Makroskop
Fiskaltheorie des Preisniveaus

Staatsschulden, Vertrauen und die FAZ

| 03. Dezember 2025
IMAGO / Christian Ohde

Die FAZ erklärt Inflation mit steigender Staatsverschuldung und einer Flucht in den Konsum. Doch stimmt das?

Wie entsteht Inflation? Erklärungen gibt es deren viele und sie sind teils durchaus phantasiereich. Ein nicht auf Fakten begründeter, aber weit verbreiteter Klassiker benennt eine steigende Geldmenge als Ursache für Preissteigerungen. Ein weiterer häufig genannter Inflationstreiber, der in eine ähnliche Richtung geht: die Staatsverschuldung.

Ein Baum im Wald der Thesen um die Staatsausgaben ist die so genannte „Fiskaltheorie des Preisniveaus“. Dieser Ansatz wurde vom liberalen US-Ökonomen John Cochane formuliert und unter der Überschrift „Woher die Inflation kommt“ sowie „Gefährliche Finanzpolitik“ (am 2. Oktober 2025) von FAZ-Herausgeber Gerald Braunberger herausgestellt.

Die Fiskaltheorie des Preisniveaus, so Braunberger, könne mit den angeblich „nahenden Grenzen der Staatsverschuldung“ an Popularität gewinnen, weshalb es sich lohne, die Argumentation nachzuvollziehen. Wo diese Grenze herkommen soll, erklärt Braunberger zwar nicht, dennoch wollen auch wir die Thesen „nachvollziehen“. Ist der Ansatz empirisch haltbar, oder nur Stimmungsmache gegen vermeintlich überbordende Staatsausgaben?

Ein klassischer finanzpolitischer Schock?

Entscheidend für den Anstieg der Güterpreise, schreiben Cochane und Braunberger, sei das Vertrauen in einen sparendenden Staat. Sobald Halter von Staatsanleihen davon ausgingen, dass der Staat keine ausreichenden Haushaltsüberschüsse erzielt, um die Schulden zurückzuzahlen, versuchten sie, ihre Anleihen zu verkaufen und gegen reale Güter einzutauschen, wodurch das Preisniveau in die Höhe getrieben würde.

Das grundlegende Argument lautet: Die jüngste Inflation nach der Pandemie und dem Ukraine-Krieg sei „ein klassischer finanzpolitischer Schock“ gewesen. Mit hohen Schulden habe der Staat Ausgaben finanziert, ohne dass ein Plan zur Rückzahlung der Schulden vorgelegen hätte. Wenngleich sich Cochane primär an den USA abarbeitet, verfolgt die Fiskaltheorie einen universellen Geltungsanspruch und auch die FAZ suggeriert dies.

Warum greift dieser angebliche Mechanismus gerade zu dieser Zeit? Auch in der Vergangenheit, etwa in der Finanzkrise um 2008, verschuldeten sich zahlreiche Staaten erheblich, ohne dass eine bedeutende Inflation folgte. Braunberger und Cochane begründen dies wie folgt: Das Vertrauen in die finanzielle Souveränität des Staates habe seitdem nachgelassen.

Die beiden Thesen lauten also: Das Vertrauen in die finanzielle Souveränität des Staates sei erstens erodiert. Zweitens verkaufen Menschen deshalb nun ihre Staatsanleihen und erhöhen den privaten Konsum.

Werfen wir einen Blick auf Deutschland und die Eurozone, um zu sehen, ob das zutreffend ist.

Die europäische Realität

Mit der Corona-Pandemie und dem anschließenden Einmarsch Russlands in die Ukraine erlebten die Weltwirtschaft und auch die Eurozone einen tiefen ökonomischen Schock. Besonders Deutschland mit seiner Abhängigkeit von russischem Gas wurde getroffen. Um die Volkswirtschaften zu stützen, verabschiedeten viele Staaten große schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme. Die nominalen Schuldenstände stiegen zum Teil stark an.

Dennoch bliebt das vielbeschworene „Vertrauen“ trotz der Programme bemerkenswert stabil. Indikatoren, wie etwa der Kurs 10-jähriger deutscher Staatsanleihen, zeigten im relevanten Zeitraum nur einen kurzzeitigen Absacker um den Juni 2022. Dies lässt sich auf die Zinserhöhung der EZB und den Stopp der bis dato laufenden Anleihekaufprogramme zurückführen, wodurch auch die zentrale Nachfrage nach Anleihen wegfiel.

Relevante Kursbewegungen infolge der Konjunkturprogramme ließen sich nicht beobachten. Risikoaufschläge hochverschuldeter EU-Länder weiteten sich darüber hinaus zwar phasenweise aus, sanken jedoch auch bald wieder, ohne dabei eine systemische Vertrauenskrise auszulösen.

Auch von einem breiten Konsumboom infolge der zusätzlichen Verschuldung kann nicht wirklich die Rede sein. Nachdem der reale private Konsum in Deutschland mit der Pandemie massiv einbrach, stagnierte er mit Kriegsbeginn für mehrere Jahre, bevor er nun in der Tendenz wieder leicht ansteigt. Anders als die reine Flucht in reale Güter könnte ein Vertrauensverlust in Staatsanleihen zudem auch zu einer Umschichtung in andere Assets führen.

Ursächlich für die Inflation in der Eurozone waren vor allem die explodierenden Energiepreise und gestörten Lieferketten, wie EZB-Autoren in einem Occasional Paper festhalten. Nachfrageeffekte spielten demnach eine eher untergeordnete Rolle. Andere EZB‑Analysen zeigen zudem, dass die Gewinnaufschläge der Unternehmen zeitweise einen überproportionalen Beitrag zur Preisdynamik leisteten.

Reale Auslastung und die Zentralbank

Ob nun vereinzelnd Staatsanleihen verkauft wurden, um von dem Geld reale Güter zu kaufen, lässt sich so zwar nicht ausschließen, ein deutlicher Trend in diese Richtung ist jedoch nicht feststellbar. Weder lässt sich ein großer Vertrauenseinbruch bei Staatsanleihen infolge der Verschuldung erkennen, noch zeigt sich ein maßgeblicher Konsumboom.

Zumal für das Vertrauen in Staatsanleihen auch das Verhalten der Zentralbank bedeutsam ist. Signalisiert die Notenbank glaubhaft, die staatlichen Papiere im Notfall zu stützen, beruhigt das die Märkte. Mit dem Transmission Protection Instrument (TPI) hat die EZB beispielsweise ein Instrument geschaffen, das bei Bedarf den Ankauf von bedrohten Staatsanleihen ermöglicht, sofern dies dem Inflationsziel nicht widerspricht.

Das alles heißt nicht, dass Staatsausgaben grundsätzlich keine Inflation erzeugen können. Entscheidend ist, wo die Ausgaben hinfließen. Wirken sie etwa als reale Nachfrage oder nicht? Und wenn ja, erfolgt diese Nachfrage in bereits ausgelasteten Sektoren der Privatwirtschaft? Nur dann wäre – statt einer Ausweitung der Produktion –Inflation zu erwarten.