Christian Lindner

Musk und Milei als Vorbilder der FDP?

| 10. Dezember 2024
IMAGO / Featureflash / ABACAPRESS / photothek

Christian Lindner will mehr Musk und Milei wagen. Doch eine FDP, die libertären Autokraten folgt, wäre nicht mehr die FDP der bürgerlichen Freiheit und des wirtschaftlichen Wettbewerbs.

Christian Lindner will eine radikale Wirtschaftswende, kein Weiter-so. Ein Weiter-so will aber eigentlich niemand. Unstrittig liegen in Deutschland viele Dinge im Argen. Seit Jahren wird ein menschenunwürdiger Pflegenotstand beklagt, der Wohnungsbau ist in einem katastrophalen Zustand, die Infrastruktur, von den Schulen bis zur Bahn, ist marode, die Industrie ist in der Krise und die Bundeswehr ist nicht abwehrbereit. Die Frage ist also nicht Weiter-so – ja oder nein, sondern in welche Richtung sollen tiefgreifende Reformen gehen.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat vor ein paar Tagen in der Sendung „Caren Miosga“ empfohlen, mehr Musk und Milei zu wagen und es danach wiederholt bekräftigt. Man konnte zunächst noch meinen, er habe sich in einem akuten emotionalen Aufruhr nach dem Rauswurf aus der Ampel und dem Kommunikationsdesaster um die D-Day-Geschichte vielleicht nur im Ton vergriffen, oder wolle eine Ablenkungsdiskussion anzetteln – aber er scheint es doch ernster mit den beiden Herren zu meinen. In einem Video auf X wendet er sich an Friedrich Merz und wirbt noch einmal für die beiden, auch wenn er sich "nicht jede Meinung von denen abschauen" will.

Musk und Milei stehen aber nicht einfach für radikale wirtschaftliche Reformen, sondern für radikale wirtschaftliche Reformen ohne Rücksicht auf Soziales und Demokratie. Sie wollen nicht mehr Demokratie wagen, sie stehen nicht für mehr bürgerliche Freiheit, sie stehen nicht einmal ohne Weiteres für Wettbewerb, sondern im Gegenteil sehen sie die Demokratie wie auch den Wettbewerb explizit als Einschränkungen der Macht ihresgleichen. Es sind libertäre Autokraten. Man kann die vielseitigen Bemühungen dieser Leute in Richtung eines staatsbefreiten Unternehmer-Absolutismus gut belegt nachlesen, zum Beispiel in Quinn Slobodians Kapitalismus ohne Demokratie.

Entweder hat Lindner also den liberalen Kompass verloren oder er will die FDP gezielt radikalisieren, anders als die österreichische FPÖ nicht nationalliberal bis nationalkonservativ, sondern libertär bis autoritär. Eine solche libertäre Partei könnte auch aus Sicht von manchen geldigen Leuten hierzulande durchaus attraktiver sein als eine AfD in der Schmuddelecke.  

In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt hat Christian Lindner, nachdem er eingangs erneut für einen grundsätzlichen Wandel in der Wirtschaftspolitik wirbt, seine geistigen Anleihen bei Musk und Milei noch einmal ausdrücklich verteidigt:

„Javier Milei und Elon Musk bieten zwei internationale Beispiele, wie diese Probleme angegangen werden. Dies nicht im Detail analysieren zu wollen, wäre angesichts der Lage unseres Landes eine Arroganz, die wir uns nicht mehr leisten können.“

Inwiefern Musk ein Beispiel für radikalen Wandel in der Wirtschaftspolitik bietet, bleibt Lindners Geheimnis, Musk hat bisher kein politisches Amt. Ob Musk weiß, wie man staatliche Ineffizienz verringert, weiß niemand, auch Lindner nicht und vermutlich auch Musk selbst nicht. Er ist nicht einmal immer unternehmerisch erfolgreich, wie sein Umgang mit Twitter zeigt. Aber richtig ist natürlich, dass man sich die Ideen und Taten der beiden im Detail ansehen sollte. Was Lindner nicht tut. Er nennt anschließend lediglich kurz ein paar Staatsabbau-Maßnahmen Mileis und konstatiert, damit habe Milei Erfolg. So sei „die monatliche Inflationsrate nach horrenden Zahlen in den Monaten davor auf 2,7 Prozent im Oktober zurückgegangen und der Staat verzeichnet nach Jahren hoher Defizite einige Monate mit Überschüssen“. Dass die Armutsquote dafür deutlich nach oben gegangen ist und immer mehr Menschen in Argentinien nicht wissen, wovon sie leben sollen, sagt er nicht. Wenn auf „Erfolge“ verwiesen wird, sollte man immer schauen, für wen es Erfolge sind und was der Preis dafür ist.

Bei dem, was Lindner nicht sagt, ist aber vielleicht etwas anderes noch viel entscheidender: Ist die Situation in Argentinien mit der in Deutschland überhaupt hinreichend vergleichbar, damit Maßnahmen a la Milei auch nur ansatzweise ähnliche Erfolge erwarten lassen? Ist hier der Staat ähnlich korrupt und dysfunktional? Lag die Inflation hierzulande auch bei 300 Prozent? Ist die Radikalkur Mileis also wirklich ein Rezept für die Probleme in Deutschland? Würde weniger Personal beim Staat unsere Bahn zuverlässiger machen, für mehr Wohnungen sorgen, für eine bessere Pflege?

Es folgt ein Beschwichtigungsversuch für die erschrockene bürgerliche Mitte:

„Es stimmt: Sowohl Milei als auch Musk vertreten teilweise extreme, abwegige und bisweilen sogar bestürzende Ansichten und tragen diese mit provokanten Aktionen in die Öffentlichkeit. Dennoch wage ich zu sagen: Hinter den Provokationen von Milei und Musk steckt dennoch eine disruptive Energie, die Deutschland fehlt.“

Milei und Musk werden gewissermaßen entpolitisiert. Aber ist die „disruptive Energie“ der beiden eine von ihren „abwegigen Ansichten“ isolierbare Reformkraft? Hier das eine, dort das andere? Wenn dem so wäre, könnte sich Lindner auch auf Putin oder Pinochet berufen, und viele andere Maßlose dieser Welt. Eine „disruptive Energie“ kann man vielen Potentaten nicht absprechen. Warum dann also ausgerechnet Milei und Musk? Vielleicht, weil Lindner doch genau das will, was sie wollen?

„Bei einer Staatsquote um die 50 Prozent, rund 350.000 Beschäftigten allein im Bereich des Bundes (…), unmittelbaren Beteiligungen des Bundes an 118 Unternehmen und mehr als 700 Bundesbehörden gibt es viel Potenzial, durch ambitionierte Eingriffe den Staat kleiner und dabei effizienter zu machen.“

Den Staat kann man sicher effizienter machen. Idealerweise aber nicht so, dass Unternehmen einfach von sozialen Verpflichtungen befreit werden, sondern dass ein Mehrwert für alle geschaffen wird – zum Beispiel auch Steuerhinterziehung und -vermeidung, Umweltvergehen oder Ausbeutung von Notlagen effizienter bekämpft werden.

Lindner spielt mit seiner Bezugnahme auf Musk und Milei mit Ideen, die zunächst nicht das Land, sondern die FDP grundsätzlich verändern würden. Eine FDP, die Milei und Musk folgt, wäre nicht mehr die FDP der bürgerlichen Freiheit und des wirtschaftlichen Wettbewerbs, wie man sie über viele Jahre der alten Bundesrepublik kannte. Es wäre eine FDP, der es egal ist, dass Art. 1 des Grundgesetzes die Menschenwürde schützt, nicht die Dividenden und schon gar nicht eine Übermenschenwürde der Oligarchen. Die FDP wird sich entscheiden müssen, ob sie mehr Musk und Milei oder mehr New Deal im Sinne einer Reform mit dem Ziel eines besseren Lebens für alle wagen will.

Der Artikel beruht auf einem Beitrag des Autors bei den Scienceblogs.