Makroskop
Kommentar

Fragen Sie Ihre Freunde – vom Stadtbild reden längst alle!

| 28. Oktober 2025
IMAGO / Christian Ohde

Freunde, Familie, Eltern – über das Stadtbild reden längst alle. Denn wir alle sind mittendrin.

Zwei Perspektiven auf ein Reizwort: Die „Stadtbild“-Aussage von Friedrich Merz löste Empörung, Widerspruch und Zustimmung zugleich aus. Zwischen persönlicher Betroffenheit und nüchterner Analyse versuchen zwei Autoren zu fassen, was Deutschland bewegt – und warum das Gespräch darüber so schwer geworden ist.

Friedrich Merz redet so, wie vorher nur die AfD? Wenn das stimmt, dann wurde es höchste Zeit, dass er damit beginnt. Denn das „Stadtbild“ ist längst eine Chiffre – für vieles, was hierzulande in der Migrationspolitik und weit darüber hinaus schiefläuft. Und wer glaubt, man könne das Thema einfach totschweigen, darf sich nicht wundern, wenn am Ende die AfD die Regierung stellt.

Trotzdem: Merz hätte gleich nachschieben können, was er genau meint, und was auch die meisten meinen, die ihm zustimmen: dass wir kein Problem mit dem peruanischen Restaurant um die nächste Ecke haben, sondern mit Kriminalität in Innenstädten. Dass wir wollen, dass Weihnachtsmärkte nicht mehr durch Poller geschützt werden müssen, dass Städte zu Silvester nicht zu pyrotechnischen Kampfzonen werden oder dass sich sexuelle Übergriffe wie auf der Kölner Domplatte 2015 niemals wiederholen.

Wer den Rassismus nicht unter jedem Stein sucht, der hatte diese Bilder ohnehin im Kopf. Aber Merz hätte den Raum für Interpretationen auf diese Weise schließen können. Er tat es nicht – und dann zu spät. Ob das politisches Kalkül war oder nicht, sei dahingestellt. Verständlich aber, dass sich Menschen mitgemeint fühlten, die gar nicht gemeint waren. Menschen mit Migrationsgeschichte, die längst Teil dieser Gesellschaft sind, hier leben, arbeiten, Kinder großziehen, ihre Steuern zahlen. Menschen, die sich hier zu Hause fühlen, lupenreines Hessisch sprechen und für die dieser Diskurs mitunter wie ein Rückschritt wirkt.

Aber viele von ihnen können selbst ein Lied von dem „Stadtbild“ singen. Die Journalistin und Integrationsbeauftragte Güner Balci zum Beispiel, selbst mit Migrationsgeschichte, beschreibt eindrücklich, wie sich der Alltag in ihrem Heimatkiez Berlin-Neukölln verändert hat – aggressiver, männlich dominierter, frauenfeindlicher. Sie leidet darunter, nicht als Gegnerin von Zuwanderung, sondern als Beobachterin einer Realität, die viele verdrängen.

Will heißen: Wenn 64 Prozent der Bevölkerung laut Umfrage die Kanzler-Aussage über das Stadtbild teilen, spiegelt das nicht ethnische Grenzen wider, sondern politische Lager. Es geht nicht um „die Deutschen“ gegen „die Migranten“, sondern um jene, die Missstände benennen wollen, und jene, die lieber nicht darüber reden. Vielleicht würde es gerade deswegen lohnen, einmal die – teils migrantischen Wähler – aus den ehemaligen SPD-Hochburgen zu fragen, die gerade in Scharen zur AfD überlaufen. Viele von ihnen sehen sich nicht als Opfer einer rassistischen Rhetorik, sondern als Opfer der Zustände in ihrem Viertel.

Manche Stadtbilder sprechen eben eine deutliche Sprache. Nicht nur in Duisburg, Hannover, Frankfurt oder Nürnberg ist der Wandel sichtbar: geschlossene Geschäfte, Müll, Billigketten, Shisha-Bars, aggressive Gruppen auf öffentlichen Plätzen. Laut ZDF-Politbarometer fühlen sich heute nur noch zwei Drittel der Menschen an öffentlichen Orten sicher – vor wenigen Jahren waren es 80 Prozent. Das alles hat viele Ursachen, aber eine falsche Migrationspolitik gehört dazu.

Wer sich unwohl fühlt, weil sein Umfeld sich rasant verändert, ist nicht automatisch fremdenfeindlich. Es ist ein menschlicher Reflex: Wir orientieren uns an vertrauten Gepflogenheiten, suchen Sicherheit, Normalität und Heimat. Wenn diese verloren geht, entsteht Unruhe, schlimmstenfalls Angst. Das hat nichts mit Hautfarbe zu tun, sondern mit einem simplen Urinstinkt, der sich auch mit der dreihundertsten „Demo gegen Rechts“ nicht wegskandieren lässt.

Selbstverständlich gibt es Rassismus, und er trifft Menschen, die nichts getan haben außer sichtbar anders zu sein. Das muss man ernst nehmen. Aber ebenso ernst nehmen sollte man das Unbehagen vieler, die das Gefühl haben, in ihrer eigenen Stadt fremd zu werden. Wer darüber nicht sprechen darf, wird am Ende von denen vertreten, die das Unbehagen instrumentalisieren.

Man kann für „Vielfalt“ sein, wie jene, die zurzeit unter dem Motto „Wir sind das Stadtbild“ gegen den Kanzler demonstrieren – darunter im Übrigen auffallend wenige mit sichtbarem Migrationshintergrund. Aber Vielfalt, die sich in Parallelwelten auflöst, ist keine Bereicherung. Wenn ganze Viertel kulturell kippen, alte Läden verschwinden und öffentliche Räume unsicher werden, ist das kein Fortschritt. Dann entsteht Entfremdung.

Wer in einem 11.000-Einwohner-Ort lebt, in dem sechs Barbershops, zwei Shisha-Bars und mehrere Wettbüros die Kneipen und Bäcker ersetzt haben, erlebt diese Entfremdung unmittelbar. Es ist kein Zeichen von Intoleranz, wenn man fragt, ob das wirklich die „Vielfalt“ ist, von der so gern gesprochen wird.

Dass viele der gutbetuchten „Töchter“, die jetzt gegen Merz ihre Stimme erheben, zugleich die jüngste Gruppenvergewaltigung eines Mädchens durch fünf Syrer in Heinsberg ignorieren, ist bezeichnend. Der moralische Kompass schlägt dort falsch aus, wo die Realität unbequem wird. Denn zu der gehört auch, dass muslimische Zuwanderer bei Sexualdelikten deutlich überrepräsentiert sind, fünfmal, achtmal, zehnmal, zwölfmal mehr Opfer verursachen – unter ihnen nicht selten selbst Migrantinnen. Balci, türkischstämmige Muslimin, kann lange über die Gründe reden.

Schon die unterschiedlichen Wortmeldungen der letzten Tage zeigen: Die Kritik an den Zuständen ist nicht rechts, sie kommt längst aus der Mitte der Gesellschaft. Fragen Sie mal Freunde – vorzugsweise jene, die nicht im AStA der FU Berlin sitzen. Man darf auf Missstände hinweisen, gerne auch präziser als Merz. Und man darf Merz nicht mögen – und ihm trotzdem in einem Punkt recht geben: Das Stadtbild verändert sich.

Machen wir uns ehrlich: Alle, die hinsehen, wissen, was der Kanzler gemeint hat. Dafür muss man nicht auf böswillige Interpretationen von Heidi Reichinnek oder Luisa Neubauer warten. Ein Spaziergang durch viele Innenstädte reicht völlig aus.