Wird Russland uns angreifen oder sind wir schon „im Krieg“, Herr Richter?
Der Militärexperte Wolfgang Richter über Planungsfehler der Drohnenabwehr, Luftraumverletzungen, innere Sicherheit und die Gefahr einer Eskalation des Ukraine-Krieges.
Wolfgang Richter, Oberst a.D., war viele Jahre lang in verschiedenen, verantwortlichen Funktionen in der Rüstungskontrolle tätig. Zudem war er mit der Entwicklung einer europäischen und globalen Friedensordnung befasst. Er ist Mitautor des im Juni 2024 erschienenen und von Götz Neuneck herausgegebenen Buchs „Europa und der Ukrainekrieg“. Das Gespräch mit ihm führte Ulrike Simon.
Herr Richter, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wertet die jüngsten Drohnen- und Kampfjetvorfälle als Teil der hybriden Kriegsführung Russlands. Das Land führe eine eskalierende Kampagne mit dem Ziel, die Bürger zu verunsichern und die Entschlossenheit der EU zu testen, die Union zu spalten und die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Eine neue Denkweise sei erforderlich, man dürfe sich nicht wegducken, sondern müsse den russischen Bedrohungen „mit Einigkeit, Abschreckung und Entschlossenheit" begegnen. Stimmen Sie ihr zu?
Die EU-Kommission scheint hinter einer Reihe von Luftzwischenfällen, die weitgehend ungeklärt sind, einen Zusammenhang und einen russischen Masterplan zu vermuten. Dafür gibt es keine hinreichenden Belege. Es handelt sich vielmehr um Spekulationen, die im Kontext der gegenwärtigen Spannungen verständlich sein mögen, aber keiner nüchternen Analyse standhalten. Vielmehr bedürfen die erwähnten Vorfälle der Klärung in jedem Einzelfall, zumal sie durch unterschiedliche Akteure und technische Sachverhalte verursacht worden sein können.
„Eine Absicht Moskaus, einen weiteren Konflikt zu provozieren, wäre aus strategischer Sicht nicht plausibel.“
Eine Absicht Moskaus, einen weiteren Konflikt zu provozieren, wäre aus strategischer Sicht nicht plausibel. Angesichts der Bindung der russischen Truppen in der Ukraine und der konventionellen Überlegenheit der NATO widerspräche ein solches Vorhaben dem russischen Sicherheitsinteresse. In dieser Lage den Westen zu „testen“ und gegebenenfalls einen für Russland existenzgefährdenden zusätzlichen Konflikt heraufbeschwören, wäre ein unsinniges Unterfangen. Auch die Annahme, dass Luftzwischenfälle „Europa spalten“ könnten, entbehrt jeder Logik. Vielmehr hat die Luftverteidigung der NATO – die EU hat hier weder Zuständigkeit noch Fähigkeit – ihre Zuverlässigkeit und Reaktionsbereitschaft demonstriert und angemessen reagiert.
Wie bewerten Sie die Drohneneinflüge in Polen am 9. auf den 10. September?
Zu den Drohneneinflügen in Polen am 9./10. September hat sich selbst die NATO noch nicht zu einer abschließenden Bewertung durchgerungen. Es fällt auf, dass sie teils aus Belarus kamen und keine Sprengköpfe mitführten. Grundsätzlich können Kursabweichungen auch durch Jamming und Spoofing der Satellitensignale für die Steuerungssysteme verursacht worden sein. Auch die Ukraine wendet solche elektronischen Abwehrmaßnahmen an und kann so einen beträchtlichen Teil der russischen Drohnen ablenken und schließlich unkontrolliert zum Absturz bringen. Die integrierte NATO-Luftverteidigung hat professionell reagiert und einen Teil der Drohnen abgeschossen. Dass eine Drohne angeblich ein Haus im ostpolnischen Wyriki-Wola beschädigt hat, musste Polen mittlerweile dementieren. Tatsächlich handelte es sich um eine fehlgeleitete Luft-Luft-Rakete eines polnischen F-16 Jagdbombers. Auch die angebliche elektronische Störung des Landeanflugs von Frau von der Leyen in Sofia durch Russland erwies sich als Fake News.
Und wie sehen Sie die Einflüge von drei russischen Kampfflugzeugen in den estnischen Luftraum am 19. September?
Die vermutlichen Verletzungen des estnischen Luftraums durch drei russische MiG-31 Jagdbomber am 19. September werden medial völlig übertrieben dargestellt. Selbst wenn diese für 12 Minuten vom "Normalkurs" abgewichen sein sollten (was Moskau bestreitet), so bestand zu keiner Zeit eine Gefahrenlage für Estland. Vielmehr sind die russischen Flieger routinemäßig aus der St. Petersburger Bucht kommend über der Ostsee auf einem Patrouillen- oder Transitflug nach Kaliningrad gewesen. Dabei sind sie an der nördlichen Seegrenze Estlands entlang und um Estland herumgeflogen, also zunächst nach Westen, um dann nach Süden in Richtung Kaliningrad abzudrehen. Das ist ein Routinevorgang, der sich seit vielen Jahren hundertfach wiederholt hat und ebenso oft von NATO-Jets beobachtet und begleitet wird. Ob die MiG-31 dabei die Seegrenze minimal verfehlt haben (max. 1-2 km), mag umstritten sein; eine Absicht oder gar eine Gefährdung Estlands konnten auch die italienischen F-35 Piloten nicht erkennen, zumal die russischen Piloten zu keinem Zeitpunkt auf das estnische Festland zugeflogen sind. Beide Seiten verhielten sich äußerst professionell und verständigten sich durch Winkzeichen.
Die mediale Berichterstattung erweckt den Eindruck, dass Luftraumverletzungen an der Tagesordnung sind. Stimmen Sie dem zu?
Seit 2014 kam es immer wieder zu gegenseitigen Vorwürfen, die nationalen Lufträume über den Küstengewässern (Zwölf-Seemeilenzone) verletzt zu haben. Dies kann auf technische und menschliche Irrtümer zurückzuführen sein, allerdings auf beiden Seiten, also auch bei der Erkennung. Eine absichtliche Inkaufnahme höherer Risiken kann in einer Spannungslage zwar eine Rolle spielen; doch ist dies die Ausnahme. In der Regel ist professionelles Verhalten auf beiden Seiten zu beobachten. Hinzukommt, dass Aufklärungs- und Patrouillenflüge in der Regel nicht bei den zivilen Flugkontrollzentren (Flight Information Regions) angemeldet werden, dass die Jets mit abgeschalteten Transpondern fliegen und nicht auf die Aufforderung per Funk reagieren, sich zu identifizieren. Dies wäre zwar aus Sicht der zivilen Luftfahrt wünschenswert, aber eine völkerrechtliche Verpflichtung dazu besteht nicht.
Um dennoch die nationalen Lufträume überwachen zu können und die Frühwarnung zu ermöglichen, werden Lufträume durch bodengestützte und fliegende Radare weiträumig überwacht. Unangemeldete Flüge in der Nähe von Küstengewässern können so schon in den sogenannten Air Defence Identification Zones (ADIZ) über der Hohen See, also im internationalen Luftraum, kontrolliert und mit Abfangjägern identifiziert werden. Dies ist die Aufgabe von „Alarmrotten“ der nationalen Luftwaffen, die zur Luftraumkontrolle (Air Policing) in ständiger Startbereitschaft gehalten werden. Bei der Überwachung der ADIZ in der Ost- und Nordsee arbeiten alle NATO-Anrainerstatten zusammen. Da die baltischen Staaten über keine nennenswerten Luftwaffen verfügen, wird dort das Air Policing von befreundeten Nationen im Wechsel übernommen.
„Zu keinem Zeitpunkt bestand eine Angriffsabsicht.“
Die regelmäßigen Starts der Alarmrotten finden also nicht erst bei Verletzungen der nationalen Lufträume statt, sondern wenn immer sich unidentifizierte Flugzeuge in der ADIZ aufhalten. Die Häufigkeit ihrer Starts deutet somit keineswegs auf die Häufigkeit von Luftraumverletzungen hin. Leider werden in der medialen Auseinandersetzung die Unterschiede zwischen nationalen Lufträumen über Territorialgewässern (Zwölf-Seemeilen-Zonen) häufig mit den ADIZs oder den zivilen Flight Information Regions (FIR) oder gar mit der Ausschließlichen Wirtschaftszone verwechselt. Tatsächlich handelt es sich bei diesen Begriffen um internationale See- und Lufträume, die jenseits der nationalen Territorien in und über der Hohen See liegen. Dort ist die freie Navigation durch die Seerechtskonvention der VN gewährleistet.
Allerdings sind die internationalen Flugkorridore in der Ostsee – vor allem im Finnischen Meerbusen und zwischen Kaliningrad und Gotland – sehr eng; und häufig fliegen beide Seiten zur Aufklärung sehr dicht an die Territorialgewässer heran. Gleichwohl ist es bei Hunderten von Flügen nur in wenigen Einzelfällen zu tatsächlichen Luftraumverletzungen gekommen. Zu keinem Zeitpunkt bestand jedoch eine Angriffsabsicht.
Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit solchen Vorfällen umgehen?
Die eigentliche Lehre daraus ist, dass in einer derart angespannten Lage nicht nur äußerste Vorsicht der Piloten und Schiffsbesatzungen nötig ist, sondern auch die ständige Kommunikation und der Dialog zwischen militärischen Kommandostellen, um Zwischenfälle rasch zu deeskalieren. Der Gesamtkomplex von Flügen im internationalen Luftraum sowie vermeintlichen oder wirklichen Luftraumverletzungen ist schon zwischen 2017 und 2020 im "Strukturierten Dialog" der OSZE zwischen allen Teilnehmerstaaten ausführlich besprochen worden. Dabei wurden unbeabsichtigte Verletzungen auf beiden Seiten festgestellt. So hatte Schweden (damals noch kein NATO-Mitglied) Verletzungen seines nationalen Luftraums auch durch amerikanische und französische Flieger beanstandet. In wenigen Fällen haben sich die NATO und Russland zudem gegenseitig bezichtigt, riskante Flugmanöver ausgeführt und die nötigen Sicherheitsabstände unterschritten zu haben.
Leider wurde der "Strukturierte Dialog" der OSZE seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vom Westen de facto eingestellt. Im Arktischen Raum gibt es vereinzelt noch Gesprächskanäle, im Raum um das Schwarze Meer versucht die Türkei zu vermitteln und bilateral haben die USA und Russland den diplomatischen Dialog seit der Kehrtwende von Präsident Trump im Februar dieses Jahres wieder aufgenommen.
Wenn diese Vorfälle schon lange zu beobachten sind, wieso werden diese ausgerechnet jetzt medial und politisch in den Vordergrund gerückt? Hat sich die Bedrohungslage nicht doch deutlich verschlechtert? Muss uns nicht auch die vermehrte Sichtung von Drohnen über Flughäfen alarmieren?
Bei den jüngsten Drohnensichtungen über Dänemark, Oslo oder dem Münchener Flughafen ist es bis heute unklar, wer die Drohnen gesteuert hat. Die Geographie im Norden legt die Steuerung von Schiffen aus nahe; gleichwohl konnte dies bisher nicht nachgewiesen werden. In Deutschland spricht Vieles dafür, dass es sich um private Betreiber im Lande handelt. Bei Zehntausenden von kleineren Drohnen, die im Einzelhandel an private Käufer veräußert wurden, kommen viele Akteure in Frage. In Frankfurt ist es offenbar gelungen, einen Verantwortlichen dingfest zu machen. Wie in den schon diskutierten Fällen auch muss erst einmal Ursachenforschung betrieben werden, bevor wir über ein angebliches russisches Gesamtkonzept hinter allen ungeklärten Vorfällen spekulieren.
„Bei den jüngsten Drohnensichtungen über Dänemark, Oslo oder dem Münchener Flughafen ist es bis heute unklar, wer die Drohnen gesteuert hat.“
Zweifellos intensivieren in Spannungszeiten alle Seiten ihre Spionagetätigkeit. Aber dass sporadisch und nur kurzzeitig auftretende Drohnen geeignete Mittel sind, um ortsfeste Anlagen wie Flughäfen auszuspähen, ist nicht plausibel. Von ihnen existieren seit Jahren gestochen scharfe Satellitenbilder, die ständig aktualisiert werden. Zudem werden sie tausendfach kommerziell angeflogen. Der Luftraum über Deutschland ist weitgehend offen für den kommerziellen Luftverkehr sowie für private Sport- und Modellflieger. Noch sind viele europäische Staaten, auch Deutschland, Vertragsstaaten des „Vertrags über den Offenen Himmel“. Er öffnet die Lufträume für die gegenseitige Beobachtung. Dass die USA 2020 und Russland 2021 aus dem Vertrag austraten, haben wir amtlich bedauert. Wirkliche Geheimnisse werden allerdings nicht unter freiem Himmel zur Schau gestellt.
Warum dann diese öffentliche Alarmstimmung?
Zur öffentlichen Alarmstimmung in Deutschland scheinen mir maßgeblich zwei Gründe beizutragen: Erstens, die wachsenden politischen Spannungen mit Russland wegen seines anhaltenden Angriffs auf die Ukraine, unsere Militärhilfe für Kiew und unsere Anstrengungen, die europäische Verteidigungsfähigkeit zu verbessern. Zweitens, die Unsicherheit über den künftigen Kurs des US-Präsidenten Donald Trump im Hinblick auf seine Russland-Politik und seine künftige Bereitschaft, Europa zu verteidigen und die Ukraine zu unterstützen.
„Ich warne davor, zu suggerieren, wir befänden uns schon in einer Art Kriegszustand.“
Aus dieser Gemengelage erwachsen Bedrohungsszenarien wie die öffentlich diskutierte Befürchtung, Russland könnte einen europäischen NATO- und EU-Staat in wenigen Jahren angreifen. Seit geraumer Zeit weise ich darauf hin, dass derzeit nicht abzusehen ist, wann und wie der Ukrainekrieg endet, dass Russland dort auch danach noch langfristig militärisch gebunden sein und aus diesem Krieg mit geschwächten konventionellen Kräften hervorgehen wird. Der NATO in Europa wird es weiterhin deutlich unterlegen bleiben.
Mir wird dann oft entgegengehalten, dass Moskau schon jetzt einen „hybriden Krieg“ führe und dass wir uns in einer Phase „zwischen Frieden und Krieg“ befänden. Nun kann es keinen Zweifel geben, dass die Spannungen vor allem rhetorisch ein bedrohliches Ausmaß erreicht haben. Gleichwohl ist der „hybride Krieg“ eine Konstruktion, die alle staatlichen und halbstaatlichen Maßnahmen außer der Anwendung militärischer Gewalt zusammenfast, die geeignet sind, die eigenen Interessen zu fördern und die der Gegenseite zu schädigen. In diese Grauzone fallen Spionage und Propaganda ebenso wie Wirtschaftssanktionen oder verdeckte Operationen zur großflächigen Installation von Abhörgeräten. Dennoch warne ich davor, zu suggerieren, wir befänden uns schon in einer Art Kriegszustand. Wir sollten uns davor hüten, politische Spannungen als „Krieg“ zu bezeichnen und so die völkerrechtliche Schwelle zwischen Krieg und Frieden zu vernebeln.
Was, wenn genau das passiert?
Eine Gewöhnung an einen vermeintlichen „Kriegszustand“ verbreitet eine stetige Alarmstimmung, in der jeder Schritt der Gegenseite als aggressiv wahrgenommen wird, auf den man mit „defensiven“ Maßnahmen antworten muss. Der politische Gegner wird diese ebenfalls als aggressiv werten und wiederum reagieren. Die Folgen sind politische Dauerkrisen, Rüstungswettläufe und im schlechtesten Fall Eskalationsspiralen, die sich aus militärischen Zwischenfällen entwickeln können. Das gilt vor allem dann, wenn rasch unbedachte Forderungen nach der sofortigen Feuereröffnung erhoben werden.
Es sind diese Zusammenhänge einer instabilen Konfrontation, auf die schon der Harmel-Bericht der NATO von 1967 nach der Kubakrise hingewiesen hat. Er hat erkannt, dass eine Sicherheitspolitik, die nur auf Abschreckung setzt, strukturell instabil ist. Daher hat er gefordert, dass Abschreckung durch Dialog und Vertrauensbildung ergänzt wird. Sie führt im besten Fall zur strategischen Zurückhaltung durch Rüstungskontrolle. Diese Erkenntnis ist damals in die Politik und Strategie der NATO übernommen worden, scheint aber heute in Vergessenheit geraten zu sein.
Im Verlauf des Krieges hat sich die Art der Kriegsführung durch den Drohneneinsatz und die ständige Entwicklung der Drohnentechnologie stark verändert. Gilt das auch für die strategische Lage in Europa? Ich denke hier einerseits an die Sicherung der Grenzen und andererseits daran, dass Drohnen überall zum Einsatz kommen können, und sie somit nicht nur für russische „Agenten“ ein willkommenes Instrument darstellen, sondern auch für jegliche Art von Kriminalität und Terrorismus sowie die Überwachung der Staatsbürger.
Zweifellos muss die Entwicklung der Drohnentechnologie in den Verteidigungsstrategien, aber auch in den inneren Sicherheitskonzepten künftig eine vorrangige Beachtung finden. Doch ist diese Entwicklung keineswegs neu; ihre militärische Wirkung hat sich schon in den Kriegen zwischen Aserbeidschan und Armenien um Berg-Karabach (2020/23) abgezeichnet und durch den Krieg in der Ukraine seit 2022 einen entscheidenden Schub bekommen. Es war ein gravierender Planungsfehler, die Fähigkeiten zur Drohnenabwehr, welche die 2011 aufgelöste Heeresflugabwehrtruppe der Bundeswehr mit ihren Flakpanzern Gepard hatte, jahrelang zu vernachlässigen. Während letztere in der Ukraine herausragende Leistungen erbringen, muss die Bundeswehr heute solche Fähigkeiten mit großem industriellem und finanziellem Aufwand wieder erwerben.
„Es war ein gravierender Planungsfehler, die Fähigkeiten zur Drohnenabwehr jahrelang zu vernachlässigen.“
Hinzu kommt die nötige elektronische Fähigkeit, Drohnen durch Störung der Funk- und GPS-Steuerung vom Himmel zu holen. Die Vorstellung eines statischen „Drohnenwalls“ an der bis zu 4.000 Kilometer langen Ostgrenze der NATO zwischen dem Nordkap und dem Schwarzen Meer führt allerdings in die Irre. Eine 100-prozentige Abwehr wird nicht gelingen, da jeder sogenannte „Drohnenwall“ durch lokal konzentrierte Massenangriffe „gesättigt“ und durchbrochen werden kann. Wichtig wäre es, die Fähigkeit vorzuhalten, Schlüsselregionen, die kritische Infrastruktur, aber auch die Truppe selbst im Einsatz schützen zu können. Dazu gehören Flexibilität, Reaktionsschnelligkeit und Beweglichkeit. Für unterschiedliche Aufgaben, Höhenbereiche, Angriffsmodi und Geschwindigkeiten dürften unterschiedliche, aber aufeinander abgestimmte Systeme in ausreichender Zahl nötig sein. Zugleich muss die Bundeswehr mit eigenen bewaffneten Drohnen dazu befähigt werden, feindliche Drohnen abzuwehren und operative Ziele wie gepanzerte Angriffskolonnen und Drohnenkontrollstellen anzugreifen.
Sie sprechen von der Landesverteidigung. Aber welche Herausforderungen bestehen für die innere Sicherheit?
Im Inneren ist Vorsicht und Augenmaß geboten. Selbstverständlich müssen die Flugsicherheit gewährleistet und Gefahren für die kritische Infrastruktur und öffentliche Versammlungen abgewehrt werden, die von Kriminellen oder Terroristen ausgehen können. Störungen können aber auch durch private Nutzer verursacht werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten und Menschen dürfen bei Abwehrmaßnahmen nicht zu Schaden kommen. Darum ist der Ruf nach einem schnellen Abschuss nicht durchdacht und unverantwortlich. Vielmehr sind Radarortung, die Rückverfolgung der Steuerungsquelle, elektronische Gegenmaßnahmen und „Fangdrohnen“ erforderlich. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist vorrangig eine Aufgabe der Bundes- und Landespolizeien. Die Bundeswehr kann auf Anforderung Amtshilfe leisten und zum Beispiel nicht-kinetische Mittel zur Verfügung stellen. Erst bei einem bewaffneten Angriff durch Drohnen kommt die Bundeswehr zum Einsatz, entweder schon im Rahmen des Air Policing oder im Verteidigungsfall.