Makroskop
Glosse 

Fragen Sie Ihre Töchter?! Das crazy!

| 23. Oktober 2025

Zum Stadtbild: Beobachtungen von der Seitenlinie oder doch von mittendrin? 

Und wieder neigt sich eine ereignisreiche Woche dem Ende zu - mit einer Stadtbild-Diskussion in drei Akten, die im Kommunikationsstile stark an Trump erinnert. 

Hey Merz! Deine Mudder, oder was? 

Also, so zumindest nach Trumps Pressesprecherin Karoline Leavitt, wenn wir in dem Stil diskutieren möchten. Ah, ‘Tschuldigung, unsere Töchter sollten wir ja fragen.

Parallel wurde auch in der Makroskop Redaktion intensiv diskutiert: ein Streitgespräch zum Thema „Welche Migrationsregeln braucht ein starker Sozialstaat?” Vor interner Bühne mit klaren Regeln und ohne persönliche Angriffe! 

Ausgetauscht wurden vor allem Argumente aus ökonomischer, rechtlicher, humanistischer und kultureller Perspektive, wovon vieles hier auf Makroskop zu finden ist.

Als Demokrat kann und muss man unterschiedliche Meinungen aushalten. Vielleicht kommt nach These, Antithese eine Synthese - etwas Neues, etwas Besseres. Aber es gibt auch Phasen, in denen Widersprüche zunächst nicht aufzuheben sind und fortbestehen.

Dann ist es wichtig allen Positionen Raum zu geben, auch und insbesondere auf Makroskop mit seiner Forderung nach „Mehr Mainstream”. Und vor allem auch Widersprüche aushalten - so ein Learning aus unserem Streitgespräch.

Ja, das Thema emotionalisiert – und während ich diese Zeilen schreibe, lese ich parallel von der Vergewaltigung eines jungen Mädchens durch fünf Syrer und mir wird schlecht. Schlecht, weil ich als Vater einer 13jährigen Tochter nicht erahnen kann, welches Leid hier verursacht wurde – durch diese Gruppe von Kriminellen. Und natürlich ist das die vermeintliche Bestätigung für viele, die sich in der Stadtbild-Diskussion klar für „weniger Migrantisch” positionieren. Und natürlich muss man damit umgehen, dass über 60 Prozent im ZDF-Politbarometer der Kanzler-Aussage zustimmen.

Was macht diese Diskussion mit mir, einem farbigen, migrantisch gelesenen, PoC-Deutschen (you name it), der mit seinen asylsuchenden Eltern in den frühen 1970ern hier ankam? Auch wenn mich dieser Fragentypus gelegentlich nervt, kann er doch helfen einander zu verstehen. Wie fühlen sich Menschen mit Migrationsgeschichte bei diesem Thema? Beschissen! 

SZ Kolumnistin Nava Ebrahimi beschreibt das sehr anschaulich. Auch ich „spüre es (...) körperlich, das Hier-nicht-gewollt-Sein.” Wie auch in mir „Unruhe aufsteigt, weil immer mehr Undenkbares nicht nur gedacht, sondern auch ausgesprochen wird, und weil niemand mehr sagen kann, an welchem Punkt die Abwertung von Menschen enden wird”.

Aber gleichzeitig fühle ich viel Unterstützung – anders als in den 1990ern, den sogenannten Baseballschlägerjahren mit den gewalttätigen Brandanschlägen, den Morden und natürlich dem hessischen CDU-Wahlkampf 1999 mit Roland Kochs „Wo-kann-man-denn-hier-gegen-Ausländer-unterschreiben?"-Kampagne. Der Gedanke daran treibt meinen Puls immer noch hoch. 

Und natürlich nervt es, wenn der stets provozierende Ulf Poschardt wieder einmal eine links-grüne Empörungsbubble auf Social Media anmahnt. Was kommt bei mir an? Du bist hier nicht mehr allein. Es gibt viele da draußen, die nicht still sind, die deine Gefühlslage verstehen, die sich mit dir solidarisieren, die das Feindliche, das Rassistische, das Aggressive in der Diskussion verstehen. Und denen, die still sind, eine Stimme und Argumente geben.

Selektive Mediennutzung, ein Konzept aus den Kommunikationswissenschaften, besagt, Menschen suchen in den publizistischen Inhalten die Bestätigung und Verstärkung Ihrer bestehenden Sichtweise.  

Was erwarte ich von einem guten Magazin? Ja, ich möchte meine Meinung bestätigt sehen und dazu noch gute Argumente an die Hand bekommen, in Form von Beispielen, Fakten oder theoretischen Instrumenten, um diese Meinung auch gut vertreten zu können.

Aber besonders wichtig ist am Ende des Tages, dass ich nach der Lektüre mehr weiß als vorher, dass ich etwas lerne und sei es dadurch, dass ich auch eine andere Perspektive zulasse. Man muss die Sorgen und Ängste ernst nehmen, aber lasst uns bitte vernünftig diskutieren.

Ach so, Merz! Ich habe meine Tochter dann tatsächlich noch gefragt. Ihre spontane Reaktion: „Hä? Wie der Bundeskanzler? Sagt sowas nicht die AfD?” 

Ja, das crazy!