Freitags gehört Vati mir
Liebe Leserinnen und Leser,
die Debatte um Arbeitszeitverkürzung ist so alt wie die Geschichte des industriellen Kapitalismus. Sie ist fortwährender Teil der Arbeitskämpfe und kommt immer wieder – mehr oder weniger kraftvoll – auf die Agenda der Gewerkschaften und (sozialdemokratischen) Parteien. Den wohl berühmtesten und erfolgreichsten Slogan im Kampf gegen die Vereinnahmung in Form steigender Arbeitszeit und Überstunden – im Jahr 1955 lag sie bei einem Spitzenwert von 49 Wochenstunden – lancierte der DGB 1956: »Samstags gehört Vati mir«. Umfragen hatten ergeben, dass die Industriearbeiter einen freien Samstag einer täglichen Arbeitszeitverkürzung vorziehen würden.
Das war zwar nicht das, was 1930 John Maynard Keynes für eine vollbeschäftigte Wirtschaft vorschwebte – »drei Stunden am Tag reichen völlig aus« – aber immerhin ein Anfang.
Heute ist die 5-Tage-Woche schon lange Standard. Doch von der Vision Keynes´ sind wir weiter entfernt denn je. Die 1984 durchgesetzte 35-Stunden-Woche bewegt sich, von der wirtschaftlichen Realität eingeholt, längst wieder in Richtung einer 40-Stunden-Woche. Hinzu kommt ein seit 2002 angewachsener Niedriglohnsektor und neue Formen des Drucks, denen Arbeitnehmer ausgesetzt sind: flexible, befristete und atypische Beschäftigungsverhältnisse in Form von Minijobs und Teilzeitarbeit.
Doch der letzte gewerkschaftliche Versuch einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung scheiterte 2003 in Ostdeutschland in der Metall- und Elektroindustrie kläglich. In der ostdeutschen Stahlindustrie dagegen gelang noch die zumindest stufenweise Umsetzung der 35-Stunden-Woche am 7. Juni 2003. Danach kam nichts mehr in Sachen kollektiver Arbeitszeitverkürzung.
Vor diesem Hintergrund wundert es also kaum, dass die Debatte mit dem jüngsten Vorstoß des SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans für eine 30 Stundenwoche wieder neu diskutiert wird. Borjans sprang IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zur Seite, der eine Viertagewoche einführen will, um Arbeitsplätze in der Metall- und Elektroindustrie zu retten. Man müsse »darüber nachdenken, wie man weniger Arbeit gerecht verteilt«, so Walter-Borjans. Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen dürfe »kein vorgeschobenes Argument sein, um Arbeitszeitverkürzung zu verhindern«. Eine Viertagewoche mit einem »gewissen Lohnausgleich« gehe daher in die richtige Richtung.
Ob das tatsächlich in die richtige Richtung geht, ist das Thema unseres zweiten Spotlights. Denn die Idee der Arbeitszeitverkürzung stößt keinesfalls auf uneingeschränkte Gegenliebe. Also werfen wir das Licht auf eine schon länger schwelende Kontroverse, die wir in Person von Heinz-Josef Bontrup, Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Fritz Helmedag, Werner Vontobel und Stefan Sauer aus verschiedenen Blickwinkeln austragen lassen.
Erstgenannter gehört zu den entschiedenen Befürwortern der Arbeitszeitverkürzung. Reine Lohnrunden könnten die seit Ende der 1950er Jahre zurückgekehrte Arbeitslosigkeit nicht mehr beseitigen, glaubt Bontrup. Die abhängig Beschäftigten und ihre Gewerkschaften würden es seit Langem nicht mehr schaffen, Realeinkommenssteigerungen oberhalb der Produktivitätsrate durchzusetzen. Vollbeschäftigung und Profitinteressen seien ein Widerspruch, Sinn des durch technischen Fortschritt angetriebenen Produktivitätsanstiegs sei es ja gerade, Arbeit durch Kapital einzusparen. Ohne politische Hilfe werde daher eine »Verteilungspartizipation« auch in Zukunft nicht gelingen, so Bontrup weiter. Auf die wirtschaftspolitische Agenda müsse eine »Kurze Vollzeit für alle«. Auch Fritz Helmedag sieht das so: »Ohne die planvolle Verringerung der zu absolvierenden Stunden pro Nase wird kein Weg zu einem hohen Beschäftigungsstand führen.«
Damit widersprechen die beiden Ökonomen diametral Friederike Spiecker und Heiner Flassbeck, die davon ausgehen, dass eine reine Produktivitätssteigerung arbeitsplatzneutral ist, wenn sie in den Stundenlöhnen weitergegeben wird. Ebenso kontrovers: Unternehmen haben keinen Anreiz, von sich aus zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen, also Ersatz für das per Arbeitszeitverkürzung weggefallene Arbeitsvolumen der bereits Beschäftigten zu besorgen, so der Befund von Flassbeck und Spiecker.
Werner Vontobel erweitert die Perspektive um eine anthropologische Komponente. Bei der Frage nach der Arbeitszeit gehe es nicht nur darum, die Erwerbsarbeit neu zu verteilen. Eine 30-Stundenwoche, lasse auch mehr Zeit für Familie, Haushalt und Nachbarschaft. Sie eröffne die Chance, die zerrüttete Produktionseinheit der Bedarfswirtschaft wieder funktionstüchtig zu machen.
Auch Stefan Sauer sieht im einseitigen Fokus auf die Erwerbsarbeit die Reproduktionsarbeit außer Acht gelassen, zieht aber andere Schlüsse. Norbert Walter-Borjans Vorstoß zur Arbeitszeitverkürzung sei kein Durchbruch in der Debatte, sondern zeuge nur von mangelndem politischen (Um-)Gestaltungswillen. Schon dass Hofmann ganz vorsichtig von einem »gewissen Lohnausgleich« spricht, lasse nichts Gutes erahnen. Zu befürchten sei eine Abwärtsspirale aus sinkenden Löhnen, sinkender Nachfrage, sinkendem Bedarf an Erwerbsarbeit und neuen Zumutungen.