Konkurrenz für den Dollar?
Beim letzten Gipfeltreffen im August haben die BRICS-Staaten den Wunsch nach einer Alternative zum US-Dollar bestärkt. Doch die Dollar-Dominanz zu brechen, dürfte schwierig werden.
Mit großen Plänen reisten die Vertreterinnen und Vertreter von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika nach Johannesburg zum 15. Gipfel der BRICS-Staaten. Vom 22. bis 24. August stand dort laut der Südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor „die Suche nach Alternativen“ zu den aktuellen globalen Machtverhältnissen und als Ziel eine „veränderte globale Ordnung“ auf dem Programm. Dazu zählen auch Maßnahmen, um die Dominanz des US-Dollars im internationalen Währungs- und Finanzsystem zurückzudrängen. Brasiliens Präsident Lula hatte darüber bereits im April bei seinem Besuch in China gesprochen.
Eine mögliche Maßnahme sähe die Einführung einer gemeinsamen BRICS-Währung vor. Ein weiterer Vorschlag ist die Stärkung der internationalen Rolle des chinesischen Renminbi, wie sie etwa jüngst der chinesische Ökonom Yu Yong Ding wieder ins Spiel gebracht hatte. Diese zunehmende Bedeutung des Renminbi zeichnet sich bereits seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Seitdem hat sich Russland zunehmend China und dem Renminbi zugewandt.
Die Frustration über die Dominanz des US-Dollars in der Weltwirtschaft ist keineswegs nur auf die BRICS beschränkt. Für sie gibt es eine Reihe von Gründen, die immer wieder in der Tagespolitik aufgegriffen werden. Erstens ist es eine natürliche Intuition, dass jedes Land in seiner eigenen Währung agieren können sollte. Dies wird mit dem Konzept von monetärer Souveränität in Verbindung gebracht. Zweitens können sich viele Staaten des globalen Südens nicht in ihrer eigenen Währung verschulden, da potenzielle Investoren nicht an die Stabilität dieser Währungen glauben. Daher sind sie dazu gezwungen, ihre Schulden in Dollar aufzunehmen, was sie in eine viel schlechtere Position bringt.
Die USA hingegen können sich in ihrer eigenen Währung verschulden, zumal US-Staatsanleihen als global nachgefragte, sichere Wertpapiere gelten. Der US-Haushalt scheint kein Finanzierungslimit zu kennen, sieht man einmal von der obskuren debt ceiling des US-Kongresses ab, eine festgelegte Schuldenobergrenze, die in regelmäßiger Wiederkehr politischen Zank um den US-Haushalt auslöst. Schließlich ermöglicht es die Dollar-Dominanz den USA, ihre Währung als Waffe einzusetzen und unliebsame Staaten oder Firmen regelmäßig mit Finanzsanktionen zu bestrafen. Zuletzt hat es Russland getroffen, aber auch der EU wurden Finanzsanktionen angedroht, etwa als die USA unter Präsident Trump eine 180-Grad-Wende beim Iran-Abkommen vollzogen hatten.
Ende der Dollar-Dominanz nicht wahrscheinlich
Trotz dieser Frustrationen ist ein Ende der Dollar-Dominanz nicht sehr wahrscheinlich. In den letzten Jahrzehnten ist die Welt zwar multipolarer geworden und der Einfluss des Westens zurückgegangen, aber die Dominanz des Dollars ist gewachsen. Tatsächlich scheint es in einer unsicherer und komplexer werdenden Welt eine Präferenz für die eine dominante Währung zu geben. Die USA – und allen voran ihre Zentralbank, die Federal Reserve (FED) – haben sich als fähig erwiesen, das globale Dollarsystem in entscheidenden Momenten zu stützen.
Ein weiteres Argument für eine einzelne internationale Leitwährung ist, dass sie in einem globalisierten Produktions-, Handels- und Finanzsystem entscheidende Effizienzgewinne bietet. Ein Schwinden der Dollar-Dominanz stünde insofern nur zu erwarten, wenn der Grad der Globalisierung in der Weltwirtschaft spürbar zurückgefahren würde oder eine große Finanzkrise, die die FED nicht erfolgreich eindämmen könnte, das Dollarsystem von innen heraus unterminieren würde.
Der Aufstieg des Dollars als internationale Leitwährung begann in den 1930er Jahren. Bis zum Ersten Weltkrieg agierten die USA weitgehend isolationistisch. Die FED wurde erst 1913 ins Leben gerufen, das internationale Währungssystem seinerzeit noch von London aus organisiert. Die Bank of England war die zentrale Institution und das britische Pfund die internationale Leitwährung. Schon damals war das internationale Währungssystem ein Kreditgeldsystem, doch formal war das Pfund an Gold gekoppelt. Daher spricht man von dieser Zeit als dem klassischen Goldstandard.
In der Zwischenkriegszeit versuchte die Bank of England, den Goldstandard wieder in Gang zu setzen. Doch schon Anfang der 1930er Jahre, während der großen Depression, musste sie den Goldstandard wieder aussetzen. Großbritannien war nicht länger in der Lage, seine Führungsrolle in den internationalen Währungsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Dagegen setzten die USA als aufstrebende internationale Großmacht nun systematisch auf eine Expansion des Dollars. Dies gelang vollumfänglich nach dem Zweiten Weltkrieg, als mithilfe des Marshall-Plans Europa dollarisiert wurde. In den 1950er Jahren hatte sich im westlichen Block die European Payments Union institutionalisiert. Die einzelnen europäischen Währungen waren darin nicht direkt ineinander konvertibel, sondern nur vermittels des Dollars als internationaler Leitwährung. Diese neue Realität kam auch im 1944 beschlossenen Bretton-Woods-System zum Ausdruck, in welchem der Dollar auch formal den Status der Weltwährung erhielt.
Die globale Expansion des Dollarsystems setzte sich in der Folgezeit fort. Durch die Entwicklung des Eurodollar-Markts in London („Euro“ steht hier für „offshore“) ab den späten 1950er Jahren wurden Banken in die Lage versetzt, privates Kreditgeld in Form von Dollar-denominierten Bankdepositen außerhalb der USA zu kreieren. Dieses Phänomen wurde während der Zeit des Bretton-Woods-Systems kritisch beäugt, aber nicht bekämpft. Als in den 1970er Jahren das Bretton-Woods-System zusammenbrach, füllten die privaten Strukturen des Eurodollarmarkts die entstandene Lücke. Große Teile Asiens und Lateinamerikas wurden in dieser Zeit dollarisiert. Nach dem Ende des Kalten Krieges folgten in den 1990er Jahren auch die früheren sozialistischen Staaten.
Seine größte Bewährungsprobe hatte das Dollarsystem in der Finanzkrise 2008. Die Krise erschütterte nicht nur das Geld- und Finanzsystem in den USA, sondern löste auch einen „Run“ auf im Ausland gehaltene US-Dollar aus. In diesen Jahren zeigte sich die FED handlungsfähig und entschlossen, das internationale Dollarsystem zu stützen. Die wichtigste Innovation war die Einführung von sogenannten Dollar-Swap Lines, mit denen die FED andere Zentralbanken – darunter auch die Europäische Zentralbank – mit zum Teil unbegrenzter Dollar-Liquidität versorgt. Dadurch agiert die FED faktisch als Gläubiger der letzten Instanz für Dollar auch außerhalb der USA, was enorm zur Stabilisierung des globalen Währungs- und Finanzsystems beigetragen hat als auch zur Attraktivität des Dollars als internationaler Leitwährung für private Investoren.
Szenarien für die Zukunft der Dollar-Dominanz
Zwar ist die Dominanz des Dollars als internationale Leitwährung keinesfalls von Natur aus gegeben, aber sie ist seit einem knappen Jahrhundert aufgrund verschiedener politischer und ökonomischer Faktoren gewachsen. Sie bildet heute das Rückgrat des globalisierten Welthandels- und -finanzsystems. Wenn wir uns fragen, ob der Dollar auch zukünftig dominierend bleiben wird und ob Alternativen wie etwa eine BRICS-Währung eine realistische Chance haben, die Dollar-Dominanz einzuhegen, kommt es darauf an, ob die strukturellen Gründe für die Dollar-Dominanz fortbestehen. Darauf aufbauend lassen sich unterschiedliche Szenarien entwerfen.
Szenario eins: Der Dollar bleibt Weltwährung
Das erste Szenario ist das Fortbestehen der aktuellen Dollar-Dominanz. Solange das Handels- und Finanzsystem weiterhin globalisiert bleibt, gibt es starken Druck, weiterhin eine internationale Leitwährung für internationale Märkte zu nutzen sowie durch Kreditgeldschöpfung weltweit kreieren zu können. Andere Währungen, etwa der Euro oder der Renminbi, würden wie bereits heute in der Nachbarschaft der Eurozone und Chinas grenzüberschreitend zum Einsatz kommen. Auf globaler Ebene würden sie aber nicht annähernd eine zum Dollar vergleichbare Rolle als internationale Währung einnehmen.
Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass dies das wahrscheinlichste Szenario ist. In einer zunehmend unsicheren und komplexen Welt hat die Dollar-Dominanz nicht ab-, sondern zugenommen. Der sicherste Hafen bleibt weiter die USA, insbesondere durch die FED, die in den Finanzkrisen seit den 2000ern immer wieder ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat.
Szenario zwei: Konkurrierende Währungsblöcke
Im zweiten Szenario entwickeln sich mehrere konkurrierende Währungsblöcke. Neben dem Dollar-Block könnte dies ein Renminbi-Block sein, der sich als Gegengewicht zur monetären Hegemonie der USA positioniert. Möglicherweise könnte sich auch der Euro-Raum unabhängiger vom Dollar machen und als eigenständiger Block etablieren. Das globale Handels- und Produktionssystem würde sich dann stärker regionalisieren. Dafür gibt es Tendenzen seit der Corona-Pandemie und dem russischen Krieg in der Ukraine – Stichwort friendshoring. Doch ob hieraus tatsächlich strukturelle Veränderungen folgen, scheint nach heutigem Stand eher fraglich.
Die Bemühungen der BRICS sind eine klare Tendenz hin zu diesem Szenario. Russland hatte bereits nach der Krim-Annexion 2014 eine Phase der De-Dollarisierung ausgerufen. Diese vollzog sich nur schleppend, aber seit den umfassenden Finanzsanktionen und dem Einfrieren der Zentralbankreserven nach dem 24. Februar 2022 hat sich diese Entwicklung beschleunigt. Auch Brasiliens Präsident Lula da Silva möchte den Einfluss des Dollars in seinem Land zurückgedrängt sehen.
Die Position Chinas scheint jedoch ambivalent. Auf der einen Seite strebt China nach einer Ausweitung seines wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einflusses und sieht die USA als Hauptgegner. Passend dazu wäre eine Zurückdrängung der Dollar-Hegemonie und eine Stärkung des Renminbi. Auf der anderen Seite ist China weiterhin fest ins globale Dollarsystem eingebunden. Sein exportgetriebenes Wachstumsmodell baut auf Nachfrage aus den USA als integralen Bestandteil. Während sich zur Zeit die Anzeichen für eine finanzielle Überhitzung mehren, wäre ein Herausbrechen aus dem Dollarraum in hohem Maße schädigend für die eigene Wirtschaft.
Tektonische Verschiebungen im internationalen Währungs- und Finanzsystem sind nur zu erwarten, wenn es einen großen Crash des existierenden Systems gibt. Es ist unwahrscheinlich, dass eine grundlegende Loslösung vom US-Dollar durch Konkurrenz von außen kommt; wenn, dann durch einen Kollaps im Inneren. Erst wenn die FED nicht mehr in der Lage sein sollte, die globale Dollarnutzung zu stabilisieren und zu garantieren, steht ein fundamentaler Wandel zu erwarten.
Szenario drei: Föderalisierung der internationalen Währungsbeziehungen
Sollte es zu einem solchen Crash kommen, wäre ein drittes (Extrem-) Szenario die Föderalisierung der internationalen Währungsbeziehungen. Dieses Szenario könnte beinhalten, dass sich eine kritische Masse an Staaten darauf einigt, eine internationale Organisation mit der Herausgabe einer internationalen Währung zu beauftragen.
Zwar ist die Aussicht auf eine solche politische Einigung nahezu utopisch, eine passende internationale Organisation dafür gäbe es aber bereits. Es ist nicht der Internationale Währungsfonds (IWF), sondern die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Der IWF hat zwar Sonderziehungsrechte, aber diese sind keine eigene Weltwährung, auch wenn sie manchmal zu Unrecht als eine solche interpretiert werden. Die BIZ ist eine Bank und kann somit auch selbst Geld schöpfen.
Szenario vier: Zusammenbruch des internationalen Währungssystems
Ein viertes Szenario wäre der zumindest temporäre Zusammenbruch des internationalen Währungssystems nach dem Wegfall der Federal Reserve und ihrer Stabilisierungsfunktion. In diesem Fall könnte nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Währungen ineinander konvertibel sind und dass globaler Handel weiterhin möglich ist, so wie wir es heute gewohnt sind. Nach einem großen Crash könnte sich ein Zeitfenster bieten, in dem sich eine grundlegende Alternative zum US-Dollar durchsetzt – sei es wieder eine andere nationale Währung wie der Renminbi oder das Zahlungsmittel einer neuen Währungsunion, etwa der BRICS.
Die Gründe für die heutige Dollar-Dominanz sind historisch bedingt und über einen langen Zeitraum gewachsen. Die internationale Nutzung des Dollars hat einen starken Netzwerk-Effekt: Da alle anderen den US-Dollar als internationale Währung benutzen, sind Alternativen unpraktisch und haben kaum Chancen, sich durchzusetzen. Erst durch Instabilitäten im Inneren des Systems würde sich Raum für Alternativen öffnen ‒ wie etwa in den 1930er Jahren, als die Ära des britischen Pfunds als internationale Leitwährung zu Ende ging und der Dollar begann, zu seinem Nachfolger zu werden.
Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal.