Rückkehr der Blockbildung
Liebe Leserinnen und Leser,
manchmal wirkt die Gegenwart wie ein Déjà-vu aus den Geschichtsbüchern. Jahrzehntelang erzählte sich der Westen die schöne Geschichte von der „einen Welt“, dem großen Markt, der sich reibungslos über alle Kontinente spannt. Ein paar Handelsverträge hier, ein paar Gipfelerklärungen da, neue transnationale Institutionen dort – und schon glaubte man, die Geister der Vergangenheit durch eine neue regelbasierte Ordnung vertrieben zu haben. Der Kalte Krieg war Geschichte, die Zukunft unter der Führung eines wohlwollenden US-Hegemon angeblich friedlich und von wachsendem Wohlstand geprägt.
Die Realität holt uns gerade ein. Und sie klopft nicht an, sie tritt die Tür ein.
InI dieser Ausgabe leuchten wir diese Entwicklung aus zwei völlig unterschiedlichen Winkeln aus: Zum einen die strategische Verschiebung innerhalb der globalen Ordnung vor dem Hintergrund neuer Technologien, zum anderen der G20-Gipfel, der eher wie ein Schatten seiner selbst wirkt. Das Ergebnis: eine Welt, die sich wieder in Lager sortiert. Nicht ideologisch wie früher, sondern technologisch und wirtschaftlich. Wer über die Schlüsselindustrien herrscht, definiert die Spielregeln.
China hat längst begriffen, was der Westen verschlafen hat: Führend in Umwelt- und Energietechnologien kontrolliert das Reich der Mitte nicht nur die Wertschöpfung, sondern erzeugt damit auch wachsende politische Abhängigkeiten. Solarmodule, Batterien, Seltene Erden, saubere Industrieprozesse – Peking baut systematisch Dominanzzonen auf. Gleichzeitig haben die USA das digitale Machtzentrum besetzt: Künstliche Intelligenz, Cloud-Infrastruktur, Computing-Kapazitäten. Sieben Billionen Dollar sollen bis 2030 in Rechenzentren und andere KI-Infrastrukturen fließen. Zwei Pole, die in wachsender Konkurrenz zueinanderstehen.
Und Europa? Träumt nur von solchen Summen. Der Kontinent steht in der Mitte wie ein Schüler, der beim Gruppenprojekt weder die Materialien noch die Ideen hat, aber hofft, niemand merke es. Brüssel spricht von „Souveränität“, agiert aber ängstlich und bürokratisch. Mit kleinteiligen Regulierungen und den Glauben, die Welt lasse sich durch Normen ordnen, droht die EU den Anschluss zu verlieren, während die entscheidenden Industrien längst woanders entstehen und wichtige Lieferketten brüchig geworden sind.
Der G20-Gipfel in Südafrika hat gezeigt, wie dünn der Firnis des globalen Miteinanders geworden ist. Während Donald Trump durch Abwesenheit glänzte, präsentierten aufstrebende Mächte neues Selbstbewusstsein. Der sogenannte Globale Süden tritt zunehmend als eigenständiger Block auf, der sich von den kriselnden westlichen Industrienationen ökonomisch emanzipieren will. Die eine große Bühne der Globalisierung wird plötzlich zu vielen Kammerspielen.
Wir kehren nicht in einen neuen Kalten Krieg zurück, dafür ist die Welt zu vernetzt und wirtschaftlich zu verflochten. Aber wir erleben eine andere Form der Blockbildung: Cluster aus Technologie, Kapital und umgeleiteter Ressourcen. Statt klarer Grenzen entstehen Machtfelder. Die Frage lautet nicht mehr: Wer steht ideologisch auf welcher Seite? Sondern: Wer kontrolliert die Rohstoffe? Wer besitzt die Infrastruktur? Wer setzt die technologischen Standards? Die Zeiten, in denen die USA und Europa das Zentrum der technologischen Entwicklung waren, in das wie selbstverständlich alle dafür nötigen Rohstolle der Peripherie fließen, sind unwiederbringlich vorbei.
Die Wahrheit, die sich daraus ableiten lässt: Die USA ziehen aus der veränderten Weltlage ihre machtpolitischen Schlüsse, die EU nicht. Viele europäische Debatten sind nostalgisch. Sie tun so, als könnte man die alte Globalisierung reparieren, anstatt zu begreifen, dass sie – wie auch die Partnerschaft mit den USA – längst Vergangenheit ist. Die sich häufenden diplomatischen Degradierungen Brüssels und Berlins, zu sehen etwa bei Wadephuls China-Reise, zeugen von einem Umfeld, in dem Entscheidungen woanders getroffen werden – in Washington, in Peking oder vielleicht sogar bald in einer wachsenden Allianz des globalen Südens.
Die Blockbildung 2.0 ist keine Wiederholung der Geschichte. Es ist der Geburtsprozess einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Die Frage ist nur: Sitzen wir mit am Tisch? Oder werden wir vom Global Player zum Global Payer?