Brief aus Brüssel

Angriff der digitalen Oligarchen

| 08. Januar 2025

Elon Musk und Mark Zuckerberg wollen sich der lästigen und übergriffigen Internet-Gesetze aus Brüssel entledigen. Dafür verbünden sie sich mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump. Die EU wehrt sich nur halbherzig – und mit Halbwahrheiten.

Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit - das sind die großen Themen, mit denen die EU-Spitze ins neue Jahr starten wollte. Aufrüstung und Bürokratieabbau – das sollten die (wenig überzeugenden) Antworten auf die wachsenden Sorgen der Europäer sein. So hatten es die Europäische Kommission und der neue polnische Ratsvorsitz geplant.

Doch nun müssen sich die Berufs-Europäer in Brüssel an einem anderen Thema abarbeiten: Der Regulierung des Internets und der Macht der amerikanischen Tech-Barone. Erst provozierte der reichste Mann der Welt, Elon Musk, mit Wahlwerbung für die AfD auf seinem Onlineportal „X“. Dann warf Meta-Chef Mark Zuckerberg der EU „Zensur“ vor.

In Europa gebe es "immer mehr Gesetze, die die Zensur institutionalisieren und es schwierig machen, dort etwas Innovatives zu entwickeln", kritisiert Zuckerberg. Gemeint ist das neue Digitale Dienste Gesetz DSA, das Facebook und andere Plattformen für ihre Inhalte in die Pflicht nimmt, um Fake News und Hassrede einzudämmen.

Die EU-Kommission will es dabei nicht belassen und ein „Demokratieschild“ einführen, das die Regulierung noch engmaschiger macht. „Wir sind Pioniere bei der Internet-Regulierung“, brüstet sich Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Ihre „wegweisenden“ Gesetze würden nicht nur in Europa, sondern weltweit Geltung erlangen.

Eine Zeitlang stimmte das sogar – der „Brussels effect“ war vor allem bei der Datenschutzgrundverordnung spürbar. Viele Länder passten sich an die Regeln an oder eiferten Brüssel nach. Unter Präsident Joe Biden haben sich die USA auch mit dem DSA angefreundet. Doch kurz vor der Machtübernahme von Donald Trump schlägt das Klima um.

Nun muss sich die EU-Kommission für ihre eigenen Gesetze rechtfertigen. "Wir weisen jede Behauptung einer Zensur entschieden zurück“, verteidigt sich die Brüsseler Behörde. Die EU greife nicht in die Inhalte ein, sondern stelle lediglich sicher, dass kein „illegaler oder schädlicher Content“ verbreitet werde.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Rund um das DSA haben die EU-Kommission, aber auch ihr nahestehende NGOs und von ihr finanzierte Agenturen ein ganzes Netzwerk von „Faktencheckern“ und „Content-Moderatoren“ aufgebaut, das bei Facebook & Co. durchaus in die Inhalte eingreift und auch schon mal Unerwünschtes wegzensiert oder versteckt.

Die EU-Behörde wirkt dabei wie die berüchtigte Spinne im Netz. 150 Mitarbeiter sind allein für die Um- und Durchsetzung des DSA zuständig – dabei ist dies nur eins von mehreren Medien-Gesetzen. Kritiker warnen vor einem „Big Brother aus Brüssel“, der alte und neue digitale Medien einer zentralisierten Kontrolle unterwirft.

Diese Sorge ist umso berechtigter, als sich die EU nicht nur um Fake News und Hassrede, sondern zunehmend auch um Desinformation, Manipulation und ausländische Einmischung kümmert. Dies führt zu merkwürdigen Pirouetten. Das umstrittene Interview von X-Boss Musk mit AfD-Chefin Alice Weidel sei okay, heißt es zum Beispiel in Brüssel. Es sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, betont die Kommission.

Eine massenhafte Verbreitung dieses Interviews könne jedoch einen Verstoß gegen die EU-Regeln darstellen, die eine künstliche „Amplifizierung“ verbieten. Doch wo liegen die Grenzen zwischen der erlaubten freien Meinungsäußerung und dem verbotenen „Boosting“ bestimmter Inhalte? Wer entscheidet – die Algorithmen oder die EU?

Solange es „nur“ um russische Fake News und angebliche Einflussversuche ging, fiel die Antwort leicht: Darum sollte sich die EU-Kommission in Brüssel kümmern. Doch nun geht es plötzlich um Wahlwerbung für die AfD aus den USA – und um echte oder vermeintliche Fake News aus dem Trump-Lager. Da wird die Regulierung zum Politikum.

Ist die EU bereit, sich mit den mächtigen Tech-Baronen anzulegen, wenn diese gemeinsame Sache mit Trump machen? Will man einen Konflikt mit dem (künftigen) US-Präsidenten riskieren, um dem DSA Geltung zu verschaffen? Derzeit sieht es nicht so aus, als sei Brüssel zu einem Machtkampf mit den Oligarchen bereit, im Gegenteil.

Von der Leyen und die für Digitalpolitik zuständige Kommissarin Henna Virkkunen ducken sich weg. Offenbar wollen sie den Streit aussitzen, um es sich nicht mit Trump zu verderben. Brüssel weicht einer Konfrontation aus – schließlich gibt es mit Trump noch ganz andere Streit-Themen, die im Zweifel wichtiger sind als das DSA.

Dennoch lassen sich schon jetzt zwei Lektionen aus dem Online-Theater ziehen. Zum einen hängt die Wirkung der Internet-Gesetze entscheidend davon ab, wer in der Heimat der mächtigsten Tech-Konzerne das Sagen hat. Solange Biden an der Macht war, fühlten sich Musk, Zuckerberg & Co. noch an EU-Regeln gebunden. Das ist mit Trump vorbei.

Zum anderen war es ein Fehler, die Internet-Dienste zu regulieren, ohne sich um die Besitzverhältnisse zu kümmern. Brüssel hätte Facebook, Google und andere übermächtige Konzerne zerschlagen und die Ableger unter EU-Recht stellen müssen. Nur so hätte sie sich aus der Abhängigkeit von den USA und ihren Tech-Baronen lösen können.

Die EU-Kommission hat dies jedoch nicht einmal ernsthaft erwogen. Jetzt zahlt sie dafür einen hohen Preis – und muss sich auch noch den Spott der neuen digitalen  Oligarchen aus dem Silicon Valley anhören.