Makroskop
Rentenvergleich

Stärkung der Rente: Warum ein Blick auf Österreich lohnt

| 19. November 2025
@midjourney

Während Deutschland über ein Absenken des Rentenniveaus streitet, zeigt Österreich, wie ein starkes umlagefinanziertes System funktionieren kann – stabil, fair und nachhaltig.

Ländervergleiche sehen sich schnell mit dem Vorwurf mangelnder Vergleichbarkeit konfrontiert. Bei Österreich (AT) und Deutschland (DE) greift die Kritik nur eingeschränkt. Abgesehen von der weit geringeren Einwohnerzahl (1. Januar 2025: AT 9,2 Millionen; DE 83,5 Millionen) teilen die beiden deutschsprachigen Länder beim Staatsaufbau (föderal), beim Demokratiemodell (parlamentarische Demokratie mit Verhältniswahlrecht) und auch der starken Betonung von Prinzipien der Selbstverwaltung (Kommunen und Sozialversicherungsträger) zahlreiche Gemeinsamkeiten.

Beim Thema Rente kommt die Tradition eines konservativen Sozialstaates hinzu. Er bindet die soziale Sicherung an Arbeit und Berufsstatus (Bismarck-Modell) und nicht universalistisch an den Wohnort (Beveridge-Modell)[1]. Gerade mit Blick auf die konservative Grundausrichtung empfiehlt sich Österreich als interessantes Referenzmodell.

Während die Niederlande und einzelne nordische Länder die Gemeinsamkeit teilen, dass der über Kapitaldeckung organisierte Teil der Alterssicherung (Zusatzrente, Betriebsrente) gegenüber der meist steuerfinanzierten Volksrente inzwischen weit dominiert, gehören Deutschland und Österreich zum Kreis der mitteleuropäischen Länder, wo die Kapitaldeckung noch kaum eine Rolle spielt.

In 2023 lag der Marktwert des privaten Pensionsvermögens in Dänemark, den Niederlanden, Island und der Schweiz bei über 150 Prozent des BIP verglichen mit weniger als 7 Prozent in Deutschland und Österreich (AT: 6,8; DE: 6,5), wie die  OECD (2024:11) in ihrem Rentenbericht feststellt.

Demografie ist nicht alles

Bei der deutschen Debatte um die Zukunft der Rente spielt der demografische Wandel eine zentrale Rolle. Kamen laut dem Demografie-Portal Ende der 60er Jahre 4,5 Beitragszahler auf einen Altersrentner, sank die Relation auf 2,2 zu 1 im Jahr 2022.

Verfechter von mehr Eigenvorsorge, wie der Vorsitzende der Jungen Union Johannes Winkler (vgl. Plenarprotokoll des Bundestags vom 16. Oktober 2025, S. 3687), interpretieren dies dahingehend, dass der demografische Wandel dem umlagefinanzierten Rentensystem die Grundlage entzogen habe. Daher tritt die Junge Union in ihrem Deutschlandrat-Beschluss vom 26. April 2025 für eine Verschärfung des Nachhaltigkeitsfaktors (stärkere Absenkung des Rentenniveaus als bei der geltenden, bis 2025 ausgesetzten Rechtslage), die Erhöhung des Renteneintrittsalters und für Rentenanpassungen gemäß der Preis- und nicht mehr der Lohnentwicklung ein.

Eingeführt wurde der Nachhaltigkeitsfaktor durch die Schröder-Regierung im Jahr 2004. In der Folge sank das Rentenniveau von 52,6 Prozent (2005) auf 48,1 Prozent (2018), wie sich den Zeitenreihen der Deutschen Rentenversicherung Bund (2025: 256) entnehmen lässt.

Um eine weitere Absenkung zu verhindern, installierte die Merkel-Regierung (Koalition aus CDU/CSU und SPD) 2018 befristet bis 2025 bei 48 Prozent eine Haltelinie. Die derzeitige Merz-Regierung (Koalition aus CDU/CSU und SPD) verständigte sich in ihrem Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ darauf, das 48-Prozent-Niveau bis 2031 zu stabilisieren.

Was dann kommt, ist strittig. Der am 1. Oktober 2025 vom Kabinett gebilligte Gesetzentwurf „Gesetz zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur vollständigen Gleichstellung der Kindererziehungszeiten“ sieht vor, dass das Niveau nach 2031 zwar sinkt, aber die Neueinsetzung des Nachhaltigkeitsfaktors auf der Haltelinie von 48 Prozent aufsetzt.  

Dies sei unfinanzierbar, hält die Junge Gruppe der Union dagegen. Sie stellt 18 Abgeordnete und will ihre Zustimmung verweigern. Schützenhilfe erhält sie von rechten SPD-Vertretern wie dem ehemaligen Finanzminister (2005 – 2009) Peer Steinbrück.

Zwar hat Österreich eine etwas jüngere Bevölkerung als Deutschland. Das Demografieargument lässt sich aber auch hier in Stellung bringen. Erstens ist die Geburtenrate gleich niedrig wie in Deutschland (Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2023 je 1,43). Zweitens erweisen sich in beiden Ländern patriarchale Geschlechterverhältnisse als zählebig. In Vollzeitäquivalenten betrachtet, ist die Erwerbsbeteiligung der Frauen niedrig. Jede zweite erwerbstätige Frau (20 bis 64 Jahre) ging 2024 nur einer Teilzeitbeschäftigung nach (AT 51,1 Prozent; DE 48,5 Prozent).

Mit dem demografischen Argument lässt sich die enorme Diskrepanz bei der Höhe der Altersrenten nicht erklären. Im Jahr 2024 betrug der Durchschnittszahlbetrag bei den Neuzugängen in Österreich 1.952 Euro (Männer: 2.327 Euro; Frauen: 1.474 Euro; Auszahlung: 14 mal pro Jahr) gegenüber lediglich 1.154,30 Euro (Männer: 1.374 Euro; Frauen: 1.000 Euro) in Deutschland (DRV 2025: Statistikband 2024: Tab. 1.00 Z und BT-Drs. 21/1421: 12). Ergo: Frauen sind in Österreich besonders benachteiligt. Neben der hohen Teilzeitquote kommt hier das niedrige Pensionsantrittsalter von regulär 60 Jahren verglichen mit 65 Jahren bei den Männern zum Tragen; bis 2033 erfolgt schrittweise eine Angleichung.

Österreich leistet sich ein staatliches Pensionssystem, dessen Ausgaben während der letzten 20 Jahre um rund einen BIP-Prozentpunkt auf jetzt (2023) 13,4 BIP-Prozentpunkte anstiegen, während die Ausgaben in Deutschland nicht nur viel niedriger sind, sondern heute unter dem Niveau von vor 20 Jahren liegen (2003: 9,8 Prozent; 2023: 9,5 Prozent). Nur die Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben wie zum Beispiel die Gewährung von Rentenpunkten für Kindererziehungszeiten („Mütterrente“) erfolgt durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt. 2023 deckten sie 23 Prozent der Ausgaben (BMAS, Alterssicherungsbericht 2024: 23). In Österreich trägt der Bund einen ähnlich hohen Anteil (2023: 22 Prozent) nach dem Prinzip: Die Finanzierungsrisiken des Systems trägt der Bund.

Unter den EU-Ländern, die ihr Rentensystem primär aus Beiträgen und Haushaltsmitteln finanzieren, investiert Deutschland unterdurchschnittlich wenig. Ein gleicher BIP-Anteil wie in Österreich hätte im Jahr 2023 Mehrausgaben von 163,2 Milliarden Euro bedingt. Dieser Betrag übersteigt den prognostizierten Mehrbedarf an Bundesmitteln, der im Jahr 2035 entsteht, wenn der Nachhaltigkeitsfaktor nach 2031 nicht mit aller Wucht neu einsetzt und Erziehungszeiten voll angerechnet werden (17,8 Milliarden Euro, BT-Drs. 21/1929: 3) um mehr als das Neunfache.

Schwächung des umlagefinanzierten Rentensystems in Deutschland

Unter Ökonomen dominiert eine marktliberal-neoklassische Ausrichtung. Bei der Positionierung zu Fragen des Wohlfahrtsstaates insgesamt und der Alterssicherung im Besonderen begünstigt dies die Präferierung privat-kapitalistischer Lösungen.

Die unter Rot-Grün eingeführte Riester-Rente liefert ein Paradebeispiel. Das politisch kommunizierte Ziel der staatlich bezuschussten Privatrente besteht darin, für die Kürzung des Rentenniveaus via Nachhaltigkeitsfaktor einen Ausgleich zu schaffen, um Menschen mit geringem Einkommen vor Altersarmut zu schützen. Diese Funktion konnte sie schon aufgrund ihrer Konstruktion nicht erfüllen. Die Hidden Agenda bestand in der Ermöglichung hoher Gewinne für Banken und Versicherungen; den Preis zahlt die ärmere Bevölkerung. Schätzungsweise 20 Prozent der Riester-Verträge werden nicht mehr bespart und nach „Finanztip“ wurden bis Ende 2023 rund 4,6 Millionen Verträge förderschädlich gekündigt. Da die Politik davon absieht, Verwaltungskosten zu deckeln und Provisionen zu untersagen, verkündet die Bürgerbewegung Finanzwende als  Ergebnis: „Außer Spesen, zu wenig gewesen“.

Auch die 2005 eingeführte Rürup-Rente, die sich an gut verdienende Arbeitnehmer und Selbständige richtet – sie können Einzahlungen in ein privates Vorsorgeprodukt bis zu einer bestimmten Höhe steuermindernd als Sonderausgaben geltend machen – ist für die meisten Zielgruppen eine nachteilige und riskante Altersvorsorge, so die Verbraucherzentrale Hamburg.

Dort, wo kapitalgedeckte Säulen funktionieren, nimmt der Staat regulierend eine starke Rolle ein. Dies gilt für Schweden genauso wie für Island.

In Schweden fließen 16 Prozent des Einkommens obligatorisch in eine umlagefinanzierte Standardrente und 2,5 Prozent in den Aufbau einer kapitalgedeckten Premiumrente. Bei der Premiumrente betragen die Verwaltungskosten weit weniger als ein Prozent und die Vorsorgenden können Anlageentscheidungen entweder selbst treffen oder es greift als Standardprodukt der Staatsfonds AP (für Details siehe Anderson 2021).

In Island wiederum ist der Beitritt zu einem der meist genossenschaftlich organisierten Pensionsfonds gesetzlich vorgeschrieben. Der einzubringende Beitragssatz beläuft sich laut der Datenbank für soziale Sicherheit MISSOC auf 15,5 Prozent des Einkommens (Arbeitgeber: 11,5 Prozent; Arbeitnehmer: 4 Prozent).

Stabilisierung des Pensionssystems durch Transformation in eine Erwerbstätigenversicherung in Österreich

Gegenüber den Lobbyisten der Finanzbranche blieb die österreichische Politik weitgehend resistent. Seit 1988 wurde der Beitragssatz auf dem hohen Niveau von 22,8 Prozent stabil gehalten (Arbeitgeber: 12,55 Prozent; Arbeitnehmer: 10,25 Prozent), wohingegen in Deutschland eine Absenkung von 20,30 Prozent Ende der 90er Jahre auf 18,60 Prozent erfolgte.

Orchestriert wurde die Absenkung des Beitragssatzes durch eine interessengeleitete Kampagne, wonach ohne Kürzung des Rentenniveaus eine dramatische Beitrags-Erhöhung drohe. Die österreichische Rentenpolitik nahm stattdessen Kurs auf eine nachhaltige Systemstärkung durch die Transformation des statusgebundenen Pensionssystems in eine Art universalistischer Erwerbstätigenversicherung. Politisch war dies ein konfliktträchtiger Prozess. Zunächst wurden durch eine SPÖ-geführte Koalition die gewerblich Selbständigen (1998), dann die Landwirte (1999) und verkammerten Berufe (Ärzte, Apotheker, Anwälte) in das allgemeine Pensionssystem einbezogen.

Der Schlussakt fiel in die Ära einer rechtsgerichteten Regierung aus ÖVP und FPÖ. Sie brachte 2003 eine Pensionsreform auf den Weg, die erhebliche Leistungskürzungen vorsah. Dagegen richtete sich massiver Protest, der in einem Abwehrstreik der Gewerkschaften kulminierte. Mit 780 Tausend Streikenden war es der größte Streik seit 1945. Es gelang zwar nicht, die Leistungskürzungen abzuwehren, wohl aber sie abzuschwächen und den Gesetzgebungsprozess hinsichtlich zweier Ziele zu beeinflussen: Konsequente Harmonisierung der unterschiedlichen Pensionssysteme und Etablierung individueller Pensionskonten. Rechtlich schwierig war der Einbezug der Beamten. Sie genießen Vertrauensschutz, was den Griff zu Stichtagsregelungen und lange Übergangsfristen notwendig machte. Voll unter das neue Pensionsregime fallen nur die Beamten, die nach dem 01. Januar 2005 verbeamtet wurden.

In der Rückschau erweist sich das Pensionsharmonisierungsgesetz vom 18. November 2004 (BGBl I 2004/142) – es trat am 1. Januar 2005 in Kraft – als Meilenstein. Die Zukunftsfähigkeit des staatlichen Pensionssystems wurde gestärkt, der gesellschaftliche Streit um die Alterssicherung befriedet. Den Pensionsantritt der Generation der Babyboomer wird das System verkraften; nach EU-Aging-Report 2024 (S. 27) sind im EU-Vergleich nur moderate Kostenanstiege zu erwarten. Das staatliche Kernversprechen lautet: Lebensstandardsicherung gemäß der Formel 45/65/80: Nach 45 Beitragsjahren erhalten die Versicherten im Alter von 65 Jahren eine Pension von 80 Prozent des Lebensdurchschnittseinkommens. Jede erwerbstätige Person verfügt über ein individuelles Pensionskonto. Es ist über das E-Government-System von FinanzOnline oder über die ID Austria online jederzeit einseh- und abfragbar. FinanzOnline wird zentral vom Finanzministerium betrieben – mit aktuell mehr als 6,5 Millionen Nutzern.

Perfekt ist auch das österreichische System nicht. Der angesprochene große Gender-Gap ist eines der Hauptprobleme. Immerhin jedoch schützen Ausgleichszahlungen – rund 10 Prozent der Pensionisten bezogen sie im Jahr 2024 mit einem durchschnittlichen Zahlbetrag von monatlich 413 Euro – vor Altersarmut. Sie können bei Vorliegen von mindestens 30 Versicherungsjahren bezogen werden, wenn die Pension unter bestimmten Richtwerten bleibt.

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[1] Bei der Entwicklung des Sozialstaates haben sich zwei konkurrierende Philosophien herausgebildet. Das mit dem Namen Bismarck (erster Reichskanzler des Deutschen Reiches von 1871 bis 1890) verknüpfte Bismarck-Modell bindet die Absicherung sozialer Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Alter an Arbeit und Berufsstatus. Die Organisierung erfolgt über gegliederte Sozialversicherungen und berufsständische Sondersysteme. Das mit dem Namen des britischen Ökonomen und liberalen Politikers Beveridge verknüpfte Alternativmodell – Beveridge war von 1919 bis 1937 Direktor der London School of Economics - lehnt die Bindung an den beruflichen Status ab. An seine Stelle tritt eine Risikopool, der die ganze Wohnbevölkerung umfasst, ergo universalistisch angelegt ist. Die Finanzierung erfolgt beim Beveridge-Modell entweder aus Steuermitteln oder über eine staatliche Einheitsversicherung. In Großbritannien stand das Beveridge-Modell Pate bei der nach 1945 erfolgten Schaffung des staatlichen Gesundheitsdienstes (National Health Service); die skandinavischen Länder errichteten nach britischem Vorbild ebenfalls staatliche Gesundheitssysteme und kommen bei der Alterssicherung aus der Tradition einer am Wohnsitz ansetzenden Volksrente, die in den heutigen Mehr-Säulen-Systemen als erste Säule fortexistiert.