Debatte

Warum die Postwachstumsbewegung gewonnen hat

| 01. November 2022
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Eine weitreichende Deindustrialisierung ist kein Weg aus der Klimakatastrophe, sondern würde Millionen Menschen das Leben kosten. Doch die Zeit für einen Pfadwechsel ist ohnehin abgelaufen. Eine Replik.

Der letzte Kassandraruf im Angesicht der heraufziehenden Klimakatastrophe mündet in einem radikalen Fazit: Es gäbe kein grünes Wachstum – helfen kann gegen den Klimawandel nur noch ein Pfadwechsel. Was das heißt, wolle keiner hören: eine weit reichende Deindustrialisierung sowie einen Abschied von globaler Mobilität und globalem Handel.

Schonungslos detailliert beschreibt Daniel Deimling, was Summa summarum auf uns zukommt: Die Erde wird mit 95prozentiger Wahrscheinlichkeit für den Menschen bis Ende des Jahrhunderts weitgehend unbewohnbar. Das sind wissenschaftlich gesicherte Daten, in deren Anbetracht wir tatsächlich in kollektive Panik verfallen sollten.

Es handelt sich hierbei tatsächlich nicht um Alarmismus. Auch ich habe das in mehreren Texten ähnlich resümiert und teile die Diagnose. Es scheint inzwischen ausgeschlossen, dass wir den Kollaps noch abwenden können.

Es bleibt allerdings die Frage: Hätte sich dieser Kollaps zumindest vor Jahren mithilfe einer weitreichenden Deindustrialisierung verhindern lassen? Wäre diese – auch jetzt noch – der letzte, einzig gangbare Weg? Diese Auffassung vertritt Deimling, ohne dabei die Konsequenzen zu berücksichtigen: Ein radikales Degrowth würde Millionen Menschen das Leben kosten und die Zivilisation vernichten. Zudem wird es – trotz der drastisch beschriebenen Untergangszenarien – keine breite Zustimmung der Bevölkerung zu Deindustrialisierung, Einkommensschrumpfung und Konsumverzicht geben. Das wäre nur möglich, wenn Suffizienz in ein Konzept eingebettet würde, das reale Fortschritte für das Leben von Milliarden Menschen bedeuteten könnte.

8 Milliarden Menschen können nicht von einer Agrargesellschaft ernährt werden

Das Modell einer umfassenden Deindustrialisierung aber verspricht den Menschen nur den Heldentod durch Hunger, Durst, Hitze, Kälte und Krieg. In einer Welt mit 8 Milliarden Menschen gibt es keine Lösung durch Deindustrialisierung und Konsumverzicht. 8 Milliarden Menschen, die Zahl wächst immer noch, können nicht von einer vorindustriellen Agrargesellschaft ernährt werden – auch wenn dies kleine Gemeinschaften auf einem selbstgenügsamen Bauernhof durchaus erfolgreich tun. Die Leute sind dabei oft zufrieden und glücklich. Das ist wahr, ich habe selbst fast 20 Jahre auf so einem Restbauernhof gelebt mit Ziegen, Enten, Hühnern und selbst angebautem Gemüse.

Aber es ist kein Modell für 8 Milliarden. Wer dieses Modell propagiert, setzt unausgesprochen voraus, dass zuvorderst 90 Prozent der Menschen verschwinden, sterben, verhungern und verdursten oder sich gegenseitig umbringen, damit maximal ein paar Millionen als postindustrielle Bauern, Viehzüchter und Pilzsammler überleben können.

Das Gegenmodell war und ist, die industrielle Produktionsweise umzubauen, indem man auf erneuerbare Energie, offene und geschlossene Stoffströme, umweltkompatible neue Produkte und Verfahren setzt – und natürlich auch auf einen Umbau der Konsumtion und der Lebensweise. Suffizienz und eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums gehören dazu.

Nicht mehr als Selbsterhaltungs-Zweckoptimismus

Allerdings dauert ein derartiger Umbau etwa drei Generationen – und er hätte 1990 oder 2000 beginnen müssen, um noch rechtzeitig den Anstieg der Temperatur auf mehr als 2 Grad zu vermeiden und den Niedergang der Biodiversität zu begrenzen. Die Zeit dafür ist im Jahr 2020 abgelaufen. Erst vor wenigen Tagen berichtete der Deutschlandfunk, dass die von den Staaten weltweit gemachten Zusagen im Kampf gegen den Klimawandel nach Angaben der Vereinten Nationen bei weitem nicht ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Unter Verweis auf einen aktuellen Bericht des UNO-Klimasekretariats heißt es: „Vielmehr laufe es derzeit auf eine Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts von 2,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter hinaus. Es gebe einzelne Hoffnungsschimmer, diese seien aber nicht ausreichend." 

Zwar glauben oder hoffen viele Politiker und Journalisten sowie sicher auch viele Menschen immer noch, man könne es gerade noch schaffen. Aber das ist nicht mehr als Selbsterhaltungs-Zweckoptimismus. Skeptisch stimmt, dass es weder die Akteure noch einen Grundkonsens für einen Pfadwechsel gibt. Stattdessen tut die Politik alles, um die Lage zu beschönigen und drastische Maßnahmen zu vermeiden. Und der Ukraine-Krieg hat einen Ausweg zusätzlich verbaut.

Deimling und andere aus der Postwachstumsbewegung haben das Konzept eines Umbaus der industriellen Produktionsweise immer abgelehnt. Der seit Jahren vorgetragene Vorwurf und die damit verbundene Schuldzuweisung gegen einen ökologischen Umbau: Alle, die einen Green New Deal propagieren, würden auf technische Lösungen setzen, die erstens nicht funktionierten und zweitens alles noch schlimmer machten, denn Umbau erfordere Investitionen, die mit weiteren Ressourcenverbrauch einhergingen und weiteres Wachstum bedeuten würden.

Ich will die Gegenargumente nicht wiederholen. Auch der Green New Deal setzt auf sozialökonomische Lösungen und auf einen Pfadwechsel – genau wie die Postwachstumsriege. Er setzt auf eine Änderung des Entwicklungsregimes und damit auch auf ein anderes Verständnis von Wachstum. Und nicht alle Green-New-Deal Konzepte sind so neoliberal und ambitionslos wie jene der heutigen Grünen mit Baerbock und Habeck an der Spitze.

Aber eine Veränderung der Stoffströme und Energiesysteme ist ein immanenter Teil dieses Pfadwechsels. Suffizienz allein kann nicht die Lösung bringen. Das wäre ein Versuch, die Erde zu retten, indem man die Menschen sterben lässt.

Egal, wer Recht hat, ein Pfadwechsel ist nicht mehr möglich

Wir mit unserem Konzept – Lösung der Klimakrise durch wirtschaftliche Entwicklung einer neuen ökologischen Produktionsweise – haben aber genauso wenig Erfolg, wie Deimling und die Postwachstumsanhänger. Es ist tragisch, dass sich beide Richtungen gegenseitig bekämpfen, statt Suffizienz und Umbau als zwei sich ergänzende Strategien zu Bewältigung der Krise zu verbinden. In einem demnächst in Berliner Debatte Initial (2022-4) erscheinenden Artikel habe ich geschrieben: "Postwachstum, Suffizienz und Umbau schließen sich nicht aus, sie ergänzen sich." Eine Transformation durch Umbau setzt voraus, dass Ressourcen für diesen Umbau freigesetzt werden und das geht nur durch Suffizienz.

Nun muss ich einräumen: Deimling hat gewonnen. Die Menschheit ist kein handlungsfähiges Subjekt, das in der Lage wäre, den Untergang abzuwenden. Weder kann ein hinreichend schneller Umbau noch ein umfassender Konsumverzicht durchgesetzt werden. Das von ihm skizzierte Untergangs-Szenario wird eintreten. Es ist also egal, wer theoretisch Recht hat, ein Pfadwechsel ist nicht mehr möglich, weder auf dem einen noch auf dem anderen Weg.

Realistisch ist allein Deimlings Vision: das Überleben von wenigen Tausenden, bestenfalls ein paar Millionen Menschen nach der Katastrophe im romantischen Malevil-Szenario einer traditionellen Agrarwirtschaft.

Aber auch wenn es keine langfristig tragfähige Lösung geben wird, es bleibt zu bedenken, wie wir mit dem zu erwartenden Szenario umgehen, wie das Leben in der verbleibenden Zeit gestaltet werden soll. Werden es Kriege, Überlebenskämpfe und unwürdige Verhältnisse werden? Kann man menschliche Bedingungen für die Überlebenden und das letzte Jahrhundert erhalten? Das Arbeiten, Nachdenken und Forschen geht weiter, weil wir nur so weiter leben können im Angesicht einer Welt, die sich selbst zerstört.