Estland: Keine Angst vor dem Atomkrieg?
Martin Sonneborn soll im EU-Parlament über Kuba sprechen – landet aber bei Kaja Kallas, baltischer Kriegslust und europäischen Absurditäten.
Realsatire in der EU? Der Satiriker Martin Sonneborn kennt sich als TITANIC-Herausgeber und Europaabgeordneter bestens mit seinem Fach aus. Der Alltag in Brüssel schreibt Geschichten, die selten an die Öffentlichkeit gelangen – gut, dass Sonneborn sie von nun an regelmäßig auf MAKROSKOP teilt.
Es klopft. Büroleiter Hoffmann steckt seinen Kopf rein: Ich könnte nächste Woche in Straßburg Redezeit haben, eine Minute. Allerdings müsste ich zum Thema Kuba sprechen, es gebe am Dienstagabend eine entsprechende Debatte mit der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas. Kuba? Kein Problem, ich habe die Insel zweimal bereist, einmal sogar mit einer offiziellen TITANIC/PARTEI-Delegation die Redaktion von Granma international besucht.
Aber mit Kallas reden? Ich mag die Kallas nicht. Anstatt Diplomatie zu betreiben, wie es ihre erste Pflicht wäre als höchste diplomatische Vertreterin der EU, hat sie im Ukraine-Konflikt von Anfang an auf Scharfmacherei gesetzt. Die „Lieblingseuropäerin amerikanischer Hardliner“ (Freitag) hat kurz nach Beginn des Krieges eine Zerschlagung Russlands in viele kleinere Länder gefordert.
Zugutehalten muss man der estnischen Ministerpräsidententochter allerdings, dass sie sich wirklich auskennt: Ihre vermögende Familie gehörte schon zu Sowjetzeiten zur Nomenklatura, und ihr Mann macht auch derzeit noch ausgezeichnete Geschäfte mit Russland.
Selbst die FAZ kritisiert, dass sie in ihrem Job als erstes den ranghöchsten Direktor entließ, sich mit ihrem kleinen Kabinett abschotte und die Expertise des kopfstarken Europäischen Auswärtigen Dienstes absolut nicht nutze.
Schnelle Schritte auf dem Flur, meine Europapolitische Beraterin platzt herein, ohne zu klopfen. „Eine estnische Außenbeauftragte? Hahahaha! Wolltest du nicht die drei kleinen baltischen Staaten aus der EU schmeißen?“
„Ich arbeite daran“, knurre ich, „wenn ich allerdings dauernd gestört …“
„Ein ranghoher estnischer Militär hat gerade erklärt, Estland habe keine Angst vor dem Atomkrieg. KEINE ANGST VOR DEM ATOMKRIEG! Weißt du, wie viele Soldaten dieser Chihuahua-Staat unter Waffen hat?“
„Ich weiß nur, dass zu viele meiner Kollegen Esten sind. Das Land hat nicht viel mehr Einwohner als Köln, schickt aber sieben Abgeordnete ins EU-Parlament. Und die Balten sind nicht gerade die friedfertigsten.“
„Pi mal Daumen 4200. Keine Panzer, aber viele Mehrzweckfahrzeuge. Und Bagger!“
„Nichts dagegen, damit sind sie auch nicht deutlich ungefährlicher als die Bundeswehr.“
„Jajaja. Aber weißt du, wie der estnische Plan aussieht, für den, äh, sagen wir mal: hypothetischen Fall, dass die Russen ihr Land überfallen?“
„Keine Ahnung. Sizilianische Verteidigung? Nimzowitsch-Larsen-Angriff?“[1]
„Quatsch, ihr Plan ist folgender: Alle Brücken in die Luft sprengen und nach Finnland fliehen …“
„Smiley! Nicht unsympathisch. Wenn sie nach Kuba fliehen würden, hätte ich ein Thema für meine Rede.“
Dieser Blog-Beitrag ist zunächst auf der Website des Satire-Magazins Titanic erschienen.
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