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Kommentar
Blackrock statt Deutschland AG
Von Herbert Storn
| 16. Januar 2025IMAGO / Chris Emil Janßen
Im Februar werden mit der Wahl neue Weichen für die Bundespolitik gestellt. Doch wie groß sind die Chancen, die Vermögenskonzentration und den damit verbundenen politischen Einfluss einzudämmen?
Es wirkt wie das Klammern an den letzten Strohhalm – obwohl der Zug der Zeit längst in eine andere Richtung rauscht: Im Juli letzten Jahres hatten sich 22 Organisationen, darunter gemeinnützige Initiativen, aber auch DGB, ver.di und GEW sowie sozial- und Wohlfahrtsverbände zuammengesetzt, um gemeinsam in einem breiten Bündnis noch einmal auf alle Parteien einzuwirken – für die Vermögensteuer. Das Ergebnis mündete in einer gemeinsamen Erklärung im Oktober 2024. Darin heißt es:
„Als unterzeichnende Organisationen setzen wir uns daher für die Vermögensbesteuerung zugunsten einer nachhaltigen Finanzierung der Daseinsvorsorge, des Klimaschutzes und der Unterstützung einkommensschwacher Länder ein.“
Eine Vermögenssteuer wurde in Deutschland bis 1996 erhoben, die zuletzt den Ländern neun Milliarden Euro einbrachte. Seitdem ist sie ausgesetzt, weil bisher alle Bundesregierungen es abgelehnt haben, sie entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupassen. Der Staat hat damit bis Ende 2023 auf mindestens 380 Milliarden Euro verzichtet – und gleichzeitig seine Infrastruktur verfallen lassen.
Allerdings stehen die Chancen für eine Reaktivierung der Vermögenssteuer auch 2025 schlecht. CDU/CSU, FDP und AfD lehnen sie ab, obwohl laut Umfragen 75 Prozent der Deutschen sich für eine Vermögensteuer aussprechen. Tatsächlich würden von ihr 90 bis 99 Prozent der Bevökerung profitieren, weil sie von der Steuer nicht betroffen wären. Bund und Ländern ständen gleichzeitig mehr Mittel zur Verfügung, um die seit Jahrzehnten auf Verschleiß laufende Infrastruktur zu sanieren.
Doch auch über Parteien, die eine Vermögensteuer grundsätzlich befürworten, wie SPD und Grüne, schwebt das Diktum des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering: „Es ist unfair, Politiker an ihren Wahlaussagen zu messen.“ Diese Aussage machte er 2005 vor dem Hintergrund der sogenannten „Mehrwertsteuerlüge“ der SPD. Damals hatte die CDU im Wahlkampf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent angekündigt, die SPD eine Erhöhung aber kategorisch ausgeschlossen. Eine der ersten Maßnahmen der dann folgenden Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD mit Vizekanzler Müntefering: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent.
Jüngst hat der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher den Parteien „unlautere Wahlversprechen“ vorgeworfen. Vorne dabei die FDP, die 138 Milliarden Euro Steuerentlastungen vor allem für Spitzenverdiener verspricht, gefolgt von der Union mit 99 Milliarden sowie SPD und Grünen mit Entlastungen von 30 Milliarden und 48 Milliarden Euro. „Das ist kein Pappenstiel. Das ist das, was ich mit hinters Licht führen meine“, sagt Fratzscher.
Wo die Hürden für eine progressivere Steuerpolitik liegen
Tatsächlich sind die Weichen für die Bundespolitik der nächsten vier Jahre schon viel früher gestellt worden. Kapitalsammelstellen und -verwalter der HNWI (High Net Worth Individuals, die mindestens 1 Million US-Dollar für eine Kapitalanlage übrig haben) bzw. der UHNWI (Ultra-High Net Worth Individuals mit mindestens 30 Millionen Dollar) lenken über ihre Finanzbeteiligungen die Geldströme und Investitionen. Den traditionellen Banken haben diese Kapitalverwalter längst den Rang als Finanzinstitute abgelaufen.
Ihr Einfluss ist deshalb so groß, weil sie mit vergleichsweise kleinen Aktienanteilen von wenigen Prozenten erheblichen und gleichzeitig öffentlich so gut wie gar nicht wahrgenommenen Einfluss auf praktisch alle DAX-Unternehmen nehmen können, wobei die Renditeoptimierung an vorderster Stelle steht.
Das war einmal anders. Dass sich die großen Unternehmen zunehmend den anonymen finanzkapitalistischen Instituten hinwenden, begann erst mit der zukzessiven Auflösung der "Deutschland AG". Dieses korporatistische Netzwerk aus Unternehmen und Banken charaktisierte die Bundesrepublik bis zur Jahrtausendwende. Es erleichterte ein klassenübergreifendes Bündnis zwischen Kapital und Arbeit und verhinderte weitgehend feindliche Übernahmen. Nicht Shareholder-Value sondern das generalisierte Interesse der Großunternehmen stand im Vordergrund.
Endgültig zerschlagen wurde das Netzwerk ausgerechnet durch den sozialdemokratischen Bundesfinanzminister Hans Eichel unter der Regierung Schröder-Fischer-II mit dem Finanzmarktförderungsgesetz, das Unternehmen von Steuern auf Veräußerungsgewinne befreite und so die Schleusen für Finanzinvestoren öffnete. Danach setzten sich BlackRock, Vanguard oder Goldman Sachs an die Stelle der damaligen drei deutschen Großbanken (Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank). Damit verschob sich auch der Einflussbereich in die USA, wo 17 der 20 größten Finanzorganisatoren ihren Sitz haben.
Zur Bundestagswahl 2025 haben sich diese Finanzriesen eine gute Ausgangsbasis für politischen Einfluss gesichert: So nehmen ehemalige Spitzenmanager von BlackRock und Goldman Sachs jetzt Spitzenpositionen bei den relevanten Parteien ein: Friedrich Merz (BlackRock) als Kanzlerkandidat der CDU und Jörg Kukies (Goldman Sachs) als amtierender Finanzminister der SPD. Beide haben ihre lukrativen Posten aufgegeben, um politisch gestalten zu können.
Ähnlich ist es auch bei der Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel, die bei Goldman Sachs und der Allianz Global Investors Analystin war. Damit bestehen Kontakte und Netzwerke der Finanzinvestoren in die Spitzen der drei größten deutschen Parteien hinein – mit einem Wählerpotential von 71 Prozent.
Hat die Vermögensteuer eine Chance?
Zurück zu den Infrastrukturproblemen. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung beziffert den Infrastruktur-Investitionsbedarf für die nächsten 10 Jahre auf 600 Milliarden Euro. Beide Institute hatten den zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarf für die folgenden zehn Jahre 2019 schon einmal beziffert – damals auf mindestens 460 Milliarden Euro. Innerhalb von 5 Jahren haben sie den Bedarfsprognosewert also um 30 Prozent angehoben.
Einen weiteren Kostenfaktor stellt die Aufrüstung der Bundeswehr dar. Marcel Fratzscher spricht gegenüber der „Rheinischen Post“ von deutlich mehr als 200 Milliarden Euro, die der Ukraine-Krieg Deutschland bisher gekostet hat. Vor allem die hohen Energiekosten haben demnach das Wachstum in Deutschland im Jahr 2022 um 2,5 Prozentpunkte reduziert, was 100 Milliarden Euro entspräche. Von 2023 bis heute rechnet Fratzscher mit einer ähnlichen Größenordnung.
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht in einer detaillierteren Untersuchung sogar von 240 Milliarden Euro aus, die Deutschlands Wirtschaft der Krieg bisher gekostet hat.
Wie sollen diese Summen gestemmt werden? Durch eine progressivere Besteuerung oder durch weitere Privatisierungen des öffentlichen Tafelsilbers an private Fonds? Steht die private Kapitalanlage im Zentrum der Überlegungen oder das Gemeinwohl? Wie stehen die Chancen, dass etwa Investitionen in ökologische Infrastruktur über eine Vermögensteuer auf den Weg gebracht werden?
Die Interessen der Kapitalinvestoren sind klar. Und sie haben im Gegensatz zu den Wählerinnen und Wählern einen immensen Vorsprung: Sie können die „Sachverständigen“, die Meinungsmacher und ihre Kampagnen bezahlen. Und mit Spitzenpolitikern wie Merz oder Kukies sind bereits „die Richtigen“ am entscheidenden Ort platziert. Wie groß ihr Einfluss sein kann, haben die US-Wahlen vor Augen geführt, wo mit Elon Musk und seinen 400 Milliarden Dollar der vermutlich reichste Mann der Welt jetzt auch zur Regierungsmannschaft des mächtigsten Staats zählt. Ohne die Einhegung dieser immensen privaten Machtfülle ist Demokratie nicht zu haben.