Makroskop
Kreislauf, Klima, Kapital

Energiepolitik wider den Herbst-Blues?

| 06. November 2025

Gute Stimmung ist ein relevanter Soft-Faktor in der Wirtschaft. Mit den richtigen Signalen lassen sich spannende Projekte realisieren. Wie sich politische Kommunikation und Investitionen der Privatwirtschaft gegenseitig bedingen.

Nachhaltigkeit ist kein Schlagwort, sondern eine Systemfrage. In seiner Kolumne „Kreislauf, Klima, Kapital“ beleuchtet Lukas Poths die Schlüsselindustrien der ökologischen Transformation – von der Energiebranche über Mobilität und Landwirtschaft bis zu den Finanzmärkten.

„Das kann Deutschland.“ – Sie kennen die neue Imagekampagne der Regierung sicher auch. Wenn nicht: Glückwunsch, Ihr Medienkonsum bewegt sich in einem gesünderen Bereich als meiner. Ich bekomme die Werbung fast vor jedem YouTube-Video. Mit Slogans wie „Beim Verkehr ordentlich Strecke machen“ oder „Aus Wirtschaft wieder Wachstum machen“ will die Bundesregierung laut eigener Aussage „Bürgerinnen und Bürger über die Regierungsarbeit eindeutig und anschaulich informieren“. 30 Prozent Abschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen, sinkende Körperschaftssteuern, 169 Milliarden für Verkehrsinfrastruktur: Zuversicht statt Zukunftssorgen. Damit wollen Union und SPD die Stimmung im Land aufhellen.

So oberflächlich das klingen mag: Die Wirkung positiver Botschaften, denen tatsächlich ein großzügiges Ausgabenprogramm folgt, sollte man nicht zu gering einschätzen. Schließlich hängen dringend notwendige Unternehmensinvestitionen stark von Zukunftserwartungen ab. Was möglich ist, wenn ein Unternehmen mit solider Nachfrage und politischer Unterstützung planen kann, zeigt ein neuer Projektentwurf von Rheinmetall. Dazu gleich mehr.

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) kann im Gegensatz zum Koalitionspartner SPD, der mit dem Bürgergeld-Aus eine Kröte schlucken musste, mit einer Fast-Zusage punkten: Der Industriestrompreis soll ab 1. Januar 2026 kommen. Man sei in den letzten Zügen der Verhandlungen mit der EU-Kommission. Diese muss die Strompreissubventionen unter dem europäischen Beihilferecht genehmigen. In der letzten Regierung war eine Subvention für Industriestrom noch an der Haushaltslage gescheitert.  

Zwar kann diese Entlastung nur eine kurzfristige Strategie sein und erfordert weitere Investitionen ins Energiesystem. Doch die nächsten Transformationsschritte so zu begleiten, kann dafür sorgen, auch aus der energieintensiven Industrie positive Signale zu erhalten. Ein Fall wie ArcelorMittal, bei dem ein Stahlproduzent Milliardensubventionen aufgrund der schlechten Marktsituation ausschlug, sollte sich nicht wiederholen. An anderen Stellen in der Branche scheint man auch wesentlich zuversichtlicher…

Gestählt

So zum Beispiel bei der Salzgitter Flachstahl GmbH. Der hundertprozentig zur Salzgitter AG gehörende Stahlproduzent verfolgt weiterhin das Ziel, CO2-arme Herstellungsverfahren zu etablieren. Kürzlich gaben Salzgitter-Chef Gunnar Groebler und BDEW-Präsident Stefan Dohler der FAZ ein Interview, das nicht für genug Aufsehen sorgte.

Dort bekräftigen beide die Pläne, ab 2027 grünen Stahl Made in Germany anzubieten. Zur Prozesswärmeerzeugung wird grüner Wasserstoff genutzt – neben dem elektrischen Lichtbogenverfahren eine der beiden vielversprechenden klimaneutralen Produktionsrouten. Man setzt in Salzgitter auf einen sich entwickelnden Wasserstoffmarkt. Bisher sei die Herstellung mit Wasserstoff teurer als die mit Kohle. Doch durch steigende CO2-Preise und einen größeren Wasserstoff-Markt werde dieses Verhältnis umgedreht.

So weit ist das nichts neues. Das Verfahren ist gut erforscht und die Branche arbeitet an der Umsetzung. Hohe Energiepreise und billige Konkurrenz aus China und den USA setzen den teuren Investitionsplänen aber gewisse Grenzen. Hier wäre politische Unterstützung gefragt. Der Industriestrompreis ist ein Teil davon. Doch viel bedenklicher ist Ministerin Reiches öffentlich bekundeter Zweifel am klimaneutralen Stahl. „Es ist doch absurd: Wir stellen ab 2027 auf Wasserstoff um, Herr Dohler könnte ihn auch liefern, aber niemand weiß, ob das Netz bis dahin steht. Hier braucht es mehr Tempo.“ – so Groebler über die zögerliche Haltung der Ministerin.

Der Industriestrompreis ist eine überfällige Hilfe bei der teuren Transformation. Doch das Beispiel Salzgitter zeigt, dass neben der sinnvollen direkten Unterstützung weitere staatliche Tätigkeit notwendig ist: Nämlich in der Planung und Umsetzung neuer Netzinfrastruktur. Je besser diese aufgestellt ist, desto niedriger die Preise. Es ist zweifellos eine Mammutaufgabe. Industrie und Verbraucher brauchen dazu die Zuversicht der Ministerin. Dann ist es möglich, auch die deutsche energieintensive Industrie zukunftsfest aufzustellen.  

Verschoben

Daher ist es keine ideale Nachricht, wenn investierende Unternehmen, die auf einen Wettbewerbsvorteil durch CO2-arme Prozesse setzen, diesen Vorteil später als geplant erhalten. Das könnte nun drohen. Denn diese Woche haben sich die EU-Umweltminister auf eine gemeinsame Strategie zum Start des ETS-2 (Emission Trade System) 2027 geeinigt. Die Sitzung der Minister war in Vorbereitung auf die Weltklimakonferenz angesetzt worden, die am zehnten November im brasilianischen Belém beginnt.  

Es sollte ein verbindliches Klimaziel 2040 vereinbart werden. Für 2030 und 2050 gibt es bereits eines: Wie zu erwarten, sprachen sich viele der teilnehmenden Minister für eine Aufweichung der zuvor geplanten Maßnahmen aus. Anhaltend hohe Energiepreise und schwächelnde zentristische Nationalregierungen – insbesondere aus Frankreich und Deutschland – bewogen die Minister dazu, einen etwas abgeschwächten Kurs für 2040 einzuschlagen.

Einer der Hauptgründe dafür: Das neue Emissionshandelssystem der EU war auf Industrie und die Stromerzeugung ausgelegt. Mit dem ETS-2 werden auch Privathauhalte in die CO2-Bepreisung einbezogen, vor allem in den Sektoren Wärme und Verkehr. Erfahrungen dazu liegen bisher nur aus Deutschland vor. Es ist klar, dass Regierungen, die zunehmend von Parteien der politischen Ränder bedrängt werden, sich vor unpopulären Klima-Maßnahmen drücken wollen (man kürzt lieber im sozialen Bereich, das ist offensichtlich populär genug). Länder wie Spanien, seit Jahren von extremen Hitzewellen und Überflutungen geplagt, ziehen beim EU-Kurs eher unfreiwillig mit.

Es fehlen Bekenntnis und Ideen für einen echten sozialen Ausgleich – der am Ende vor allem über eine expansivere Finanzpolitik laufen dürfte. Wie schwer das in der EU umzusetzen ist, zeigt das praktisch unregierbare Frankreich.

Zudem könnten die jetzt formulierten Grenzen für Emissionsrechte aus Drittländern Investitionen auf EU-Boden verzögern. EU-Länder könnten bis zu fünf Prozent der verpflichtenden CO2-Reduktion (90 Prozent im Vergleich zu 1990) decken, indem sie Emissionsrechte zum Beispiel aus Südamerika kaufen. Je mehr dieser Zertifikate EU-Länder kaufen können, desto eher bleiben Investitionen in Produktionsgüter in der EU aus.

Geplant

Was hingegen möglich ist, wenn Politik und Industrie motiviert an einem Strang ziehen, sieht man aktuell an einem ambitionierten Projekt von Rheinmetall. Rüstungsunternehmen können sich auf konstante staatliche Nachfrage verlassen und deshalb mit deutlich größeren Investitionen planen als viele zivile Unternehmen. Die seit dem Ukraine-Krieg recht bellizistische Stimmung bleibt dem Industriesektor nicht verborgen, also orientieren sich Unternehmen nachvollziehbarerweise an der Rüstungsindustrie und stufen zivile Innovationen zur Zweitnutzung ab.

Rheinmetall hat nun eine Unternehmensallianz ins Leben gerufen, um europäische Streitkräfte über den ganzen Kontinent mit E-Fuels zu versorgen. Es sollen regenerative Kraftstoffe über erneuerbare Energien hergestellt werden, indem ein dezentrales Netzwerk aus Elektrolyseuren aufgebaut wird. So will man strategische Unabhängigkeit bewahren. Denn die reibungslose Verteilung fossiler Energieträger ist seit dem Ukraine-Krieg keine Selbstverständlichkeit mehr.

E-Fuels sind für die zivile Nutzung noch nicht als klimaneutral zugelassen. Sie können aber klimaneutral hergestellt werden und dann als flexible Stromspeicher und Energieträger in schwer elektrifizierbaren Sektoren dienen. Mit dem Rheinmetall-Projekt könnte die Produktionsinfrastruktur für zivil nutzbare Energie geschaffen werden, da von politischer Seite vermutlich alle verfügbaren Mittel freigemacht werden. Neben Rheinmetall sind weitere deutsche Unternehmen wie Sunfire, Greenlyte und Ineratec an der Projektierung beteiligt (Elektrolyse für Wasserstoffproduktion, CO2-Abscheidung, E-Fuel-Synthese). 

Bisher gibt es keine Finanzierungszusagen. Aber wenn europäische Regierungen Giga PtX (so der Projektname) als strategisch einstufen, könnte europaweit unter deutscher Federführung ein dezentrales Netz aus Elektrolysekapazitäten entstehen. Man stelle sich vor, die zivile Versorgungssicherheit und Klimaschutz würden denselben politischen Rückhalt genießen…