Alle wollen die AfD schwächen – doch was, wenn sie sich verändert?
In Berlin wird fieberhaft nach Wegen gesucht, die AfD kleinzuhalten. Übersehen wird, dass in der Partei selbst ein Machtkampf tobt. Dessen Ausgang könnte über ihre künftige Rolle im deutschen Parteiensystem entscheiden.
Spätestens seitdem die AfD in bundesweiten Umfragen die Union überholt hat, kreist die Berliner Politik um eine einzige Frage: Wie schwächt man die AfD? Die Vorschläge reichen von einem möglichen Parteiverbot über eine restriktivere Migrations- und Rechts- und Ordnungspolitik bis hin zu Minderheitsregierungen oder sozialliberalen Kurskorrekturen. Währenddessen wird der AfD in vielen Leitmedien vorgeworfen, ein verlängertes Sprachrohr Moskaus oder Washingtons zu sein – je nach Lesart als Werkzeug Putins oder Trumps.
Was bei dem bisweilen verzweifelt anmutenden Umgang mit der AfD weitgehend übersehen wird, ist die innere Dynamik der Partei selbst. Wer die AfD schwächen will, darf sie nicht nur von außen betrachten, sondern muss ihren inneren Machtkampf und mitsamt ihren politischen Strömungen ernst nehmen.
Die Fiktion der zwei Lager
Das gängige Deutungsmuster beschreibt zwei konkurrierende Flügel: den wirtschaftsliberalen Westflügel um Alice Weidel und den nationalistischen Ostflügel um Björn Höcke. Doch diese Dichotomie greift zu kurz.
Tatsächlich besteht zwischen beiden eine funktionale Allianz. Das nationalistische Lager Höckes dient dem libertären Flügel Weidels als Schutzwall – als lautstarker, polarisierender Akteur, der die Partei nach außen hin radikalisiert, und die wirtschaftsliberale Führung vor ihren tatsächlichen Gegnern schützt.
Die eigentliche Herausforderung für dieses Bündnis kommt aus einer dritten Richtung – einem aufstrebenden Lager um Maximilian Krah und den Landesvorsitzenden der AfD Nordrhein-Westfalen Martin Vincentz. Diese Gruppe steht für eine alternative strategische Vision, die sich grundlegend sowohl von der Weidels als auch Höckes unterscheidet: Sie will die AfD in ein multiethnisches Bündnis aller deutschen Staatsbürger verwandeln, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen.
Krah, Vincentz oder auch der Landesvorsitzende von Niedersachsen Ansgar Schledde glauben, dass die AfD die 30-Prozent-Marke überschreiten und zu einer bundesweiten Volkspartei werden könne, wenn sie Deutsche unterschiedlicher ethnischer Herkunft für sich gewinnt.
Der neue Nationalismus der Dritten
Das neue Lager will nicht auf einen Kulturkampf um die Volkszugehörigkeit setzen, sondern auf staatsbürgerliche Zugehörigkeit. Krahs ökonomischer Ansatz hingegen könnte als rechtskeynesianisch beschrieben werden: eine Reform des Euro, weniger Lohndruck durch eine striktere Regulierung der Arbeitsmigration, eine aktivere Rolle des Staates, gezielte Investitionen, Stärkung der Binnenwirtschaft und eine steuerliche Entlastung niedriger Einkommen.
Krah argumentiert, Deutschland müsse sich von seinem implodierenden Modell des Exportismus lösen und sich wieder stärker auf den heimischen Markt konzentrieren. Niedrige Löhne, hohe Energiepreise und ein überregulierter Binnenmarkt schwächten die Volkswirtschaft ebenso wie die Abhängigkeit vom Ausland: „Wir können Deutschland nicht in Gang setzen, wenn die Leute immer weniger Geld in der Tasche haben“, sagt Krah. Er befürwortet staatliche Investitionen in zivile Infrastruktur und lobt Karl Schillers antizyklische Wirtschaftspolitik aus den 1960er und frühen 1970er Jahren.
„Rechts“ ist für Krah, folgt man den Ausführungen seines Buches Politik von rechts: Ein Manifest, vor allem ein kulturpolitischer Ansatz, der sich gegen die in den Geisteswissenschaften verbreitete dekonstruktivistische Tendenz richtet, Normen und Werte grundsätzlich zu hinterfragen. Begriffe wie Identität, Natur und Tradition sollen eine Orientierung geben – als Versuch, wieder Sinn in einer Zeit kultureller Auflösung zu stiften.
Parallelen zur Republikanischen Partei
Die derzeitige Dynamik innerhalb der AfD erinnert an die Entwicklung innerhalb der Republikanischen Partei in den Jahren vor dem politischen Aufstieg Donald Trumps. Damals versuchten libertäre Milliardäre, den Protest der Tea Party gegen Obama in eine Bewegung für radikale Marktpolitik zu kanalisieren. Doch der Versuch scheiterte – die Basis verdrängte unter Trump und Steve Bannon die Koch-Brüder und verwandelte die Partei in eine populistisch-nationalökonomische Bewegung: MAGA.
Auch in der AfD wird die libertäre Parteielite zunehmend von Kräften bedrängt, die Kritik an der Konzentration wirtschaftlicher Macht mit „staatsbürgerlichem Patriotismus“ verbinden wollen. Weidel und ihre Verbündeten – etwa Beatrix von Storch oder Tino Chrupalla – reagieren darauf mit einer doppelten Strategie: Sie dulden Höckes extreme Provokationen, weil sie die Mobilisierung von migrantischen Wählermilieus durch das Krah-Lager erschweren, und bekämpfen zugleich jene, die die Programmatik der Partei substanziell verändern wollen.
Die Weidel-Linie: kontrollierter Radikalismus
Nicht nur trat Weidel mehrfach in Höckes Umfeld auf – ein Signal parteiinterner Koalitionsdisziplin –, der Bundesvorstand mischt sich auch in die internen Angelegenheiten des NRW-Landesverbands ein. Seit einigen Monaten arbeitet die dortige Landesführung unter Vincentz daran, den Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich aufgrund seiner verfassungsfeindlichen Positionen aus den Reihen des Landesverbands auszuschließen. Weidel und Chrupalla aber stellen sich hinter Helferich und unterstützen sogar seine Bemühungen, Vincentz zu stürzen.
So bleibt der offen ethnonationalistische Flügel unantastbar. Parteiausschlüsse gegen Höcke-nahe Funktionäre sind selten, offene Debatten über Rassismus oder Antisemitismus werden vermieden. Das libertäre „Zentrum“ nutzt den Radikalismus der Peripherie als Puffer. Solange die öffentliche Aufmerksamkeit auf Höckes Provokationen und seine verfassungsfeindliche Auslegung von „Remigration“ gerichtet ist, bleibt die ökonomische und organisatorische Macht der Parteiführung unangefochten.
Besonders sichtbar wurde das bei der Auseinandersetzung mit Maximilian Krah. Nach einer umstrittenen Äußerung zur Waffen-SS nutzte die Parteispitze die Gelegenheit, ihn vom Bundesvorstand sowie der Spitze der AfD-Fraktion im EU-Parlament zu entfernen – und ersetzte ihn durch René Aust, einen Höcke-Vertrauten.
Das unerkannte Risiko einer Krah-AfD
Sollte die Partei tatsächlich geschwächt werden, droht das fragile Machtgefüge aber zu kippen. Die wackelige Legitimation der derzeitigen – ohnehin wenig charismatischen – Führung könnte dem Lager des staatsbürgerlichen Nationalismus um die wesentlich geschmeidigeren Krah und Vincentz den Weg an die Parteispitze ebnen.
Eine auf diese Weise neu ausgerichtete AfD wäre – insbesondere für die CDU und die SPD – politisch ungleich gefährlicher, weil sie ein breiteres Wählersegment anspräche, als sie es bisher vermag. Die grundlegenden Annahmen, die dem Kampf gegen die AfD zugrunde liegen, verkennen einen entscheidenden Punkt: Der Erfolg dieser Partei wird nicht allein von außen begrenzt, sondern auch von innen geformt.