoch für äußerst unwahrscheinlich. Die Gegner der Muslimbruderschaft – darunter Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – würden laut Inbari keine türkische Rolle in Gaza akzeptieren und sich strikt weigern, ein solches Szenario finanziell zu unterstützen.

Gleichzeitig beobachtet der israelische Militärgeheimdienst eine „Verschiebung der Hamas-Unterstützung von Iran hin zu Katar und zur Türkei“. Beide Staaten zählen seit Jahren zu den wichtigsten Förderern der Muslimbruderschaft, zu deren palästinensischem Zweig die Hamas gehört. Lange hielten sich Ankara und Doha jedoch zurück: Während iranische Truppen und sunnitische Milizen in Syrien gegeneinander kämpften, wäre eine enge Kooperation mit der von Teheran unterstützten Hamas politisch heikel gewesen. Inzwischen aber haben Katar und die Türkei gemeinsam mit ihren regionalen Verbündeten ihren Einfluss in Syrien konsolidiert – und Netanjahus Politik hat dazu beigetragen, dass diese Achse nun auch im Gazastreifen an Bedeutung gewinnt.

Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien haben zwar ihr Ziel erreicht, einen Friedensprozess in Gang zu setzen. Doch Netanjahu und die Hamas haben sie gezwungen, dafür einen hohen Preis zu zahlen: Die pragmatischen arabischen Staaten dürften den Großteil der finanziellen Last tragen, während sie zugleich darum ringen müssen, Katar und die Türkei vom Gazastreifen fernzuhalten – Akteure, die nicht nur an einer Fortsetzung des Konflikts interessiert sind, sondern deren islamistische Verbündete auch eine Gefahr für die Stabilität ihrer eigenen Regime darstellen.

Die ersten Vereinbarungen der sogenannten Phase 1 des 20-Punkte-Plans schwächen sowohl Netanjahu als auch seine evangelikalen und neokonservativen Unterstützer in den USA. Auch die Hamas sowie die von Katar und dem türkischen Präsidenten Erdoğan angeführte Achse kann ihr Ziel, den Krieg weiterzuführen, nicht länger verfolgen. Dennoch handelt es sich bislang nur um einen Teilerfolg: Die tatsächliche Umsetzung der Vereinbarungen und ihre politische Absicherung stehen noch aus.

Kissingers Taktik

Der Journalist Ronen Bergman zitiert eine hochrangige Quelle aus dem israelischen Verteidigungsapparat, die nach seinen Angaben mit den Einzelheiten der Verhandlungen bestens vertraut ist. Demnach war das Ziel des Abkommens, „eine Dynamik zu erzeugen“, die den Krieg beendet und beide Seiten – Israel und die Hamas – zunächst einer allgemeinen Rahmenvereinbarung zustimmen lässt, bevor über die kleineren, aber entscheidenden Details verhandelt wird.

Unter dem Druck von Ägypten, Katar, der Türkei und Saudi-Arabien, die im Zuge dieser Dynamik ein Scheitern des Prozesses verhindern, herrsche eine „Atmosphäre des Einvernehmens“. „Wer sollte das jetzt noch platzen lassen – und mit welchem Vorwand?“, so die Quelle. Bergman fasst zusammen: Statt monatelang über Gefangene oder Rückzugspläne zu streiten, müssen beide Seiten unter der ständigen Drohung eines Zusammenbruchs Lösungen finden – ein Szenario, das sich keiner leisten kann. Der israelische Journalist Avi Issacharoff spricht von einer „genialen Vermittlung“, die jeder Seite erlaubt, einen Sieg für sich zu beanspruchen.

Tatsächlich aber ist diese "geniale Vermittlung" nicht mehr als die Anlehnung an eine alte Strategie Henry Kissingers während des israelisch-ägyptischen Friedensprozesses der 1970er Jahre. Das Zwischenabkommen von 1975 eröffnete damals den Weg zum Frieden: Ägypten räumte den Suezkanal, verwaiste Städte wurden wieder besiedelt, Industrie und Dienstleistungen entstanden, und Israel gewann Ruhe entlang der Grenzen, während die diplomatischen Bemühungen parallel weiterliefen – offen wie geheim.

Der israelische Publizist Benko Adar fasste 1980 das Prinzip, das hinter der Diplomatie von Kissinger stand, folgendermaßen zusammen: „Der Versuch, eine umfassende Regelung zu erzwingen, würde die Kluft zwischen Israel und Ägypten nur vergrößern; schrittweise Teillösungen, ihre gemeinsame Umsetzung und Überprüfung hingegen würden die Differenzen allmählich verringern. Der Fortschritt hin zu einem vollständigen Frieden würde auch die Sichtweisen beider Seiten auf die notwendigen Vereinbarungen verändern.“

Der von Kissinger vermittelte Friedensprozess zwischen Israel und Ägypten war ein Prozess der kleinen Schritte und stufenweisen Annäherung, der von zahlreichen Rückschlägen geprägt war und mehrmals zu scheitern drohte. Trumps „kissinger‘scher“ Friedensprozess dürfte ein ähnliches Schicksal erwarten. Was sein Ende betrifft, so besagt ein jüdisches Sprichwort: „Die Prophezeiung ist den Narren anvertraut“.