Makroskop
Energiepolitik

Speicher, Netze, Versorgungssicherheit: Wie der Staat energiepolitisch handeln kann

| 18. November 2025
Martin Adams / Unsplash

Der jahrelange Investitionsstau hat die Schwächen des deutschen Energiesystems offengelegt. Auf schwankende Energieerzeugung ist Deutschland nicht eingestellt. Das treibt die Preise. Wo der Staat nun tätig werden muss.   

Um sich zuverlässig aus erneuerbaren Energien versorgen zu können, braucht es mehr als nur neue Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Ein System auf Basis schwankender Energien funktioniert nur mit Speichern, stabiler Netzlast und garantierter Versorgung. Alles andere wäre technisch riskant und mit massiven Problemen für die Wirtschaft verbunden.

Speicher als Staatsaufgabe

Energiespeicher sind das Herzstück einer stabilen Energieversorgung. Ohne Speicher bleibt Wind- und Solarstrom wetterabhängig und unzuverlässig. Mit Speichern wird erneuerbare Energie zur Grundlastfähigkeit. Aber Speicherbau ist eine Infrastrukturinvestition in Milliardenhöhe – zu groß, zu riskant und zu langfristig für private Investoren. Der Staat ist der einzige Akteur, der die notwendigen Dimensionen bewältigen kann, ohne von Profitzwängen geleitet zu sein.

Deutschland braucht Speicher in allen Zeitdimensionen: Kurzzeitspeicher für Netzstabilisierung, Tagesspeicher für den Ausgleich zwischen Tag und Nacht, Wochenspeicher für Schlechtwetterphasen und Saisonspeicher für den Ausgleich zwischen Sommer und Winter. Nur ein koordinierter Verbund aus unterschiedlichen Technologien kann diese Aufgaben erfüllen. Kein privater Investor kann oder will diese Komplexität bewältigen. Hier braucht es eine öffentliche Speicherstrategie mit klaren Zielen und langfristiger Finanzierung.

Batteriespeicher spielen eine zentrale Rolle für die kurzfristige Netzstabilisierung – etwa in Umspannwerken, Industrieparks oder an Erzeugungsknoten. Sie reagieren in Millisekunden und halten das Netz im Gleichgewicht, sind aber aufgrund begrenzter Kapazitäten kein Ersatz für Langzeitspeicher. Pumpspeicherwerke dagegen sind bewährte Großspeichertechnologien: Sie können große Energiemengen zwischenspeichern und Netzschwankungen auf regionaler Ebene ausgleichen. Da Deutschland hierfür nur begrenztes geologische Potenzial hat, wäre eine Energiepartnerschaft mit den skandinavischen Ländern eine sinnvolle Ergänzung.

Für die mittlere Zeitdimension – also den Ausgleich über mehrere Tage bis Wochen – bieten sich neben Flüssigsalz-Wärmespeichern auch Druckluftspeicher (CAES) als verlässliche Option an. Sie speichern elektrische Energie, indem überschüssiger Strom genutzt wird, um Luft in unterirdische Kavernen oder Druckbehälter zu komprimieren. Bei Bedarf wird die gespeicherte Luft entspannt, erhitzt und über Turbinen wieder verstromt. Neuere Systeme speichern zusätzlich die bei der Kompression entstehende Wärme, wodurch hohe Wirkungsgrade erreicht werden können. Deutschland verfügt über geeignete geologische Formationen, insbesondere in ehemaligen Salzkavernen. In staatlicher Hand betrieben, könnten Druckluftspeicher ein zentrales Element einer öffentlichen Energiespeicherarchitektur werden – robust, wasserstofffrei und ideal für den mehrtägigen Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch.

Ebenso zentral sind Wasserstoff-Speicher, die die saisonale Dimension der Energiewende abbilden. Die Umrüstung ehemaliger Gasspeicher-Kavernen zu Wasserstoff-Speichern könnte Deutschland Speicherkapazitäten für mehrere Monate sichern – ein strategischer Puffer für Versorgungssicherheit, Industrie und Netzstabilität. Doch diese Infrastruktur ist zu bedeutend, um sie privaten Interessen zu überlassen. Neben Wasserstoff sollten auch alternative Speichertechnologien gezielt entwickelt und öffentlich gefördert werden.

Thermochemische Speicher, die Wärme in reversiblen chemischen Reaktionen binden, ermöglichen nahezu verlustfreie Speicherung über Monate hinweg – unabhängig von Gas- oder Wasserstoffinfrastruktur. Auch geologische Wärmespeicher in Aquiferen oder tiefen Erdschichten bieten enormes Potenzial, um sommerliche Überschüsse in den Winter zu übertragen. Ebenso eröffnen Hochtemperatur-Feststoffspeicher aus Sand oder Keramik neue Perspektiven, um elektrische Energie in industriell nutzbare Wärme zu verwandeln. Solche Systeme sind technologisch ausgereift, nachhaltig und vollständig inländisch umsetzbar – und sie erweitern das strategische Spektrum einer staatlichen Speicherpolitik, die auf Vielfalt, Resilienz und Souveränität setzt.

Ein staatliches Speicher-Programm könnte alle Potenziale systematisch erschließen: Energiepartnerschaften, Batterie-Großspeicher an strategischen Netzknoten, Wärmespeicher an bisherigen Kohlekraftwerks-Standorten, Druckluftspeicher und für saisonale Energiesicherheit Hochtemperatur-Feststoffspeicher, Thermochemische Speicher sowie Wasserstoff-Kavernen für industrielle Verbraucher. Das wäre eine Speicherpolitik, die Versorgungssicherheit als öffentliches Gut begreift und industrielle Entwicklung mit Souveränität verbindet.

Wasserstoff-Infrastruktur: Zu groß für den Markt

Wasserstoff ist der Schlüssel zur industriellen Dekarbonisierung. Ohne Wasserstoff können Stahlwerke, Chemieunternehmen und Zementfabriken nicht klimaneutral werden. Mit Wasserstoff kann Deutschland seine Industrie dekarbonisieren, ohne sie abzuwickeln. Aber Wasserstoff-Infrastruktur erfordert gewaltige Investitionen: Elektrolyseure in Gigawatt-Dimensionen, Pipeline-Netze quer durch Europa, Häfen für Wasserstoff-Import, Speicher für saisonale Bevorratung.

Private Unternehmen experimentieren zwar mit Wasserstoff-Projekten, aber sie denken in Quartalsbilanzen, nicht in Jahrzehnten. Sie bauen Pilotanlagen, nicht Gigawatt-Elektrolyseure. Sie planen regionale Nischenlösungen, nicht europäische Netzwerke. Für die Wasserstoff-Transformation braucht Deutschland eine staatliche Industriepolitik in noch nie dagewesenem Maßstab.

Dabei geht es nicht nur um Größenordnungen, sondern um strategische Kontrolle. Wasserstoff-Infrastruktur wird in zwanzig Jahren so wichtig sein wie Strom- und Gasnetze heute. Wer diese Infrastruktur kontrolliert, bestimmt über Preise, Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit ganzer Industriezweige. Diese Macht darf nicht privaten Monopolisten überlassen werden.

Ein staatliches Wasserstoff-Programm müsste alle Ebenen umfassen: Forschung und Entwicklung für effizientere Elektrolyseure, Bau von Gigawatt-Anlagen an windreichen Standorten, Aufbau eines deutschlandweiten Pipeline-Netzes, Integration in europäische Wasserstoff-Korridore. Finanziert durch öffentliche Investitionen, gesteuert durch demokratische Institutionen, kontrolliert durch gesellschaftliche Transparenz und flankiert von Abnahmegarantien für nachhaltig produzierte Baustoffe (bspw. Stahl oder Zement), um der Wirtschaft die Umstellung ihrer Produktionslinien abzusichern.

Netzausbau: Koordination statt Chaos

Der deutsche Netzausbau ist zum Symbol für das Scheitern fragmentierter Marktorganisation geworden. Seit über einem Jahrzehnt sollen neue Stromtrassen den Windstrom von der Nordsee in die industriellen Zentren Süddeutschlands transportieren. Doch der Bau stockt, die Kosten steigen und wann alles fertig sein soll, weiß niemand genau. Vier privatwirtschaftliche Übertragungsnetzbetreiber, dutzende regionale Versorger, sechzehn Länder und eine Vielzahl von Behörden planen nebeneinanderher. Jeder optimiert für seine Zuständigkeit, keiner für das Gesamtsystem. Die Folge: Verzögerungen, Flickwerk und steigende Netzentgelte.

Dabei ist der Bedarf gewaltig. Allein die geplanten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen – SuedLink, SuedOstLink und A-Nord – umfassen über 5.000 Kilometer Trassen, die Strom verlustarm über lange Strecken leiten sollen. Doch ihr Bau hinkt Jahre hinterher. Parallel dazu müssen die regionalen Verteilnetze, die 98 Prozent der Netzkilometer ausmachen, umfassend modernisiert und digitalisiert werden. Nur mit intelligenten Netzen, regelbaren Transformatoren und automatisierten Steuerungssystemen lässt sich die wetterabhängige Einspeisung aus Wind- und Solarstrom überhaupt stabil integrieren.

Private Netzbetreiber sind für diese Aufgabe strukturell ungeeignet. Sie investieren nur dort, wo sich Investitionen rentieren – doch der Netzausbau ist eine Jahrhundertaufgabe, deren Nutzen sich volkswirtschaftlich, nicht über Renditen bemisst. Langfristige Planung, Reservekapazitäten, und Versorgungssicherheit rechnen sich in keinem Geschäftsbericht, sind aber unverzichtbar für die Energiewende.

Auch hier gilt: Die Netze gehören in öffentliche Hand. Eine zentrale Bundesnetzbau-Behörde mit klaren Kompetenzen könnte Planung, Genehmigung und Bau koordinieren, Standards vereinheitlichen und Verantwortung bündeln.

Der Staat muss wieder zu dem befähigt werden, was er einst konnte: Aktiv die Basis des Wohlstands schaffen: Autobahnen, Wasserstraßen, Kraftwerke, Bahntrassen – all das entstand durch staatliche Initiative. Die Energiewende erfordert dieselbe Entschlossenheit, weil eine florierende Marktwirtschaft funktionierende und moderne öffentliche Infrastrukturen voraussetzt.

In einer hochindustrialisierten Gesellschaft bedeutet ein Energieausfall den Stillstand ganzer Systeme – von Krankenhäusern bis zur Lebensmittelversorgung. Zumal mit der Energiewende die Komplexität zunimmt: schwankende Einspeisung, steigender Strombedarf durch Wärmepumpen und Elektromobilität, neue Abhängigkeiten digitaler Steuerung. Nur der Staat kann diese systemische Stabilität garantieren: mit robusten Netzen, intelligenten Steuerungssystemen, regionalen Speichern und gesicherter Cyber-Infrastruktur. Versorgungssicherheit ist eine Kernaufgabe des Staates.