Makroskop
Kommentar

Wer über Produktivität nicht reden will, soll zur Rente schweigen

| 25. November 2025

Werden 22 „Top-Ökonomen“ wieder am Kanzler scheitern?

Wenn 22 „Top-Ökonomen“ – so wurden die Damen und Herren medial gefeiert – sich äußern, dann erstarren die einen vor Ehrfurcht und die anderen fangen an zu denken. In einem kurzen Aufruf fordern die Ökonomen die Bundesregierung auf, das Rentenpaket zurückzuziehen. Sie stellen sich damit hinter die Kritik der Jungen Union.

Wir erinnern uns: Nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine im Februar 2022 meldeten sich auch damals Ökonomen zu Wort. Sie forderten vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz sofort auf russisches Gas in Gänze zu verzichten. Unsere agile Marktwirtschaft werde das schon wuppen, während Putin auf einer langen Gasleitung nach Westen sitzt, die er nicht so schnell in eine andere Richtung wird lenken können.

Wir können froh sein, dass Scholz damals sehr deutlich diese Ratschläge als falsch zurückwies und auf die Industrie und seinen Verstand hörte. Unsere ökonomische Situation wäre noch desaströser, als sie ohnehin schon ist. Die narzisstischen Kränkungen durch die Kanzler-Watschn müssen bei den Ökonomen groß gewesen sein, aber gute Narzissten stecken so etwas weg.

Es scheint ohnehin ein Kuriosum unserer Zeit zu sein, dass unser aller Mindset zwar von marktradikalem Denken geprägt ist, aber die Ökonomen keiner so richtig ernst nimmt. Da geht es der professionellen Ökonomie nicht besser als der Metereologie.

Vor vielen, vielen Jahren – bevor ich mich intensiver mit Ökonomie beschäftigte – sah ich einen guten Fernsehbeitrag zur Rente. Der Journalist hörte nicht auf, einen Wissenschaftler, der den Überalterungsuntergang des Abendlandes vorhersah, mit der Frage zu nerven, ob er denn in seinen Prognosen die Produktivitätsentwicklung berücksichtigt habe.

Der Wissenschaftler wollte noch einmal darüber nachdenken. Ich habe damals mitgenommen, dass die entscheidende Größe bei der Frage, welche Renten wir uns leisten können, die Produktivitätsentwicklung ist. Dieses Basic muss man verstanden haben und kann jeder verstehen. Der Rest ist Verteilungskampf und en detail etwas für Experten.

Unser Autor Hartmut Reiners erklärt dies immer wieder in bewundernswerter Beharrlichkeit, und in dieser Ausgabe haben wir dazu noch einmal einen Artikel des Statistikers Gerd Bosbach veröffentlicht. Unsere Gesellschaft altert schon seit vielen Jahrzehnten, gleichzeitig stieg der Wohlstand der Arbeitnehmer und der Rentner. Dies ist allein der Produktivitätsentwicklung zu verdanken.

Wenn wir in Zukunft noch weniger Beschäftigte im Verhältnis zu Nicht-Erwerbstätigen haben werden, dann können die Arbeitnehmer höhere Rentenbeiträge verkraften und gleichzeitig einen realen Nettolohngewinn erzielen, wenn die Lohnerhöhungen dem Produktivitätsfortschritt der Gesellschaft folgen und der Produktivitätsfortschritt die abnehmende Zahl der Beschäftigten (im Verhältnis zu den Nicht-Beschäftigten) überkompensiert. Das war in der Vergangenheit der Regelfall.

Warum reden die Damen und Herren Ökonomen in ihrem Aufruf nicht darüber? Sie warnen Merz vor Schnellschüssen und plädieren für einen langfristigen und durchdachten Plan. Wer hätte etwas gegen einen guten Plan? Aber wenn dann von den „demografisch bedingten strukturellen Probleme des Rentensystems“ die Rede ist, weiß man, wohin die Reise gehen soll: Rentenkürzungen und Kapitaldeckungsverfahren. Die Unterzeichner dieses Aufrufs stehen für dieses Programm.

Wer sich verantwortungsvoll mit der Zukunft der Rente beschäftigen will, der muss sich Fragen wie diese stellen: Warum haben wir in Deutschland ein abnehmendes Produktivitätswachstum? Liegt es an zu niedrigen Löhnen, wie die einen sagen? Hohe Löhne zwingen die Unternehmen zu Automatisierung und damit zu einer Produktivitätssteigerung, so heißt es. Oder liegt es an zu niedrigen Zinsen, die die Unternehmen träge machen – wie die anderen sagen? Welche Technologien muss der Staat fördern? Welches Produktivitätswachstum brauchen wir, um das Rentenniveau zu halten oder zu erhöhen? Kommt ein gigantischer Produktivitätsschub auf uns durch KI zu? Wie verhindern wir, dass die natürliche Intelligenz verkümmert, wenn heutzutage selbst einfachste geschäftliche Mails von der KI geschrieben werden? Was bedeutet es für die Produktivität einer Volkswirtschaft, wenn sie sich für massive militärische Ausgaben entscheidet? Es gibt da der Fragen viele.

Warum reden die Aufruf-Ökonomen nicht darüber? Wissen Sie wirklich nicht, dass die Produktivität die entscheidende Größe ist? Ich kann es nicht glauben. Welche Agenda verfolgen sie? Sind es Interessen oder tief eingebrannte Überzeugungen? Auf Verschwörungstheorien wollen wir hier verzichten. Aber, liebe Ökonomen, wenn ihr über Produktivität nicht reden wollt, dann schweigt bitte zur Rente. Nach allem, was man hört, lässt sich Merz von euch ohnehin nicht beeindrucken. Hoffentlich bleibt es dabei. Einer der seltenen Momente, in denen mir mein Kanzler gefällt.