Der Werkzeugkasten der Kommunen
Wie Städte und Gemeinden gegen die Wohnungsnot kämpfen – und warum sie mehr Macht brauchen.
In Berlin dürfen ganze Straßenzüge nicht mehr in Eigentum umgewandelt werden. In München handeln Investoren mit der Stadt über Sozialwohnungsquoten wie auf einem Basar. Und in Leipzig klopfen Verwaltungsmitarbeiter an Türen, um leerstehende Wohnungen aufzuspüren. Während in der Bundespolitik über Bauprämien, Abschreibungen und Mietbremsen gestritten wird, handeln die Kommunen längst selbst – pragmatisch, oft improvisiert, manchmal erstaunlich erfolgreich.
Denn die Wohnungsfrage ist kein nationales, sondern ein lokales Problem. In München explodieren die Mieten, in Teilen Ostdeutschlands stehen Häuser leer. Selbst innerhalb einer Stadt verlaufen die Bruchlinien tief: Hier das sanierte Altbauviertel mit hippen Cafés, dort das alte Arbeiterviertel, wo Mieten längst an der Grenze des Erträglichen liegen. Wer die Wohnungsnot ernsthaft bekämpfen will, muss also dort ansetzen, wo sie entsteht – in den Kommunen.
Und die haben, entgegen dem Anschein, durchaus Werkzeuge in der Hand. Vom Umwandlungsverbot über das Zweckentfremdungsverbot bis hin zu städtebaulichen Verträgen verfügen Städte und Gemeinden über eine ganze Reihe von Hebeln, mit denen sie in den Wohnungsmarkt eingreifen können. Doch ihre Möglichkeiten stoßen schnell an rechtliche und finanzielle Grenzen.
Wenn Mietwohnungen verschwinden: das Umwandlungsverbot
Noch vor wenigen Jahren wurden in Berlin jedes Jahr zehntausende Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt – oft der erste Schritt zur Verdrängung. Dann kam § 250 des Baugesetzbuchs. Seit 2021 dürfen Länder in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt festlegen, dass Mietwohnungen nur noch mit Genehmigung in Eigentumswohnungen umgewandelt werden dürfen.
Was trocken klingt, zeigt Wirkung: In Berlin sank die Zahl der Umwandlungen laut Mieterverein von über 19.000 im Jahr 2020 auf rund 4.500 im Jahr 2023. In den sogenannten Milieuschutzgebieten, wo zusätzlich Umbauten und Modernisierungen eingeschränkt werden, wurden im ersten Halbjahr 2023 nur 40 Umwandlungen genehmigt. Auch Frankfurt am Main verzeichnet ähnliche Rückgänge.
Andere Länder ziehen nach. In Bayern und Hessen gelten mittlerweile über 50 Gemeinden als „angespannte Gebiete“. In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen sind es einzelne Stadtteile von Dresden, Leipzig, Chemnitz, Jena oder Magdeburg.
Doch die Regelung hat Lücken: Gebäude mit weniger als fünf Wohnungen sind ausgenommen – eine Einladung, große Häuser einfach zu parzellieren. Trotzdem: Das Umwandlungsverbot ist eines der wenigen Instrumente, das tatsächlich den Preisdruck bremst.
Gegen Leerstand und Ferienwohnungen: das Zweckentfremdungsverbot
Eine weitere Waffe im kommunalen Arsenal ist das Zweckentfremdungsverbot. Es erlaubt Städten, die Nutzung von Wohnraum zu regulieren – insbesondere gegen Leerstand und illegale Ferienwohnungen.
Berlin gilt hier als Vorreiter. Seit 2014 konnten dort rund 28.000 Wohnungen dem Mietmarkt zurückgeführt werden, davon allein 8.000, die zuvor als Ferienwohnungen zweckentfremdet waren. Doch das Gesetz hat Schlupflöcher: Wer seine Wohnung als „möblierte Kurzzeitmiete“ anbietet, kann die Vorschriften leicht umgehen.
Hinzu kommt das klassische Problem kommunaler Politik – Personalmangel. In vielen Städten fehlt schlicht die Kapazität, um Verstöße systematisch zu verfolgen. Selbst dort, wo Bußgelder verhängt werden, dauert es oft Jahre, bis Verfahren abgeschlossen sind. Trotzdem zeigt das Zweckentfremdungsverbot: Kommunale Eingriffe wirken – wenn sie konsequent durchgesetzt werden.
Boden behalten, statt verkaufen: das Erbbaurecht
Land ist endlich – und in Städten längst Gold wert. Wer es einmal verkauft, verliert dauerhaft Gestaltungsmacht. Deshalb setzen immer mehr Kommunen wieder auf das alte Instrument des Erbbaurechts.
Das Prinzip ist einfach: Eine Stadt bleibt Eigentümerin des Bodens, überträgt aber das Nutzungsrecht – meist für 70 bis 99 Jahre – an Bauherren, die dafür einen jährlichen Erbbauzins zahlen. Nach Ablauf der Frist kann der Vertrag verlängert oder das Gebäude gegen Entschädigung übernommen werden.
Das Erbbaurecht verschafft Städten ein strategisches Druckmittel: Sie können festlegen, wer baut, was gebaut wird und zu welchen Preisen. Es ist ein Mittel, um Bodenpolitik wieder als öffentliche Aufgabe zu begreifen – statt sie den Renditeinteressen des Marktes zu überlassen. In Zeiten explodierender Grundstückspreise ist das Erbbaurecht ein seltenes Beispiel für langfristige kommunale Weitsicht.
Eingreifen, bevor Investoren zuschlagen: das Vorkaufsrecht
Wenn ein Grundstück verkauft wird, haben Städte nach § 24 Baugesetzbuch das Recht, den Käufer zu ersetzen und selbst einzutreten – allerdings nur im „öffentlichen Interesse“. Das klingt nach einem starken Hebel, ist aber in der Praxis stark eingeschränkt.
Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2021 hat das deutlich gemacht: Damals wollte Berlin das Vorkaufsrecht nutzen, um ein Mietshaus im Milieuschutzgebiet vor dem Verkauf an einen Großinvestor zu bewahren. Doch das Gericht entschied, die Stadt dürfe nicht „auf Verdacht“ handeln, solange kein konkreter Missstand nachgewiesen sei. Seitdem ist das Instrument faktisch zahnlos.
Viele Städte fordern deshalb eine Reform. Ohne ein erweitertes Vorkaufsrecht bleibt kommunale Wohnungspolitik reaktiv – immer einen Schritt hinter dem Markt zurück.
Wo und wie gebaut wird: Bebauungspläne
Bebauungspläne sind das Grundgerüst kommunaler Planungshoheit. Sie legen fest, wo und wie gebaut werden darf – von der Gebäudehöhe bis zur Nutzungsart. Doch sie stoßen schnell an Grenzen: Sozialquoten oder Mietobergrenzen können sie nicht erzwingen.
Mit dem Baulandmobilisierungsgesetz von 2021 erhielten Städte immerhin neue Möglichkeiten. Sie dürfen nun „sektorale Bebauungspläne“ beschließen – etwa für einzelne innerstädtische Quartiere ohne bisherigen Plan. Hier können Sozialwohnungsquoten festgelegt werden. Doch das Potenzial bleibt begrenzt: Gerade diese Flächen sind meist schon dicht bebaut.
Bebauungspläne bleiben daher ein stumpfes Schwert gegen die Wohnungsnot – wichtig für Ordnung, aber kaum geeignet für soziale Steuerung.
Münchens Modell: Sozialgerechte Bodennutzung
Wie man aus begrenzten Befugnissen mehr machen kann, zeigt München. Die Stadt führte bereits 1994 die Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) ein – ein Modell, das inzwischen bundesweit als Vorbild gilt.
Wenn Investoren neue Baurechte wollen, etwa durch Änderung eines Bebauungsplans, verhandelt die Stadt mit ihnen über Gegenleistungen: Sozialwohnungsquoten, Grünflächen, Kitas oder Infrastrukturbeiträge. Seit 2021 gilt die „SoBoN 2.0“ – ein Baukastenmodell, in dem Investoren Punkte sammeln müssen. Erst wer 100 Punkte erreicht, erhält Baurecht. Punkte gibt es für Sozialwohnungen, Grundstücksübertragungen an die Stadt oder finanzielle Beiträge.
Der Clou: Die Stadt muss kein eigenes Geld in die Hand nehmen, erzielt aber dennoch Einnahmen – und Gestaltungsspielraum. Der Nachteil: Sozialwohnungen fallen irgendwann wieder aus der Bindung. Deshalb müsste München die zusätzlichen Mittel eigentlich nutzen, um dauerhaft eigenen Wohnungsbestand aufzubauen.
Kommunen statt Markt
So unterschiedlich die Instrumente sind, sie zeigen eines: Kommunen können den Wohnungsmarkt beeinflussen – wenn sie dürfen. Doch ihre Möglichkeiten bleiben begrenzt. Fast jeder Eingriff ist an Entschädigungspflichten gebunden. Hinzu kommt die chronische Unterfinanzierung der Städte, verschärft durch immer neue Aufgaben und Bundesvorgaben. Der Deutsche Städtetag warnt seit Jahren, dass viele Kommunen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit geraten.
Wer also ernsthaft bezahlbaren Wohnraum schaffen will, darf die Verantwortung nicht länger auf den Markt oder die Mieter abwälzen. Die Bundesregierung muss den Städten mehr Spielräume und Mittel geben – durch eine Reform des kommunalen Finanzausgleichs, eine Stärkung des Vorkaufsrechts und eine verlässliche Unterstützung beim sozialen Wohnungsbau.
Die Wohnungskrise wird nicht im Kanzleramt gelöst, sondern im Rathaus. Und dort, wo die Kommunen handeln dürfen, zeigen sie längst: Es geht – wenn man will.