Makroskop
Multinodale Welt

G20-Gipfel in Südafrika: Eine neue Wirtschaftsordnung für die Welt?

| 03. Dezember 2025
IMAGO / ANI News

Südafrika nutzte seine Gastgeberrolle des G20-Gipfels, um die Interessen des Kontinents und des Globalen Südens in den Mittelpunkt zu stellen – und eine andere Weltsicht. Dennoch scheint sich dieses Format überlebt zu haben.

Das G20-Gipfeltreffen Ende November in Südafrika war das erste seiner Art auf dem afrikanischen Kontinent. Doch dass gleich sieben Staatschefs der insgesamt 19 Mitgliedsstaaten, die zusammen mit der EU und der Afrikanischen Union die G20-Gruppe bilden, der Veranstaltung fernblieben, wirft die Frage auf, ob dieses Format noch zeitgemäß ist.

Dennoch gibt es gute Gründe für die Gastgeber, die Veranstaltung als Erfolg zu werten:
Zwar glänzte auch der US-Präsident Trump mit Abwesenheit; ein Grund war sein Vorwurf, die südafrikanische Regierung beginge Genozid an den weißen Farmern der Republik. Ein Vorwurf, den alle anderen Staaten jedoch entschieden zurückwiesen.

Während also die USA den Gipfel komplett boykottierten, entsandten alle übrigen abwesenden Staatschefs hochrangige Vertreter. Zudem nahmen auch zahlreiche Staatsoberhäupter als Gäste an dem Ereignis teil, insbesondere aus weiteren afrikanischen Staaten, zum Beispiel Ägypten und Nigeria. Auch die wichtigen internationalen Organisationen waren vertreten, die UN durch Generalsekretär Guterres, der IWF und die WTO. Die EU erklärte, aktiv die entstandene Lücke füllen zu wollen. Das ist bemerkenswert, nachdem die Kommissionspräsidentin und die meisten Regierungschefs, darunter auch Friedrich Merz, kurz zuvor noch dem eigenen EU–CELAC-Gipfel in Lateinamerika fernblieben – wie die Berliner Zeitung mutmaßt, um Trump nicht zu verärgern.

Das Prinzip „Ubuntu“

Unter dem Motto „Solidarität, Gleichheit, Nachhaltigkeit“ nutzte Südafrika seine Gastgeberrolle, um die Interessen des Kontinents und des Globalen Südens in den Mittelpunkt zu stellen. Und eine Weltsicht: das Prinzip Ubuntu – ein kommunitaristischer, beziehungsorientierter politischer Ansatz, der echte Partnerschaft statt Dominanzgebaren demonstrieren soll. Und den viele afrikanische Vertreter als Grundlage einer neuen Weltwirtschaftsordnung ansehen. In über 130 Veranstaltungen im gesamten Jahr zu Themen wie Schuldenmanagement, Energiewende, kritischen Mineralien, Ernährungssicherheit und regionaler Integration wurde die Lage der ärmeren Länder analysiert, Vorschläge zur Abhilfe diskutiert und Kooperations-Initiativen gestartet, etwa zur Industrialisierung des Kontinents, dem Ausbau der Infrastruktur oder erneuerbarer Energien.

Die Stiglitz-Studie – und die Forderung nach einem Weltungleichheitsrat

Von großer symbolischer Bedeutung war die Veröffentlichung der vom Gastgeber in Auftrag gegebenen Studie zur globalen Ungleichheit unter Federführung des Ökonomen und Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz. Sie zeigt, dass die weltweite Ungleichheit wächst und sich die strukturellen Abhängigkeiten des Globalen Südens verstärken, weil die internationalen Regeln – vom Handel bis zum Kapitalverkehr – weiterhin die wohlhabenden Länder begünstigen.

Das Expertengremium schlug vor, nach Vorbild des Klimaausschusses IPCC einen ständigen Weltungleichheitsrat einzurichten. Ein institutionalisierter, unabhängiger Mechanismus also, der Ungleichheit misst, analysiert und politische Optionen formuliert.

Taten lassen weiterhin auf sich warten

Dennoch blieb das G20-Treffen hinter den Erwartungen zurück. „Der Gipfel hätte ein starkes Signal zur Bekämpfung globaler Ungleichheit setzen müssen“, sagt David Ryfisch, Leiter des Bereichs Zukunftsfähige Finanzflüsse bei Germanwatch. Er bemängelt, dass viele Länder des Globalen Südens aufgrund hoher Schuldenlasten kaum in Klimaanpassung, Gesundheit oder Bildung investieren können, während es den wirtschaftlich stärksten Staaten erneut nicht gelinge, „verbindliche Schritte zur Lösung dieser Krise zu vereinbaren“.

Das Abschlussdokument, so kritisiert Germanwatch weiter, enthalte weder konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des G20-Rahmenwerks zur Entschuldung noch ein klares Mandat, um bestehende Reformvorschläge weiterzuverfolgen. Auch die im Vorfeld von einer G20-Expertengruppe vorgeschlagene Initiative zur Refinanzierung teurer Altschulden – ein Instrument, das verschuldeten Ländern unmittelbare Entlastung hätte verschaffen können – fand keine Unterstützung. Ebenfalls fehlen konkrete Verpflichtungen zur stärkeren Besteuerung von Superreichen.

Das Scheitern der G20 als Nord-Süd-Brücke

Das tiefere Problem: Auch wenn es in Johannesburg gelang, sich in Abwesenheit der USA auf eine gemeinsame, wenn auch unverbindliche Abschlusserklärung zu einigen, ist die G20-Gruppe nicht wirklich handlungsfähig. Sie entstand nach der Finanzkrise in Asien 1997/98, als klar wurde, dass die globale Wirtschaft zu vernetzt geworden war, um allein vom Westen und den G7-Staaten stabilisiert zu werden. Nicht nur Industriestaaten, sondern auch wichtige Schwellenländer sollten künftig gemeinsam die globale Wirtschafts- und Finanzpolitik koordinieren können.

Diese modernere, global repräsentative Alternative zur exklusiveren G7 sollte aufstrebenden Staaten mehr Gewicht verleihen, ein inklusiveres Forum für globale Kooperation schaffen und so die Grundlage für eine stabilere globale Wirtschaft legen. 85 Prozent der Weltwirtschaft, die Hälfte der Weltbevölkerung und drei Viertel des Welthandels sind im G20-Format vertreten. Bei jährlich wechselnder Präsidentschaft werden alle Entscheidungen im Konsens getroffen.

Als die G20 vor 30 Jahren entstand, herrschte eine globalisierte, vom Geist des Neoliberalismus geprägte Weltordnung vor. Sie lieferte den gemeinsamen Referenzrahmen, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten ihre Probleme kollektiv anzugehen versuchten.

Doch diese Ordnung wird heute zunehmend in Frage gestellt: Die WTO ist faktisch gelähmt, die UN strukturell blockiert, IWF und Weltbank verweigern seit Jahren substanzielle Reformen zugunsten der Entwicklungsländer. Die G20, ursprünglich als Brücke zwischen Nord und Süd gedacht und geschaffen, um genau diese Blockaden zu überwinden, scheint ihre Mission verfehlt zu haben.

Stattdessen wachsen nicht nur die Spannungen zwischen China und den USA. Auch die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind zerrüttet, China und Indien verfolgen konkurrierende regionale Agenden, während sich die USA aus internationalen Vereinbarungen lösen und zunehmend auf bilateralen Druck setzen. Und der Globale Süden möchte sich nicht mehr unterordnen, fordert mehr Mitsprache – und baut Wirtschaftsbeziehungen mit eigenen Formaten und Regeln auf, etwa im Rahmen von BRICS+.

Das ist der zweite Grund, der Trump zum Boykott des G20-Gipfels veranlasste. Südafrika ist Teil von BRICS, und diesem Zusammenschluss hat der Präsident mit hohen Zöllen den Kampf angesagt. Er attackierte die Sprache der G20-Deklaration zur Klimapolitik und zu den globalen Herausforderungen als „linkslastig“ und warf Pretoria vor, damit „die Legitimität der G20 zu untergraben.“ Kurz nach Ende des Gipfels verkündete Trump gar den Ausschluss Südafrikas aus der G20. Die Welt forderte, dass Deutschland unter solchen Umständen den nächsten Gipfel, der ironischerweise 2026 in den USA stattfinden wird, boykottieren solle.

Was kommt danach?

Trumps bevorstehende G20-Gastgeberschaft 2026 – so viel ist sicher – wird laut, polarisierend und ganz auf amerikanische Prioritäten zugeschnitten sein. Damit wird es ihm kaum gelingen, das Format zu revitalisieren. Wahrscheinlicher ist, dass dieses Event den letzten Akt der G20 markiert.

In einer Zeit, in der globale Lösungen notwendiger denn je wären, aber kaum durchsetzbar zu sein scheinen, empfehlen Ökonomen wie Ndongo Samba Sylla und Jason Hickel den Ländern des Globalen Südens, sich nicht an den internationalen Institutionen und Formaten abzuarbeiten, sondern auf die eigene Kraft zu besinnen – heißt: auf nationale Wirtschaftspolitik und verstärkte regionale Zusammenarbeit.

Dieser Ansatz, den die Ökonomen als Delinking bezeichnen, zielt darauf ab, die Länder des Globalen Südens aus ihren strukturellen Abhängigkeiten gegenüber dem Globalen Norden zu lösen. Weil letzterer internationale Reformen seit Jahren blockiert, soll der Süden eigenständig handeln: Importe aus dem Norden verringern, die eigene Industrie stärken, den Süd-Süd-Handel ausweiten, Kapitalflucht eindämmen und die Kontrolle über Devisen zurückgewinnen. Staaten sollen öffentliche Güter ausbauen, industrielle Kapazitäten strategisch entwickeln und Produktion auf gesellschaftliche Bedürfnisse statt auf günstige Exporte ausrichten.

Wenn die Schuldenlast oder Vorgaben des IWF solche Schritte verhindern, plädieren die Verfechter des Delinking für einen koordinierten Schuldenerlass oder notfalls einen Default. Das übergeordnete Ziel ist demnach eine entkolonialisierte, sozial gerechte und ökologisch tragfähige Entwicklungsstrategie, die nicht länger von den Prioritäten der reichen Industrienationen abhängt.

Tatsächlich hat der G20-Gipfel 2025 erneut gezeigt, wie dysfunktional die internationale Ordnung geworden ist. Die globalen Probleme – Schuldenlast, Klimawandel, Ungleichheit, stockende Entwicklung – bleiben bestehen. Die Mechanismen, die sie lösen sollten, funktionieren nicht.

Dennoch hat der Gipfel auch Geschichte geschrieben – als erster seiner Art in Afrika und als Bühne afrikanischer Selbstbehauptung. So könnte das Treffen in Johannesburg ein Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen wirtschaftspolitischen Ära sein, zumindest auf dem afrikanischen Kontinent.