Spotlight

Im Krieg mit Russland

| 13. April 2022

Liebe Leserinnen und Leser,

der Krieg ist, auch in Europa, kein singuläres Ereignis; doch dieser ist vielleicht die letzte Geburtswehe einer neuen Weltordnung. Die Machtverhältnisse verschieben sich. Wladimir Wladimirowitsch Putin mag mit dem Rücken zur Wand stehen, doch auch er führt dem Westen seine Schwäche vor Augen. 

Der Krieg in der Ukraine markiert das Ende einer Welt, die in Siegestrunkenheit vom „Ende der Geschichte“ träumte (Francis Fukuyama), vom unaufhaltsamen Vordringen der liberalen Demokratie und der NATO gen Osten, des freien Marktes und einer vollendeten Globalisierung. Es war ein Traum, den die Länder des Ostblocks und Russland mit einem Zusammenbruch ihrer Volkswirtschaften, ihres Lebensstandards und ihrer Lebenserwartung bezahlten – marktradikalen Schocktherapien, von westlichen Ökonomen oktroyiert, sei Dank.

Doch die Geschichte ist nicht zu Ende, sie beginnt gerade erst: Die liberale Demokratie stößt an ihre Grenzen, widerspricht sich selbst. Die Sanktionen des Westens entpuppen sich als Boomerang, und ihre ökonomischen Konsequenzen läuten das Ende der Globalisierung ein. Der freie Markt, schon seit der Corona-Pandemie auf dem Rückzug, weicht der Geoökonomie.

Im Alleingang will Putin neue Fakten schaffen: eine neue Sicherheitsarchitektur, die Europa erneut auf lange Zeit durch einen Eisernen Vorhang teilt. Eine Katastrophe für die Europäische Union. Nicht nur, dass Europas Wirtschaft von erneuten und härteren Sanktionen gegen Russland selbst schwer getroffen werden wird, auch könnte Europa so von Gas und Rohstofflieferungen aus Russland und Zentralasien sowie von der Landbrücke zu den aufstrebenden Märkten in Asien abgeschnitten werden.

Und auch das Völkerrecht ist nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine derart ausgehöhlt, dass es kaum mehr eine Bedeutung hat. Dass Putin die Invasion in die Ukraine mit dem Vorgehen der NATO in Jugoslawien und der USA im Irak zu rechtfertigen versuchte, ist kein Zufall. Nicht zuletzt Deutschland steht, Zitat Friedrich Merz, „vor einem Scherbenhaufen der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte.“

„Es ist keine Ukraine-Krise, es ist eine Russland-Krise“, behauptete Außenministerin Annalena Baerbock wenige Tage vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Doch es war die neue Bundesregierung und nicht zuletzt Baerbock selbst, die eine „wertegeleitete Außenpolitik“ in direkter Konfrontation mit Russland von Anfang an forcieren wollte. Nun wird Deutschland hilflos mit der harten Wirklichkeit geostrategischer Machtpolitik konfrontiert, während die Bundeswehr blank dasteht. Die 100 Milliarden Sondervermögen scheinen daran wenig ändern zu können – sie sind "more of the same".

Der Blick in die deutschen Medien und auf die sozialen Plattformen, wo sich ein neuer McCarthyismus breitmacht, verhärten diesen Eindruck. Ein Kalter Krieg 2.0 regiert in den Köpfen der Medienintellektuellen und Politiker. Die Zuspitzung und Ausweitung der militärischen Konfrontation scheint der einzig gangbare Weg zu sein.

Damit droht sich die Spirale der Eskalation weiter zu beschleunigen und die Aussicht auf ein Ende der Kampfhandlungen durch Verhandlungen einzutrüben. Im Rausch der geistigen und materiellen Mobilmachung wird vergessen, dass Deutschland nicht nur geographisch, sondern auch historisch eine Sonderposition in den Beziehungen zu Russland einnimmt und deshalb andere Interessen als die USA haben muss.

„Nicht wer zuerst die Waffen ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt“, sagte einst Niccolò Machiavelli. Das ist keine Rechtfertigung für Putins handeln. Doch der Krieg muss in einen strukturellen Kontext und einen konkreten historischen Zusammenhang eingebunden werden: die Geopolitik der letzten zwei Jahrzehnte und die postsowjetische Eskalationsgeschichte der Beziehungen Russland-Ukraine.

Diesen Kontext und seine politökonomischen Folgen versuchen wir in diesem Spotlight für Sie zu skizzieren.