Lawfare

Der technokratische Feldzug gegen die Demokratie

| 14. Januar 2025
Calin Georgescu - IMAGO / Xinhua

Im Kampf gegen den Populismus instrumentalisiert die EU zunehmend das Recht. Für die politischen Eliten mag der Preis gering sein – umso höher ist er für die Demokratie.

Man könnte meinen, dass so etwas nur in Rumänien passieren kann, einem weit entfernten Land, das die meisten Menschen im Westen achtlos ignorieren. Doch die dortige Annullierung der Präsidentschaftswahlen durch das rumänische Oberste Gericht ähnelt den politischen Staatsstreichen gegen demokratische Entscheidungsprozesse, die Europa in der Zwischenkriegszeit heimsuchten. Der Vorfall stellt eine bedeutende Eskalation dar: des Angriffs technokratischer Führungseliten auf demokratische Entscheidungsprozesse.

Das rumänische Verfassungsgericht begründete die Annullierung der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Monat mit dem Vorwurf der Einmischung Russlands in den Wahlprozess. Russische Einmischung in Wahlen ist zur gängigen Ausrede geworden, um das Ergebnis einer Wahl zu delegitimieren, das dem gewünschten Ergebnis zuwiderläuft. Bereits 2016 wurde die Schuld für die Entscheidung der Briten für den Brexit russischen Verschwörungen und Bots zugeschrieben. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump im Jahr 2016 florierten ebenfalls Vorwürfe russischer Einmischung. Und im letzten Jahr machte die EU-Nomenklatura die russische Einmischung in den sozialen Medien für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien verantwortlich.

In Wirklichkeit versuchen alle möglichen Regime, Parteien und Interessengruppen, den Ausgang von Wahlen sowohl in anderen Ländern als auch ihren eigenen zu beeinflussen. Nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch Großbritannien, die EU oder eben Russland versuchen, ihren Einfluss auf die inneren Angelegenheiten anderer Nationen auszuüben. Aber am Ende dürfen diese ausländischen Akteure nicht wählen. Es waren keine russischen Bots, sondern rumänische Bürger, die ihre Stimme in die Wahlurnen steckten. Sie waren es, die beschlossen, das abzulehnen, was sie als in Misskredit geratene politische Amtsträger betrachteten.

Demokratie nur, wenn das Ergebnis passt

Der tatsächliche Grund für den Staatsstreich in Rumänien war, dass das politische Establishment durch den völlig unerwarteten Sieg des rechtsgerichteten Außenseiters Calin Georgescu in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen aufgeschreckt wurde. Aus Angst, dass dieser Außenseiterkandidat die Präsidentschaftswahlen gewinnen könnte, beschloss das Verfassungsgericht zusammen in Komplizenschaft mit der politischen Elite Rumäniens – und unter dem Wohlwollen europäischer Politiker wie Thierry Breton oder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier –, der Demokratie eine Pause zu gönnen.

Der rumänische Staatsstreich ist in jüngster Zeit das krasseste Beispiel für einen offenen Angriff auf die Demokratie in Europa. So ungeheuerlich die Verletzung demokratischer Normen auch sein mag, sie ist durch Kräfte, die dem wachsenden Einfluss des "Populismus" feindlich gegenüberstehen, weit verbreitet. Der ehemalige EU-Kommissar Breton sagte in einem Fernsehinterview, dass das rumänische Beispiel auch in Deutschland exerziert werden müsse, „wenn es nötig ist“.

Dass die Rechtsstaatlichkeit instrumentalisiert bzw. ein juristischer Krieg (Lawfare) geführt wird, um zu verhindern, dass populistische Bewegungen an Einfluss gewinnen, ist fast schon zur Norm geworden. Beispiel Frankreich: Der Albtraum der französische Führungselite ist, dass die wachsende Popularität der rechtsgerichteten Bewegung Rassemblement National dazu führen könnte, dass Marine Le Pen die nächste Präsidentschaftswahl gewinnt. Um das zu verhindern, wurden in der Hauptstadt die Gerichte mobilisiert.

Und dass die französischen Gerichte Le Pen nicht zur Wahl antreten lassen, scheint durchaus möglich. Sie werden am 21. März 2025 ein Urteil in einem Fall fällen, in dem Le Pen wegen Veruntreuung von Geldern des Europäischen Parlaments angeklagt ist. Die Staatsanwälte bearbeiten die Richter am Strafgericht in Paris, damit ein Urteil, das Le Pen von öffentlichen Ämtern ausschließt, auch dann gilt, wenn sie gegen das Urteil des Gerichts Berufung einlegt. Es ist offensichtlich, dass die Klage gegen Le Pen hauptsächlich von einer politischen Agenda motiviert ist.

Kampf gegen „Populismus“ als demokratische Legitimation?

Der rumänische Präsident Klaus Iohannis kündigte bereits an, dass er sein Amt nach Ablauf seiner Amtszeit nicht abgeben werde. Er wird so lange bleiben, wie die Gerichte ihn brauchen – vermutlich, um die Bedrohung durch einen populistischen Kandidaten abzuwehren. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Iohannis nicht wesentlich von seinem Kollegen, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Obwohl er im Parlament wenig Unterstützung genießt und Schwierigkeiten hat, einen Premierminister zu finden, mit dem er zusammenarbeiten kann, weigert er sich, zurückzutreten. Es könnte durchaus sein, dass Macron seinen rumänischen Freunden nacheifert und nicht zögert, sich durch die Übernahme von Sonderbefugnissen im Amt zu halten.

Ein wichtiges Ziel des Feldzugs gegen die Demokratie sind auch die sozialen Medien und Kanäle, die sich zunehmend als Gegenöffentlichkeit zu den traditionellen Medien etabliert haben. Spätestens die erfolglosen Kampagnen der Leitmedien für Kamala Harris im Zuge der US-Wahlen lassen die politischen Eliten den sozialen Medien mit Argwohn begegnen. Bis 2025 taten sowohl die Regierung Biden als auch die EU-Kommission ihr Bestes, um die freie Meinungsäußerung durch Vorschriften und Regularien wie den Digital Service Act einzudämmen und die Gesellschaft vor abweichenden Ansichten abzuschirmen.

„Lawfare“ basiert auf der Verrechtlichung der Politik und der Politisierung der Gerichte. Sie unterwirft demokratisch zustande gekommene Entscheidungen dem Urteil nicht demokratisch gewählter Richter. Doch die Politisierung der Gerichte verstößt gegen ein Grundprinzip der Demokratie – die liberale Demokratie, die Sozialdemokratie und die Christdemokratie basieren auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung: dass Recht und Politik so weit wie möglich voneinander getrennt sein müssen. Was wir heute haben, ist nicht einfach der Fall einer traditionellen gerichtlichen Übervorteilung, sondern eine Situation, in der die Rechtsstaatlichkeit systematisch eingesetzt wird, um politischen Zwecken zu dienen.

Insbesondere das politische System der EU ist darauf ausgerichtet, Lawfare zu nutzen, um ihre föderalistischen Ambitionen aufrechtzuerhalten. Die EU nutzt die Gerichte, um die Notwendigkeit zu umgehen, sich mit den Wählern auseinanderzusetzen und die Bürger davon zu überzeugen, Ansichten zu übernehmen, die in der breiten Gesellschaft unpopulär sind. Sie verlässt sich auf Gerichtsentscheidungen, um zu vermeiden, dass sie in strittigen Fragen die Meinungshoheit gewinnen muss. In dieser Hinsicht ist ein vom Gericht verordneter politischer Putsch ein geringer Preis, um die Interessen der europäischen Führungseliten zu schützen.