Weniger Exportüberschuss = weniger Wachstum?
Die traditionell hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands sinken. Aber lassen sich aus Finanzierungssalden zwingende Schlussfolgerungen für das Wachstum des Bruttoinlandprodukts ableiten?
In unserer neuen Rubrik „Frag‘ den MAKROnauten“ können Leserinnen und Leser der Redaktion Löcher in den Bauch fragen.
Einer unserer Leser wollte wissen: "Nach meiner Auffassung lassen sich aus Finanzierungssalden keine zwingenden Schlussfolgerungen für das BIP-Wachstum ableiten. Stimmen Sie mir zu?
Bezogen auf die heutige Situation in Deutschland: Wenn der Staat den vermutlich zu erwartenden geringeren Leistungsbilanzüberschuss durch eine höhere Verschuldung nicht ausgleicht, hieße das lediglich, dass die Ersparnis des Privatsektors geringer ausfiele. Das Wachstum wäre nicht notwendigerweise ebenfalls geringer, oder?"
Lieber Leser,
danke für die interessante Frage! Die kurze Antwort lautet: nein, man kann keine direkten Rückschlüsse von einer Veränderung in den Finanzierungssalden auf die Entwicklung des BIP treffen. Das liegt daran, dass Finanzierungssalden nur die Verteilung der verfügbaren Mittel zwischen Sektoren zeigen, aber keine Aussage über die Verwendung der Mittel treffen. Für ein näheres Verständnis hilft ein Blick die Zusammensetzung von Finanzierungssalden und dem Bruttoinlandsprodukt.
Gemeinhin unterscheidet man zwischen drei Sektoren in der Volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung: privater Sektor, Staat und Ausland. Beim privaten Sektor zieht man die Investitionen von den Ersparnissen ab, beim Staat Staatsausgaben von Steuern und Abgaben sowie beim Ausland die Importe von den Exporten.
Jeder dieser Sektor hat Einnahmen und Ausgaben: spart ein Sektor, erzielt er höhere Einnahmen als Ausgaben. Verschuldet er sich, sieht es andersherum aus. Da die Sektoren die gesamte Volkswirtschaft abbilden, ergibt die Summe ihrer Finanzierungssalden immer null. Das bedeutet: Gibt es Zuwächse oder Abnahme in einem Sektor, muss diese Veränderung durch einen oder mehrere andere Sektoren kompensiert werden.
Zum Vergleich bietet sich am ehesten die Aufschlüsselung des BIP anhand der Verwendungsrechnung an. In dieser nachfrageseitigen Betrachtung wird das BIP als Summe aus privatem und staatlichem Konsum, den Investitionen sowie dem Außenbeitrag (Exporte minus Importe) berechnet.
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Wenn nun, wie von Ihnen beschrieben, der Außenhandelsbeitrag sinkt, weil die Leistungsbilanz rückläufig ist, kommt es darauf an, wie sich die anderen Sektoren verhalten. Sie haben bereits ausgeschlossen, dass der staatliche Sektor den zurückgehenden Außenhandelsbeitrag durch eine höhere Verschuldung kompensiert und eine mögliche Reaktion geschildert: Die Privaten sparen weniger. Das können dann sowohl Unternehmen als auch private Haushalte sein. Im Falle von privaten Haushalten würden sie ihren Konsum steigern, im Fall von Unternehmen ihre Investitionen.
Jetzt stellt sich die Frage, wie stark die beiden privaten Sektoren ihren Konsum bzw. ihre Investitionen steigern. Geht dies so weit, dass sie sich netto verschulden? Vom Ausmaß des Impulses ist abhängig, ob sie die Mindereinnahmen durch den sinkenden Außenbeitrag kompensieren – dann würde das BIP konstant bleiben – oder sogar überkompensieren – dann steigt das BIP.
An der Formel für die sektoralen Salden kann man nicht ablesen, wer im privaten Sektor wie reagiert, wenn der Außenbeitrag zurück geht und der Staat nicht reagiert. Man weiß lediglich, dass der Finanzierungssaldo des privaten Sektors – also Ersparnisse minus Investitionen – sinken muss. Entweder die privaten Ersparnisse gehen zurück (der Konsum steigt) oder die Unternehmen investieren. Beide Effekte können das BIP stützen oder sogar steigern.
Ihre MAKROSKOP-Redaktion