Makroskop
Dollarisierung

Mileis Argentinien: Im Zangengriff von Washington und Peking

| 22. Oktober 2025
@midjourney

Währungsrevolution oder Abhängigkeit? Javier Mileis Kurs der Dollarisierung senkt zwar die Inflation – doch dabei verliert Argentinien die Kontrolle über die eigene Geldpolitik, den Sozialstaat und seine wirtschaftliche Zukunft.

Das ultraliberale Projekt unter Führung von Javier Milei kam mit einem ebenso einfachen wie radikalen Versprechen an die Macht: die Inflation durch die Dollarisierung an der Wurzel zu packen und – in den Worten Mileis – „die Zentralbank zu sprengen” (dinamitar el Banco Central). Dies sei die endgültige Lösung für Argentiniens makroökonomische Instabilität – für die Wechselkursvolatilität, die anhaltende Inflation und das chronische Misstrauen gegenüber dem Peso. Es ist ein Konzept aus den 1990er-Jahren. Zu Zeiten des Washington-Konsensus galt die Dollarisierung als „natürlicher” Ausweg aus der Währungsvolatilität peripherer Volkswirtschaften.

Tatsächlich kann Milei nach fast zwei Jahren Amtszeit eine deutliche Inflationsreduktion vorweisen: Nach einer Hyperabwertung von 125 Prozent im Dezember 2023 erreichte die monatliche Inflation 25 Prozent und sank dann allmählich auf etwa 2 Prozent im September 2025. Dieser Stabilisierungsschock wurde durch eine drastische Eindämmung der Einkommen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und der Rentner ermöglicht, die etwa 20-25 Prozent ihrer Kaufkraft verloren. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit von 5,7 auf 7,6 Prozent. Während die Wirtschaft stagniert, wächst der informelle Sektor.

Der teilweise Erfolg des Programms gelingt auch aufgrund eines massiven Devisenzuflusses, der es ermöglicht, den Wechselkurs unter Kontrolle zu halten und eine neue Preisspirale zu vermeiden. Dieser Dollar-Zufluss stammt aus drei Hauptquellen: einer Steueramnestie in Höhe von 30 Milliarden Dollar, einem neuverhandelten IWF-Kredit (12 Milliarden Dollar) und dem kürzlich angekündigten Swap des US-Finanzministeriums in Höhe von 20 Milliarden Dollar.

Diese Finanzhilfe, politisch gestützt von Donald Trump, spiegelt zugleich die geopolitische Spannung innerhalb der USA wider: Agrar- und Industriekreise fürchten Konkurrenz aus dem Süden, während Medien wie die Financial Times und die Washington Post die „libertäre Wende“ in Buenos Aires als Bollwerk gegen China begrüßen.

Vor den Zwischenwahlen am 26. Oktober 2025 ist Argentinien somit Teil eines größeren geopolitischen Experiments: ein neoliberales Labor mit dem Dollar als Fessel und Washington als Aufseher.

Dollar, Währungshierarchie und externe Verletzlichkeit

Argentiniens chronische Schwäche liegt in „externen Restriktionen“ begründet: Die durch Exporte generierten Devisen reichen nicht aus, um die gesamten Importe, die Dividendenzahlungen der Tochtergesellschaften transnationaler Unternehmen und die Bedienung der öffentlichen und privaten Auslandsschulden zu decken.

Diese Lücke zwingt zu einer ständigen Inanspruchnahme externer Finanzmittel, sei es durch spekulative Finanzströme – den Verkauf von Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und anderen kurzfristigen Vermögenswerten – oder durch ausländische Direktinvestitionen. Die Folge ist eine zirkuläre Abhängigkeit: Um Dollar anzuziehen, bietet der Staat steuerliche Anreize, garantiert hohe Finanzerträge und verspricht Wechselkursstabilität. Aber genau diese Anreize erhöhen die Anfälligkeit des Systems und verstärken die Dominanz des ausländischen Kapitals über die heimische Wirtschaftspolitik.

In den ersten beiden Amtsjahren vertieften die Regierung Milei und ihre Wirtschaftsberater diese Strategie. Einerseits weiteten sie Steuervorteile und Rechtssicherheit für ausländische Direktinvestitionen aus. Andererseits trieben sie eine Geldpolitik voran, die die Rentabilität des Carry Trade sicherstellte – den Zufluss von kurzfristigem Kapital, das durch hohe inländische Zinsen und einen vermeintlich stabilen Wechselkurs angezogen wurde.

Die letztere Strategie lief jedoch zunehmend ins Leere, als die Zentralbank ihre Fähigkeit verlor, das Wechselkursniveau aufrechtzuerhalten. Die Kapitalabflüsse überstiegen die Zuflüsse, die internationalen Reserven schrumpften und die Erwartung einer erneuten Abwertung wuchs rapide. Kurz vor den am 26. Oktober stattfindenden Parlamentswahlen verstärkt sich die Flucht in den Dollar, und die Zinssätze reichen nicht mehr aus, um angesichts des Wechselkursrisikos eine positive Realrendite zu bieten.

In diesem Zusammenhang wurde Argentinien erneut zu einem umkämpften geopolitischen Spielball zwischen den Vereinigten Staaten und China. 2023 stand das Land kurz vor dem Beitritt zu den BRICS+, doch Milei lehnte ab. Dabei war China einer der wenigen Partner, die kontinuierlich investierten – vor allem in Energie, Infrastruktur und Lithium. Seit 2011 existiert ein Währungsswap über 18 Milliarden US-Dollar, der Buenos Aires zeitweise half, IWF-Verpflichtungen zu begleichen.

Mileis klare Parteinahme für Washington markiert den Bruch mit dieser multilateralen Linie. Die jüngsten Äußerungen des US-Finanzministers machen deutlich, dass die Unterstützung für die Neuverhandlungen mit dem IWF und der neue Swap des in Höhe von 20 Milliarden Dollar Argentinien zur Speerspitze einer US-Gegenoffensive in Lateinamerika werden soll – mit dem Ziel Chinas Einfluss einzudämmen, und die Kontrolle über Sektoren zu sichern, die als „kritisch” für die nationale Sicherheit der USA gesehen werden.

Diese Art der geopolitischen Unterstützung zementiert die untergeordnete Rolle Argentiniens in der internationalen Währungshierarchie, da es sich mit einer paradoxen Situation konfrontiert sieht: Als peripherer Wirtschaftsraum genießt die eigene Währung keine globale Anerkennung. Die Stabilität des Pesos hängt von der Verfügbarkeit und den politischen Kosten des Dollars ab.

Aber je mehr sich Argentinien bemüht, ausländisches Kapital anzuziehen und näher an die Vereinigten Staaten heranzurücken, um sich zu „stabilisieren”, desto stärker setzt es sich den globalen Finanzzyklen aus. Letztendlich wird das Versprechen der Stabilität zu einer permanenten Quelle der Instabilität, die nicht nur mit dem Wechselkurs, sondern auch mit der internen Preisdynamik und den Funktionen des Geldes zusammenhängt.

Die Funktionen des Geldes in Argentinien

Theoretisch hat Geld vier Funktionen im Innern eines Staates: es dient als Rechnungseinheit, Tauschmittel, Zahlungsmittel und Wertspeicher. Im Falle Argentiniens sind diese Funktionen jedoch mit dem Peso und dem Dollar auf zwei Währungen aufgeteilt – ein informelles bimonetäres System.

Nach Abba Lerner und den Theoretikern der Modern Monetary Theory (MMT) definiert der Staat die Währung als Rechnungseinheit, in der Preise angegeben, offizielle Transaktionen durchgeführt und Steuern gezahlt werden. Formell werden Steuern und öffentliche Ausgaben also in Pesos abgewickelt. Praktisch aber hat der Dollar viele seiner Funktionen übernommen. Große Transaktionen – Immobilien, Autos, langfristige Verträge – werden in barer US-Währung gezahlt, teils außerhalb des Bankensystems. Schätzungen zufolge übersteigen die Dollarreserven in Privathand die Bestände der Zentralbank.

Wie fragil das Währungssystem ist, zeigt sich im Kreditwesen: Kredite in der Landeswährung sind wegen der hohen Zinsen und den Inflationsrisiken unattraktiv. Staat und Unternehmen verschulden sich in Dollar oder sind an den Dollar gekoppelt. Die Rolle des Pesos als Wertaufbewahrungsmittel ist fast vollständig erodiert – der Dollar ist zum universellen Fluchtanker geworden.

Drei der vier klassischen Geldfunktionen sind somit faktisch dollarisiert. Die nationale Währung existiert, aber ihre Autonomie ist fiktiv: Sie hängt von Entscheidungen der Federal Reserve ab. Die Frage lautet daher nicht mehr, ob, sondern wie weit Argentinien bereits dollarisiert ist – und welchen Preis das Land zahlen müsste, wenn dieser Zustand offiziell wird.

Eine tatsächliche Dollarisierung als Lösung?

Nach den 1990er-Jahren erfahren die Rufe nach einer vollständigen Dollarisierung ein ungeahntes Revival als Mittel im Kampf gegen die Inflation. Aber selbst in ihren optimistischsten Varianten ist die technische Durchführbarkeit dieses Vorschlags fraglich: Um den Peso vollständig durch den Dollar zu ersetzen, wären 30–40 Milliarden US-Dollar an Reserven nötig – Geld, das nur durch neue Auslandsschulden oder den Verkauf öffentlicher Vermögenswerte aufzutreiben wäre. Die Dollarreserven der argentinischen Banco Central reichen bei weitem nicht.

Eine Dollarisierung hätte den endgültigen Verlust der geldpolitischen Souveränität zur Folge. Die Zentralbank verlöre ihre zentralen Funktionen: Geldschöpfung, Zinssteuerung, Kreditstabilisierung. Die einzige währungspolitische Instanz wäre die Federal Reserve, deren Entscheidungen sich gleichwohl nach US-amerikanischen, nicht nach argentinischen Bedürfnissen richten. Die nationale Autonomie in der Krisenbekämpfung – etwa in Form von Kreditausweitungen oder Konjunkturprogrammen – würde schwinden.

Auch die Wechselkurspolitik würde entfallen: Es gäbe keinen Anpassungsmechanismus mehr, um auf außenwirtschaftliche Schocks zu reagieren. Wie in den 1990er Jahren unter der Convertibilidad würde die reale Aufwertung die Exportsektoren treffen. Der Agrarsektor könnte dank hoher Rentabilität überleben, doch Industrie und Dienstleistung würden leiden, eine Deindustrialisierung wäre kaum abzuwenden.

Die Fiskalpolitik bliebe das letzte makroökonomische Instrument, jedoch nur unter einer rigiden Budgetdisziplin. Ohne eigene Währung ließen sich Defizite nur durch Steuererhöhungen oder neue Dollarschulden finanzieren. Der Staat wäre seiner Fähigkeit beraubt, auf Krisen – ob sozial, ökologisch oder geopolitisch – zu reagieren.

Mit dem Verlust der nationalen Währung schwindet auch das wichtigste wirtschaftspolitische Instrument. Es ist eine vollständige Abgabe der Souveränität – wirtschaftlich, politisch und letztlich auch hinsichtlich der nationalen Sicherheit. Argentinien wäre zu einer Satellitenwirtschaft des US-Finanzsystems degradiert.

Wer gewinnt und wer verliert durch die Dollarisierung?

Die vermeintliche „Stabilität“ eines dollarisierten Systems würde vor allem den internationalen Finanzmärkten nützen. Kapitalströme könnten sich freier bewegen und die Zinsdifferenzen zum globalen Markt blieben gewinnbringend. Die Binnenwirtschaft hingegen verlöre den Zugang zu Krediten und Investitionen. Das Finanzsystem würde auf Auslandsschulden basieren, nicht auf nationaler Geldschöpfung.

Der dritte Weg liegt nicht zwischen Inflation oder Dollarisierung, sondern zwischen Abhängigkeit und Eigenständigkeit. Eine nachhaltige Strategie erfordert den Ausbau des Exportsektors und die Diversifizierung der Produktionsbasis – jährlich 20 bis 30 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Einnahmen, vor allem aus Sektoren mit hoher technologischer Elastizität.

In einem globalen Szenario, das zunehmend in Einflussblöcke fragmentiert ist, scheint eine souveräne Außenpolitik unerlässlich. Weder die Vereinigten Staaten noch der IWF haben ein geopolitisches Interesse daran, die Entwicklung Argentiniens zu fördern: Ihre Priorität ist es, einen Zusammenbruch zu verhindern, um eine Regierung zu stützen, die ihnen politisch nützlich erscheint.

Auch der BRICS-Block bietet keine sofortigen Lösungen, aber zumindest bietet er die Chance, Allianzen zu diversifizieren und auf diese Weise Abhängigkeiten zu verringern. Bilaterale Kreditvereinbarungen oder Währungsswaps mit Handelspartnern könnten Spielraum gegenüber den Auflagen des IWF schaffen.

Wie die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik warnt, erfordert ein nachhaltiges Wachstum insbesondere Sektoren, die schneller wachsen können als das weltweite Einkommen – also mit einer hohen Elastizität der Nachfrage. Mittel- und langfristig bedeutet dies, auf technologische Spitzenbereiche zu setzen und die industrielle Komplexität zu vergrößern.

Vorübergehend bieten strategische natürliche Ressourcen wie das regionale Öl aus Vaca Muerta und heimisches Lithium eine Möglichkeit, Devisen zu beschaffen. Damit diese Sektoren jedoch tatsächlich zur Entwicklung beitragen können, muss sich der Staat stärker beteiligen und die Autonomie der Wertschöpfungsketten sicherstellen.

Die Investitionen in die Energie- und Logistikinfrastruktur, die diese Projekte erfordern, könnten wiederum Raum für Verhandlungen auf Augenhöhe mit großen internationalen Konzernen schaffen. Dauerhafte Stabilität wird nicht durch den Verzicht auf den Peso erreicht, sondern durch einen starken argentinischen Staat und eine Wirtschaft, die in der Lage ist, innerhalb der eigenen Grenzen Werte zu schaffen und zu erhalten.