Sparen, verschulden oder mit Steuern steuern?
Steuern sind das arteigene Finanzierungsmittel des Staates. Es ist prinzipiell durch nichts zu ersetzen. Die keynesianischen Ausnahmen bestätigen diese Regel nur.
„Kann es sein, dass der Kampf um Steuern – um Verteilung unter den Bedingungen zunehmend schrumpfenden Wachstums zu organisieren – sozusagen die Front der Zukunft ist? Und heißt das, dass es heute nicht mehr um den Kampf Klasse gegen Klasse geht, sondern um Demokratie gegen Kapital?“
Diese Fragen hatte Matthias Greffrath scharfsinnig in den Raum gestellt, als er am 27. November 2014 eine Debatte mit Thomas Piketty, Susan Neiman, Hans-Jürgen Urban und Joseph Vogl im Berliner Haus der Kulturen der Welt moderierte.[1]
Zuvor hatte der französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, damals auf dem Höhepunkt seines öffentlichen Ansehens, im Rahmen der ersten „Democracy Lecture“ der Blätter einen Vortrag mit dem Titel „Das Ende des Kapitalismus im 21. Jahrhundert?“ gehalten.[2] Der ungeheure Andrang von rund 2500 Interessierten habe alle Erwartungen übertroffen, hieß es von Seiten des Veranstalters.
Weder die Diskutierenden noch Matthias Greffrath selbst hatten die beiden Fragen allerdings beantwortet, damals nicht und danach wohl auch nicht mehr. Bis zum heutigen Tag haben die Fragen durchweg wohl nicht jene Beachtung gefunden, die sie verdient haben.
Aktuell zeigt sich ihre weit unterschätzte Bedeutung am Fall der Ampel-Regierung, die letztlich an Geldmangel gescheitert ist, und ihrer Nachfolgerin aus Union und SPD, die sich, um nicht alsbald dasselbe Schicksal zu erleiden, gezwungen sah, sich einen Mega-Kredit über 1.000 Milliarden Euro plus X für unbegrenzte Militärausgaben genehmigen zu lassen.
Dabei war die neue Regierung sogar noch nicht einmal gewählt worden, und die krediterlaubenden, bereits abgewählten Parlamentarier hatten offensichtlich vergessen, dass ihre Finanzbeschlüsse gegen EU-Regelungen verstoßen, die pikanterweise auf deutschen Wunsch hin ein Jahr zuvor eigens geschärft worden waren.
Die bislang unbekannte, zudem unbegrenzte Neuverschuldung ruft Greffraths Fragen wieder in Erinnerung: Kann es sein, dass der Kampf um Steuern die Front der Gegenwart darstellt? Dass es dabei um den Kampf von Demokratie gegen Wirtschaftsinteressen geht? Dass sich existenzielle sozio-ökonomische und sozio-ökologische Probleme in der Frage bündeln, in welchem Umfang staatlicher Mittel benötigt werden und wie sie zu beschaffen sind – durch Steuern, Einsparungen oder Verschuldung?
Die Antwort auf alle drei Fragen lautet, in der hier gebotenen Kürze zusammengefasst: Ja.
Die Begründung ist, den drei Möglichkeiten entsprechend (sparen, verschulden oder mit Steuern steuern), dreistufig und lautet wie folgt.
a) Sparhaushalte sind zwar beliebt, aber ganz schlecht
Denn sie verhindern notwendige staatliche Investitionen namentlich in die organisatorische, wissenschaftliche, technologische und soziale Infrastruktur. Außerdem behindern sie ökologisch notwendige Anpassungen und Veränderungen. Damit beschneiden Sparhaushalte die Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen und der Gesellschaft. Stattdessen verschärfen sie Missstände und Konflikte: Wer nicht investiert, verliert – am Ende gar die Demokratie.
Anschauungsmaterial dafür gibt es genug. Ohne auskömmliche, seinen Aufgaben entsprechende Einnahmen muss der Staat langsam, aber sicher vor seinen Aufgaben – den ständig neu hinzukommenden wie den alten, bereits vorhandenen – kapitulieren. Da das Auseinanderdriften von staatlichen Aufgaben und Einnahmen langsam voranschreitet, bleibt es anfangs unbemerkt. Wenn es aber dann doch bemerkt wird, schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit des Staates zur Lösung ihrer Probleme – anfangs langsam, mit der Zeit schneller. Dann wird es ernst. Politische Reden helfen nicht mehr; das Vertrauen in den Staat wird im Alltagsleben erzeugt sowie ebendort zerstört.
Laut einer Forsa-Umfrage im März 2025 spricht die Mehrheit der Befragten keiner der etablierten Parteien mehr die Fähigkeit zu, die anstehenden Probleme zu lösen.[3] Immer mehr driften ab zu den Rändern des politischen Spektrums.
Trotzdem waren und bleiben Sparhaushalte bei Politikern nahezu jeglicher Couleur beliebt. Sparhaushalte nämlich befreien sie, die dem ständigen Wählervotum unterworfen sind, von der Aufgabe, Wähler sach- und leistungsfähigkeitsgerecht zu besteuern und/oder neue Staatsschulden aufzunehmen. Beides ist, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, unpopulär und kann ihre (Wieder-)Wahl gefährden.
Seit Helmut Kohls Kanzlerschaft lebt Deutschland von der Substanz – darin sind sich alle einig, die sich mit der Materie beschäftigen (namentlich: Clemens Fuest als Leiter des Ifo-Instituts, via Marcel Fratzscher als Leiter des DIW, Michael Hüther vom arbeitgeberfinanzierten IW, Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen IMK sowie Friedhelm Hengsbach vom Nell-Breuning-Institut der katholischen Kirche (er übrigens schon sehr frühzeitig[4]).
Dass mittlerweile der Punkt erreicht ist, an dem es mit der Sparpolitik nicht mehr weitergeht, hatte die Ampel-Regierung hautnah erfahren müssen, als sie mit der gleichsam pathologisch steuerfeindlichen FDP an Bord letztlich an Geldmangel zerbrach. Ihre Nachfolgerin aus Union und SPD „hat verstanden“: Wenn Sparpolitik am Ende ist und Steuern weiterhin tabu bleiben sollen, wird Verschuldung unumgänglich. Mithin hat sogar diejenige Partei diese Lehre gezogen, die bislang in der schwarzen Haushalts-Null ein wesentliches Element ihres eh schon arg geschrumpften Markenkerns gesehen hatte: Die CDU/CSU.
Fazit: Sparhaushalte sind ganz schlecht; sie verhindern notwendige Investitionen, führen selber in die Verschuldung, fördern Staatverdruss und gefährden damit letztlich nichts weniger als die Demokratie. Sie sind auf Dauer nicht durchzuhalten: Kein Geld ist eben auch keine Lösung.
b) Die Einheit aus Verschulden und Investieren ist besser, aber nicht gut
Staatsverschuldung macht es möglich, einen erheblichen Teil des Investitionsstaus aufzulösen. Sie ist also besser als reines Sparen. Aber der Preis, der für diese Leistung zu zahlen ist, ist immens. Deshalb ist Staatsverschuldung nicht gut. Sie ist nur besser als ganz schlecht. Also schlecht.
Schulden nämlich begründen Zins- und Tilgungslasten sowie politische Abhängigkeiten. „Allein die USA, der größte Schuldner der Welt, haben ihre Schulden seit dem Jahr 2000 mehr als verdreifacht und mussten im vergangenen Jahr über eine Billion Dollar an Zinsen zahlen“; warnt The Pioneer.[5] Die Zinsen verschlingen bald ein Drittel des Staatshaushaltes. Getilgt werden Staatskredite niemals. Sondern sie werden gegebenenfalls durch Wirtschaftswachstum relativiert sowie bei Fälligkeit durch neue Kredite abgelöst. Die Vorstellung, der Staat werde sich seiner Kredite wieder entledigen, ist „eine Laienidee“, sagt der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger.[6] Regierungen kann man abwählen. Schulden nicht.
Staatliche Zinslasten stellen also säkulare Größen, Ewigkeitswerte dar und garantieren eine unablässige, geräuschlose Umverteilung mit einer gefährlichen Ausrichtung: weg von den vielen Schuldnern der Staatskredite, also weg von den Staatsbürgern, den gegenwärtigen und den zukünftigen, hin zu den wenigen Kreditgebern, also hin zu den vermögenden Anlegern und ihren Erben gleich welchen Geschlechts.[7]
Insoweit ist Staatsverschuldung ein wirksames, lautlos im Hintergrund wirkendes, ewig währendes Instrument zur weiteren sozialen Spaltung der Gesellschaft: „Ungeachtet der Krisen wachsen die größten Privatvermögen in Deutschland stetig an, während die Vermögensverteilung hierzulande extrem ungleich ist.“[8] Führend in dieser Entwicklung: die USA, das reichste Land der Erde, gleichwohl hoch verschuldet und extrem gespalten; unfähig, allen Bürgern Nahrung, Unterkunft und ärztliche Versorgung zu sichern.
Noch einschneidender ist jedoch der politische Preis, den Staatsverschuldung verlangt. Nicht nur, dass man Schulden nicht abwählen kann. Die Schulden erweisen sich gar als die Überlegenen; sie vermögen ganze Regierungen zu Fall zu bringen. Kreditgeber nämlich können dringend benötigte Kredite durchaus auch zurückhalten oder nur zu neuen, von ihnen zu bestimmenden Bedingungen gewähren: „Die Macht, Kredite zurückzuhalten, wird zur Macht, ein Land dazu zu zwingen, de facto seine wirtschaftspolitische Souveränität abzugeben“, bringt es Joseph Stiglitz auf den Punkt[9]. Damit gefährdet Staatsverschuldung nichts weniger als den Primat der Politik, sprich: die Demokratie.
Diese Feststellung gilt paradoxerweise sogar bei öffentlichen Kreditgebern. Griechenland hat dafür in jüngster Zeit bestes Anschauungsmaterial geliefert. Seit Beginn der Unterstützung Griechenlands durch EU-Bürgschaften im Gefolge der Finanzkrise von 2009 hat dort nicht nur die Regierung regiert, sondern auch die Troika: „Die Delegationen von IWF, EZB und Kommission haben regelmäßig die Gesetzentwürfe der Regierung geprüft und abgeändert, haben Nachbesserungen im Text oder bei der Implementierung verlangt und wurden so zu einer Art Über-Regierung Griechenlands. Dies führte zur absurden Situation, dass (ungewählte) Beamte (gewählten) griechischen Ministern en Detail vorschrieben, wie Gesetze auszusehen hätten und welche Regelungen akzeptabel seien“, konstatierte Christos Katsioulis [10].
Ende 2017 schickten die Kreditgeber neue Anweisungen nach Athen: ein Gesamtpaket von 1500 Seiten mit 400 Gesetzesänderungen in den Bereichen Steuern, Arbeit und Energie, darunter die zwölfte Rentenkürzung seit 2010. Egal, wen die Griechen in die Regierung wählen: Sie werden es ausführen (müssen). Tatsächlich gelang es den drei „Institutionen“ auf diese Weise, die eskalierende Entwicklung wieder einzufangen und in Bahnen zu lenken, die ihnen genehm erschienen. Seitdem ist Ruhe eingekehrt in Hellas.
Aber es ist die trügerische Ruhe der temporären Resignation. Denn unter der Oberfläche schwelt es weiter, und es sind unvorhersehbare Ereignisse, an denen sich wieder offenes Feuer entzündet. Ende Februar meldete die Presse: „Hunderte Demonstrationen haben Griechenland zum Erliegen gebracht. (…) Demonstrationen an mehr als 200 Orten. (…) Autonome werfen Brandsätze, Polizei reagiert mit Tränengas, ein zunächst friedlicher Protest ist eskaliert.“[11]
Auslöser der ausufernden Gewalt war ein Zugunglück im Norden des Landes. Der Grund aber liegt anderswo: siehe oben. Auch in Deutschland gibt es Zugunglücke, beispielsweise in Bayern.[12]. Aber Randale in Berlin und bundesweit, weil irgendwo in Bayern ein Zug entgleist ist? Ausgeschlossen! Zurzeit jedenfalls. Diese Feststellung gilt sogar für den Einsturz der Carola-Brücke in der Dresdner Innenstadt, just nachdem die letzte Straßenbahn des Tages sie passiert hatte.
Ergebnis: Staatsverschuldung löst Probleme, wenn überhaupt, so nur kurzfristig.[13] Langfristig schafft sie gefährliche ökonomische und politische Abhängigkeiten, im Extremfall verwandelt sie den Staat in eine Schuldenkolonie. So lautet die Regel; die klassisch-keynesianischen, konjunkturpolitisch begründeten Ausnahmen, in denen staatliche Verschuldung hilfreich, folglich geboten ist, bestätigen die Regel. Allerdings – und das ist der Fehler – verklären keynesianisch beeinflusste Ökonomen regelmäßig die Ausnahmen zur Regel.[14]
Stattdessen gilt es festzuhalten: Staaten erwirtschaften grundsätzlich keine Gewinne aus aufgenommenen Krediten; sie kalkulieren nach eigenen, eigenartigen Regeln, anders als die Privatwirtschaft.[15] Demgemäß bedeutet „wirtschaftlich“ beim Staat lediglich „kostenbewusst“, „kostenminimierend“, „effizient“, „mit bestmöglichem Preis-/Leistungsverhältnis“, also gerade nicht „rentierlich“, „profitabel“, „gewinnmaximierend“ wie in der unternehmerischen Alltagspraxis.
Seine Schulden kann der Staat jedoch auch nicht mehr dauerhaft beiläufig aus Wachstum finanzieren, kann sie nicht mal mehr auf diese Weise relativieren, wie es den (Links-, Neo- oder Öko-)Keynesianern vorschwebt. Schulden um des Wachstums willen, alsdann Wachstum um der Schulden willen ist zu einem klassischen circulus vitiosus geworden, vulgo: zu einem Teufelskreis. Wachstum nämlich ist nicht nur ökologisch zum absoluten Unding geworden. Sondern es ist auch rein ökonomisch entrückt: Klimawandel und Artensterben haben dem Wachstum, als sozioökonomisches Allheilmittel – ohnehin erst im Zuge der industriellen Revolution ab 1760 endemisch geworden – inzwischen derart zugesetzt, dass das Allheilmittel selber vom Aussterben bedroht ist. Das ist die „Zeitenwende“ (und zwar die durchschlagende, entscheidende).
Matthias Greffrath hatte dies übrigens bereits auf der eingangs erwähnten Democracy lecture der Blätter vor elf Jahren angesprochen: An „der Front der Zukunft“, beim „Kampf um Steuern“, gehe es darum, „Verteilung unter den Bedingungen zunehmend schrumpfenden Wachstums zu organisieren“, heißt es in seinem Eingangszitat. An hochprogressiver Besteuerung von Vermögen und Einkommen, Erbschaften und Schenkungen führt kein Weg vorbei. Auch raffinierte Verschuldungstechniken à la Inflation Reduction Act führen hier nicht weiter – ein befriedigender „Wohlstand für alle“, um an Ludwig Erhard zu erinnern, lässt sich nicht herbeifinanzieren.
Die USA bieten dafür bestes Anschauungsmaterial. Trotz ständig wachsender Wirtschaftskraft gelingt es nicht, der eigenen Bevölkerung das Nötigste zu verschaffen – eine bezahlbare Wohnung, Ausbildung, Nahrung und ein Gesundheitssystem, das im Unglücksfall nicht in den finanziellen Ruin führt. Die Reichen verteilen die Früchte des Wachstums unter sich. Wachsende soziale und politische Spannungen sind die unausweichliche Folge.
Trotz dieser Lage der Dinge bleibt Staatsverschuldung bei Politikern nahezu jeglicher Couleur sowie bei den vermögenden Kreditgebern weiterhin beliebt, und zwar aus denselben Gründen wie denen, die bereits im vorangegangenen Abschnitt a) dargelegt worden sind. Jüngster Beweis: Die neue SchuKo aus Union und SPD, also die neue Schuldenkoalition (von einer GroKo kann angesichts eines Stimmanteils von 45 Prozent keine Rede mehr sein). Eine SchuKo ist, wie gesagt, besser als die vorangegangene SpaKo, die Sparkoalition aus SPD, Grünen und der pathologisch steuerfeindlich gesonnenen FDP. Aber sie ist nicht gut. Sondern schlecht.
c) Investitionen aus sach- und leistungsfähigkeitsgerechten Steuern sind die beste Wahl
Nur ein steuerlich auskömmlich ausgestatteter Staat ist in der Lage, die gesellschaftliche Entwicklung in ihrer ständig wachsenden Komplexität gemeinwohlorientiert zu steuern. Die Feststellung des 32. Präsidenten der USA, des für seine Aphorismen berühmten Franklin D. Roosevelt, hat daher nicht an Aktualität verloren: „Steuern sind der Preis, den wir für eine zivilisierte Gesellschaft zahlen müssen.“
Wir können nicht beides zugleich haben – Demokratie und extreme Vermögenskonzentration, eine sozial ausgewogene, entspannte Gesellschaft und einen armen, verschuldeten, fremdgesteuerten Staat, können nicht progressive ökonomisch-ökologische Entwicklung und zugleich ein unzureichendes Steuersystem haben, obendrein in sozialer Schieflage.
Roosevelt hatte daher hohe, progressive Steuern mit Spitzensätzen von 94 Prozent durchgesetzt, und Thomas Piketty hatte diesen immer wieder in die Vergessenheit beförderten Sachverhalt dankenswerterweise in Erinnerung gerufen. Mit dem Spitzensatz der Einkommensteuer in den USA beginnend, führt Piketty aus: „1942 lässt der Victory Tax Act den Spitzensatz auf 88 Prozent hochschnellen, ein Niveau, das durch verschiedene Steuerzuschläge 1944 auf 94 Prozent steigt. In der Folge stabilisiert sich der Steuersatz bis Mitte der 1960er Jahre bei 90 Prozent, danach bei 70 Prozent bis zur Mitte der 1980er Jahre. Insgesamt liegt zwischen 1932 und 1980, also fast ein halbes Jahrhundert lang, der Spitzensatz der bundesweiten Einkommensteuer in den Vereinigten Staaten durchschnittlich bei 81 Prozent.“ Frankreich und Deutschland „haben seit den 1940er Jahren Spitzensätze, die im Allgemeinen zwischen 50 Prozent und 70 Prozent liegen.“ Großbritannien meldet sogar die höchsten Sätze überhaupt: „98 Prozent während der 40er Jahre, sodann wieder während der 70er Jahre.“[16]
Mit genau dieser Steuerpolitik hatte Roosevelt eine einzigartige Phase langanhaltenden, dynamischen Wirtschaftswachstums in den USA eingeleitet. Frankreich, Großbritannien, die Bundesrepublik und andere europäische Staaten hatten es ihm jahrzehntelang nachgemacht und die sozioökonomische Entwicklung in den jeweiligen Staaten mit Hilfe auskömmlicher, progressiver Steuern recht erfolgreich gesteuert. Also nicht trotz hoch-progressiver Steuern auf Einkommen und Vermögen, Erbschaften und Schenkungen, sondern mit ihrer Hilfe: nicht trotz also, sondern wegen.
Die nachfolgende, neoliberale Politik hatte dagegen die fortschreitende steuerliche Entlastung von Unternehmen und Vermögenden besorgt. Damit hat sie Finanz-„Investitionen“ angeregt sowie, ab 1980, die Herausbildung einer eigenen Finanz-„Industrie“ einschließlich der dazugehörigen Finanzmärkte; den sparbesessenen, zunehmend verschuldeten Staat hat sie systematisch in die Hände der vermögenden Gläubiger getrieben.
So gesehen, ist austeritäre Sparpolitik sogar nur unzureichend als ein Sparen und Verschulden zu begreifen. Tatsächlich handelt es sich um ein Sparen zum Verschulden; die beiden bedingen einander, bilden ein Team und arbeiten intim daran, den Staat in die wirtschaftliche Abhängigkeit zu treiben. Deutschland hatten sie am 4. März 2025 so weit gebracht: Der noch gar nicht gewählte, alsbaldige Kanzler Merz sah sich gezwungen, entgegen allen vorherigen Wahlversprechen und EU-Regelungen die neue XXL-Verschuldung über 1.000 Milliarden Euro plus X zu verkünden.
Deshalb zusammenfassend im Geiste Hamlets: To tax or not to tax that is the question/Steuern oder nicht steuern, das ist die Frage. Dasselbe prosaisch: Das Steuersystem „bleibt das zentrale Werkzeug für mehr Gerechtigkeit und eine zukunftsfähige Wirtschaft.“ So Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit .[17]
Steuerbasiertes Steuern in Zeiten der Umwelt- und Klimakrise
Mit Steuern beidseitig steuern, zugleich auf der Auf- bzw. Ausgabenseite und auf der Seite der Einnahmen – sprich: wofür geben, von wem nehmen? –, das ist die zentrale Herausforderung, ist „die Front“ der Gegenwart, um ein letztes Mal auf Greffraths Eingangsformulierung zurückzukommen. Nicht die Schuldenbremse, die Steuerbremse bildet das umfassende Hindernis für sozialen und demokratischen, ökonomischen und ökologischen Fortschritt.[18]
Steuern nämlich sind ein unverzichtbarer Transformator zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen. Der Wandel der Umwelt und des Klimas unterstreicht diese Aussage dramatisch. Steuern sind eine unverzichtbare, gesellschaftliche Form für jene individuellen Verzichte und Verluste im gemeinschaftlichen Interesse, an denen es so dringend fehlt, obwohl ihre Unumgänglichkeit inzwischen jeder spürt, der nicht mit Scheuklappen durch die Welt stolziert. Dabei gilt auch hier: Verzicht ist nicht alles. Aber ohne Verzicht geht es nicht. Unzureichende Verzichte potenzieren die Verluste.
Die lange Phase, in der Wachstum gezielte, sozialverträgliche Verteilung ersetzt hat, ist gerade auch unter der ökologischen Entwicklung der letzten Jahre unwiderruflich zu Ende gegangen. Jetzt muss gezielte, sozialverträgliche Verteilung Wachstum ersetzen. Das ist „die Zeitenwende“, und zwar die entscheidende, wie gesagt. Der Versuch, sozialverträgliche Verteilung durch Verschuldung zu ersetzen, ist dysfunktional und gefährdet die Demokratie. Nicht von ungefähr ist eine auffällige Korrelation zwischen hoher Staatsverschuldung und erstarkten rechten bzw. rechtspopulistischen Parteien zu konstatieren – so zum Beispiel in den USA, in Frankreich, in Italien, jetzt auch in Deutschland.[19]
Mit Steuern steuern: In ihrer Doppelseitigkeit des Wofür-Ausgebens und des Von-wem-Einnehmens stellen Steuern den wohl derzeit leistungsfähigsten Transformator zwischen gesellschaftlichen und individuellen Interessen dar; die Einsicht in unumgänglich gewordene Notwendigkeiten kann ohne die beidseitige Steuerung weder entstehen noch umgesetzt werden. Denn dabei ist die mehrheitliche Überzeugung unverzichtbar, dass Kosten und Leistungen gerecht verteilt und die ersteuerten Mittel wirkungsvoll eingesetzt werden, dass es also gerecht zugeht und ökonomisch.
Steuern sind das arteigene Finanzierungsmittel des Staates. Es ist prinzipiell durch nichts zu ersetzen. Die keynesianischen Ausnahmen bestätigen diese Regel nur.[20]
Der Text beruht auf dem jüngsten Werk des Autors, das unter dem Titel „Staatsfinanzierung: Steuern, sparen oder verschulden?“ im Büchner-Verlag erschienen ist.
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